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Wer hat Brasilien entdeckt???
(Noch) eine "Entdeckung" mit vielen Fragezeichen

Von Peter Koj

Wer hat Brasilien entdeckt? Die Frage mag ein wenig überraschen. „Das war doch Pedro Álvares Cabral“, werden Sie sagen. So steht es in allen Geschichtsbüchern und durch die 500. Wiederkehr des Jahrestages seiner Ankunft in der Bucht von Porto Seguro am 22.4.1500 war kein anderer portugiesischer Name in den letzten Wochen und Monaten so sehr in aller Munde wie der des Pedro Álvares Cabral (P.A.C.).

Doch es handelt sich hier – ähnlich wie bei Kolumbus vor 8 Jahren – um eine Fiktion, die von den historischen Fakten widerlegt wird, weswegen unser Freund Luís Carvalho zu Recht von einer «mentira histórica» spricht. Und das in mehrfacher Hinsicht. Da ist zuerst der Begriff „entdecken“. Dieser übersieht in eurozen-trischer Arroganz, dass dort schon vorher Leute gelebt haben: wir nennen sie, weil Kolumbus angeblich den Westweg nach Indien suchte und gefunden zu haben glaubte, „Indianer“, portugiesisch «índios». Die Nachkommen von heute sind gar nicht entzückt, dass man ihre Vorfahren „entdeckt“ haben soll und haben eine Reihe von Gegenveranstaltungen zu den offiziellen Feierlichkeiten organisiert. Sehr verständlich, wie ich meine. Oder, Hand aufs Herz, würden Sie, lieber Leser, gerne „entdeckt“ werden?

Immerhin wird der Begriff «descobrimento» inzwischen in Portugal so sehr als politically incorrect angesehen, dass er vielerorts durch das unverfänglichere «achamento» ersetzt wird, ein Begriff übrigens, der schon von dem offiziellen Chronisten und Begleiter der Expedition von P.A.C., Pêro Vaz de Caminha, fleißig benutzt wurde. Aber auch in anderer Hinsicht verdient der 22. April 1500 nicht die ihm angetane Ehre. P.A.C. war nämlich, wie die Historiker sich heute einig sind, keineswegs der erste Europäer, der Brasilien „entdeckt“ (descoberto/achado) hat. Er hat sich auch nicht dorthin auf dem Weg nach Indien „verirrt“, wie manche annehmen.

Im Gegenteil, es handelte sich um eine offizielle und mit dem ganzen maritimen know-how der portugiesischen Seefahrt der Zeit geplanten und durchgeführten Expedition. P.A.C. hatte vom portugiesischen König D. Manuel I den Auftrag, die zwei Jahre vorher von Vasco da Gama an der indischen Malabarküste geknüpften Kontake aufzunehmen und einen Handelsstützpunkt, eine sog. Faktorei, aufzubauen (deswegen auch die Größe der Flotte). Auf dem Weg nach Indien sollte P.A.C. den kleinen „Schlenker“ («volta») an die brasilianische Küste machen, um das Land offiziell für die portugiesische Krone in Besitz zu nehmen. Das geschah durch das Aufstellen des eigens dafür mitgebrachten padrão (aus Stein gehauene Entdeckersäule).

Dass portugiesische Seefahrer schon lange vor P.A.C. Brasilien „entdeckt“ haben mussten, ist heute allgemein anerkannt. Zumindest zum Zeitpunkt der Verhandlungen um den berühmten Vertrag von Tordesillas (1494), in dem die Weltkugel durch eine nord-südliche Trennungslinie in eine portugiesische und eine spanische Interessenspähre aufgeteilt wurde, müssen die Portugiesen schon eine ungefähre Vorstellung von der Größe und Lage des neuen Kontinents (oder auch Insel, für die man Brasilien aufgrund der irischen Sagen ursprünglich hielt) gehabt haben. Sonst hätten sie nicht so zäh darum gerungen, dass man die ursprünglich vereinbarte Trennungslinie, die 100 Seemeilen westlich der Kapverden verlief, auf 370 Seemeilen ausdehnte und sich somit ein Stück Südamerika „abschnitt“, das von seiner territorialen Ausdehnung ungefähr dem heutigen Brasilien entspricht.

Leider kennen wir nicht den Namen des ersten Kapitäns, der seinen Fuß auf brasilianischen Boden setzte, da die portugiesischen Seefahrten „geheime Kommandosache“ des Christusordens waren und dem sigillum, dem Schweigesiegel, unterlagen. Sollte es irgendwelche Dokumente (Bordbücher etc) gegeben haben, so dürften diese in Lissabon gelagert haben und dem Erdbeben von 1755 zum Opfer gefallen sein. Ähnlich liegen auch die Verhältnisse in bezug auf Nordamerika und Australien, wo man davon ausgeht, dass Portugiesen auch hier lange vor den offiziellen „Entdeckern“ Kolumbus und Cook angekommen waren.

Aber eine „Entdeckung“ ohne „Entdecker“ ist eine etwas nüchterne Angelegenheit. Und so hat man gesucht und gesucht und glaubt, mit Duarte Pacheco Pereira den Richtigen gefunden zu haben. Aber ob er auch wirklich der Erste war, bleibt eine Hypothese. Auf jeden Fall war er vor dem Spanier Yáñez Pinzón dort, der einige Monate vor P.A.C. ankam (was die spanische Kolonie in Brasilien werbewirksam während der Feierlichkeiten ins Spiel brachte). Ebenso wie die Spanier müssen wir auch die Italiener enttäuschen. Denn Amerigo Vespucci, der in spanischen und später in portugiesischen Diensten den Kontinent früh bereiste und erforschte, hat diesem zwar den Namen gegeben (woran wiederum ein deutscher Kartograph, Martin Waldseemüller, „Schuld“ war; doch das ist eine andere spannende Geschichte!), war aber ebenfalls nicht der Erste.

Was bleibt als Resultat dieses historischen Hick-Hacks? Wir kennen weder den „Entdecker“ Brasiliens noch das Datum seiner Ankunft. Es ist jedoch zu vermuten, dass es ein Portugiese war. P. A.C. gebührt der Ruhm, als erster in einer Reise um die halbe Welt Europa, Amerika, Afrika und Asien miteinander verbunden zu haben. Selbst die Brasilianer, die sonst eher etwas verächtlich über die «Portugas» urteilen, ziehen den Hut vor dem «gênio português», so der Titel eines Artikels der renommierten brasilianischen Zeitschrift Veja (3. 11. 99), in dem das hohe Lied der genialen portugiesischen Seefahrer des 15. und 16. Jahrhunderts gesungen wird.





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Portugal-Post Nr. 10 / 2000