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Sexy Berlin

Von João Ubaldo Ribeiro *

Wie gut kenne ich dieses Bild von Brasilien. Von Brasilien sprechen, das bedeutet Indios, Amazonas und mit tellergroßen Orden behängte Militärdiktatoren, die Erschießungskommandos auf spanisch in barbarischem Ton Befehle zubrüllen und zwischendurch aufgeregt mit Schweizer Banken telefonieren. Wenn ein Brasilianer wie ich gesteht, er sei noch nie in der Amazonasregion gewesen und habe in seinem ganzen Leben erst zwei Indios gesehen (einer davon Parlamentsabgeordneter in Anzug und Krawatte), er spreche schlecht Spanisch, denn seine Muttersprache sei Portugiesisch, dann enttäuscht er damit zutiefst Menschen aus anderen Ländern, die glauben, sie hätten es mit einem Betrüger oder zynischen Lügner zu tun.

Ich kenne auch jenes andere Bild von Brasilien, das in den Köpfen derer spukt, die davon träumen, eines Tages die Tropen zu erobern, sich unter einer ewigen Sonne zu vergnügen, Drinks, so üppig wie der Kopfschmuck von Carmen Miranda, zu sich zu nehmen (die übrigens nicht Brasilianerin von Geburt war), ins Morgengrauen hinein bis ins Hotelzimmer Lambada zu tanzen und zwischen atemberaubenden Mulattinnen einzuschlafen, neben deren Verhalten Messalina sich wie eine Klosterfrau ausnehmen würde. Solche Leute lassen keinen Bericht über den Karneval und die Strände aus, das Wasser läuft ihnen im Munde zusammen vor den Touristikplakaten, auf denen Frauen in mikroskopischen Bikinis gezeigt werden, und sie glauben, wenn sie sich unterhalb des Äquators bewegen, wird sich auch alles andere unterhalb bewegen, wie Hosen, Büstenhalter, Röcke und was sonst noch ein Hindernis darstellt, um den Lebensstil Brasiliens zu übernehmen, eines Landes mit freizügigen Sitten, in das man die deutschen Omas und andere ehrbare Damen nicht mitnehmen kann.

Mit dem ersten Bild kommen wir besser zurecht. Als ich einmal zu einem Abendessen in Arizona eingeladen war, damals war ich als Student in den USA, versuchte ich ein bisschen zu grunzen, während ich mein Fleisch dicht über dem Teller aß, und ich hatte großen Erfolg damit. Damals war ich natürlich erst zwanzig, da tut man Dinge, die man mit über vierzig nicht mehr tut, aber noch immer ist es möglich, die Erwartungen der Freunde aus der ersten Welt zufriedenzustellen. Man muss sich nur ein wenig primitiv geben, etwas beunruhigend lachen und erstaunt tun angesichts technologischer Errungenschaften wie Elektroherde, Kühlschränke oder sogar Feuerzeuge fast alles, was nicht aus Holz oder Leder ist, ist gut dafür. Villa Lobos, der große brasilianische Komponist (oder kolumbianische oder vene-zolanische oder bolivianische, ist alles das gleiche), machte sich in Europa einen Spaß daraus zu erzählen, wie man in Brasilien Menschen isst, und ich selbst, der ich ein paar Kannibalenszenen geschrieben habe, meine, einmal in Nürnberg die Nervosität meiner Tischnachbarin bemerkt zu haben, jedesmal, wenn ich auf ihren Arm schaute und zum Ketchup griff (aber ich widerstand und habe sie kein bißsschen gebissen).

Mit dem zweiten Bild fällt es schwerer umzugehen. Dass wir nicht alle einander kraulend nackt herumlaufen, vor allem hier in nordischen Breiten, das wird voller Verständnis registriert, wegen der Kälte. Aber alles andere nicht. Ich erinnere mich an eine Freundin, die uns hier in Europa besuchte. Wenn sie zum ersten Mal mit einem europäischen Verehrer in ein Restaurant ging, musste sie ständig wiederholen, „Lassen Sie uns wenigstens zu Ende essen, erst das Essen, nein, nichthier!“, denn die Herren meinten, die Männlichkeit ihres betreffendes Landes würde in Zweifel gezogen, wenn sie sich nicht gleich nach dem Eintreffen des ersten Martinis an die Arbeit machten, schließlich hatten sie eine typische Brasilianerin vor sich.

Mit zwei kleinen Kindern und einem gewissen Ruf, der gewahrt werden muss, haben wir uns als Tropenbewohner in Berlin bisher vorsichtig bewegt. Aber das ist auf die Dauer schwierig, besonders angesichts von Sexy Berlin und der schwerwiegenden Ereignisse am Hochmeisterplatz. Ich weiß nicht so recht, was Sexy Berlin ist, aber neulich erwischten wir unseren Sohn Bento dabei, wie er Sexy Berlin im Fernsehen sah, und das mit einem Interesse, das für seine acht Jahre vielleicht etwas frühreif daherkam, da Sexy Berlin sich darauf konzentriert, wie soll ich sagen, Damen in intimen Situationen vorzustellen. Bento wollte wissen, ob die Damen abends so auftreten, hier in Berlin, wir versicherten ihm, keineswegs sei das so, ganz und gar nicht, das sei eine isolierte Begebenheit.

Um gegen den irrigen Eindruck anzugehen, den er von dem Freundesland gewinnen könnte, das uns zur Zeit beherbergt, verlegten wir uns aufs Ökologische. Nun würde er also seine Freizeit mit anderen Kindern in einem Park in unserer Nähe verbringen. Und so entdeckten wir den guten Hochmeisterplatz in der Hoffnung, Bento werde sich dort müde toben und dann nicht mehr die Kraft haben, spätabends aus dem Bett zu kriechen und Sexy Berlin anzuschauen.

Weh uns, weit gefehlt, denn am ersten Tag, als es hier richtig warm war, kam er, der Essen über alles liebt (bisher jedenfalls, ich bin nicht mehr so sicher), zum Mittagessen nach Hause gestürmt und fragte, wann er auf den Platz zurück könnte. Ich wunderte mich über solches Interesse, und schließlich gestand er, warum, mit Augen, die weiter aufgerissen waren als während des Fernsehprogramms Sexy Berlin: „Papa, die waren alle nackt auf dem Hochmeisterplatz! Und dann waren da noch zwei Mädchen, die haben sich geküßt!“

Also, Erklärungen über Erklärungen, hier auf der Straße nackt zu sein, sei nicht dasselbe wie in Brasilien, hier sei das normal, dort sei es unanständig, die Leute hier legten sich eben gern ein bisschen in die Sonne und tauschten in aller Öffentlichkeit ein paar freundschaftliche Küsschen aus. Aber ich fürchte, das half wenig, obwohl man daraus die gute alte Weisheit ableiten kann, dass das Leben voller Ironie steckt. Denn Bento gestand mir gestern in einem Gespräch von Mann zu Mann, dass er Deutscher werden möchte, hier sei es viel besser, hier ginge echt was ab, da gäbe es kein zimperliches, verklemmtes Getue wie in Brasilien.

„Nur eins“, sagte er noch nachdenklich. „Ich werde Oma lieber nicht zu uns einladen. Hier könnte sie ja nicht mal in den Park gehen oder fernsehen, so was Schamloses wie hier in Deutschland ist sie gar nicht gewohnt, oder?“


* João Ubaldo Ribeiro wurde 1941 auf der Insel Itaparica/Bahia geboren und gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössichen Schriftstellern Brasilien. Zur Zeit der Wende lebte er für ein Jahr als DAAD-Stipendiat in Berlin. Seine geistreichen und amüsanten Berichte über seinen Aufenthalt erschienen damals in der Frankfurter Rundschau und sind inzwischen als Taschenbuch bei Suhrkamp in der Übersetzung von Ray-Güde Mertin erschienen. Wir erweitern unser Triângulo Brasilien-Portugal-Hamburg gerne um die deutsche Hauptstadt, wird hier doch auf witzige Weise mit den deutschen Vorurteilen über das “sündige” Brasilien aufgeräumt.




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Portugal-Post Nr. 10 / 2000