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Th. Mann und Brasilien
Zu João Silvério Trevisans Roman "Ana in Venedig"

Von Karin von Schweder-Schreiner *

Wer Literatur liebt, kennt Thomas Mann. Und seinen Bruder Heinrich. Aber Júlia da Silva Bruhns? Zuzugegeben, sie war keine Schriftstellerin. Aber sie war die Mutter dieser berühmten Brüder. Und eine gebürtige Brasilianerin, als kleines Mädchen vom verwitweten deutschen Vater mit ihren Geschwistern aus dem tropischen, sinnlichen, katholischen Brasilien in das kalte, nüchterne, protestantische Lübeck verpflanzt. Die Anpassung an die neue Umwelt gelang ihr nur äußerlich, zu groß war der innere Konflikt. Der Süden wurde ihr zum Mythos, sie selbst zu einer ruhelosen Nomadin, ihre letzten Worte waren portugiesisch.

Der Paulistaner João Silvério Trevisan hat in seinem breit angelegten, farbenprächtigen Roman „Ana in Venedig“ ihren Lebensweg in Teilen nachgezeichnet. So brüchig wie Júlias Identität ist auch die der anderen beiden, ebenfalls authentischen Personen nachempfundenen Hauptfiguren. Ana, die schwarze Haussklavin und Analphabetin, mit der Familie nach Lübeck gekommen, führt später ein unstetes, abenteuerliches Leben. Und der Musiker Alberto Nepomuceno, auf der Suche nach einer eigenständigen brasilianischen Ausdrucksform seiner Kunst, geht zum Studium nach Italien und Deutschland.

Im August 1890 führt der Zufall die drei in Venedig zusammen. Vor fesselndem Handlungshintergrund, mit viel historischen Milieuschilderungen und atmosphärischer Dichte, behandelt Trevisan Themen wie Leben in der Fremde und Fragen der nationalen, persönlichen oder künstlerischen Identität, vergleicht die Krisen der Moderne am Ende des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich in der Hinfälligkeit philosophischer, politischer und ästhetischer Werte manifestieren, zitiert immer wieder indirekt das Werk Thomas Manns, erzählt faszinierend vom Leben auf dem Landsitz der Familie Bruhns bei Parati, vom alten kaiserlichen Brasilien oder den studentischen Umtrieben in Recife und beschenkt seine Leser fast nebenbei mit bestechend schönen Naturbeschreibungen, die durchaus neben Stefan Zweigs Hymne auf Rio de Janeiro bestehen können.


* Karin von Schweder-Schreiner ist – wie das Verzeichnis von Klaus Küpper (TFM 1994) und der Nachtrag von Thies Plaas (siehe S. 37/38 dieser Ausgabe der Portugal-Post) nachweisen – eine der meistbeschäftigten Übersetzerinnen brasilianischer Literatur ins Deutsche. Sie wurde 1994 anläßlich der Frankfurter Buchmesse, auf der Brasilien das Zentralthema war, mit dem Internationalen Übersetzerpreis des Brasilianischen Kultusministeriums ausgezeichnet. Karin von Schweder-Schreiner hat mehrere Jahre in Brasilien verbracht und lebt jetzt in Hamburg.




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Portugal-Post Nr. 10 / 2000