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DIE KLEINE GESCHICHTE

aufgeschrieben von Ferdinand Blume-Werry

José Martins Ribeiro ist Lotse. Ich kenne ihn nicht, aber er steht mir sehr nah. Ich habe über ihn gelesen. Man nennt ihn Zé Peixe, den Fischmenschen, und sein Zuhause ist das tückische Delta des Aracaju. Das kennt er wie seine Westentasche; doch eine Weste braucht er nicht, wenn er die Schiffe über die ständig wechselnden Untiefen lotst, bei Wind und Wetter.

Zé Peixe braucht noch nicht einmal ein Schiff, um zu den mehreren Seemeilen vor der Küste auf ihn wartenden Frachter zu gelangen: Mit mehr als 70 Jahren rennt er über den Strand, stürzt sich in die Brandung und schwimmt kilometerweit seiner Arbeit entgegen. Oft kettet er sich an eine schwankende Boje, um auf eines der Schiffe zu warten, wenn es verspätet aus dem Nebel weit vor der Küste auftaucht, so weit draußen, dass das Land auch bei klarem Wetter noch lange nicht in Sicht ist.

Da kommt es schon mal vor, dass ihm die Delphine helfen, die seine Freunde sind und die ihn streckenweise begleiten. Zé Peixe ist eben einer von ihnen. Mit den Menschen in der Bucht von Aracaju hat er eigentlich wenig zu tun.

Man erzählt sich, dass er eines Tages ein russisches Frachtschiff zwischen den Sandbänken des Deltas aufs offene Meer lotste und nach getaner Arbeit einfach über Bord sprang, um zurück an Land zu schwimmen, so wie er es immer tat seit über 50 Jahren als schwimmender Lotse und gegen jede Konvention.

Der russische Kapitän, der vor Recife zum ersten Mal die Gewässer durchquerte, verstand das nicht, versuchte Zé Peixe zu retten, machte einen riesigen Aufstand; die Reederei verlor Zeit und Geld und es kam zu einem Prozess. Die einzige Aussage des Fischmenschen soll gewesen sein: „Wozu brauche ich ein Schiff, wenn ich doch schwimmen kann!“

Seitdem ich diese unglaubliche Geschichte gehört habe – und das ist schon viele Jahre her – verspüre ich immer wieder den Drang, dort an diesem Strand in der Bucht von Aracaju Zé Peixe treffen zu wollen. Doch ich war nie dort, habe nie die Menschen getroffen, die in der Abenddämmerung in den gelbgetünchten Bars am Strand hocken und auf die Rückkehr des Fischmenschen warten. Auch von ihm habe ich nie mehr etwas gehört oder gelesen. Einmal habe ich ein Bild von ihm gesehen, da trug er einen Anzug, war barfüßig mit großen schlanken Füßen und langen Zehen, sah drahtig aus und hatte eine von Salzwasser und Sonne gegerbte Haut. Sein Gesicht spiegelte die wechselnden Untiefen der See.





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Portugal-Post Nr. 10 / 2000