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Mega-Kokons und Riesen-Bienenkörbe

Von Luise Albers

Anfang der 80er Jahre tauchte in Portugal ein neuer Gebäudetyp auf, den man wegen seiner Größe und seines imponierenden Äußeren „Festung“ nennen kann. Solche „Festungen“ haben sich vor allem in den großen Städten breit gemacht, aber sie dringen auch in die Provinz vor. Es gibt sie in vielen Formen, aber sie erfüllen immer eines der drei Programme: Handelszentren + Büros + Luxuswohnbereich; Einkaufszentren umgeben von Parkplätzen; mehr oder weniger abgeschlossene Eigentumswohnanlagen. Beim Bau werden Elemente verwendet wie Holztüren mit Fensterchen, Rasenflächen etc, welche die Sehnsucht der mittelständischen Bewohner nach dem Land symbolisieren, ihr Sicherheitsgefühl befriedigen und aufgrund ihrer äußerlichen Komplexität an eine kleine Stadt erinnern. Diese „Superhäuserblöcke“ tauchten in unseren Tagen im Zusammenhang mit den radikalsten Tendenzen der Städtekultur und mit den besten sozialen und ökologischen Absichten auf. Im 19. Jahrhundert wurden die „Phalanstere“ (kommunitäre Wohnsiedlungen nach Fourier) erfunden, eine Mega-Anlage mit Wohnraum, Gewerbe, Freizeit und öffentlichen Dienstleistungen. Diese „Festungen“ hatten zum Ziel, das kapitalistische Städtechaos zu vermeiden und die Arbeiter zu schützen. Der berühmte französische Architekt Le Corbusier träumte immer von einer Stadt bestehend aus großen Einheiten, welche die Natur unberührt und das Landschaftsbild geordnet lassen. Die erste Wohnanlage Le Corbusiers, nach dem zweiten Weltkrieg in Marseille gebaut, funktioniert noch immer. Sie unterscheidet sich von den heutigen „Superblock“-Projekten durch ihre architektonische Handschrift und durch die Folgerichtigkeit ihres Programms; sie wurde nicht für großbürgerliche Familien gebaut, sondern für Intellektuelle, sowie für Arme und Minderbemittelte.

In den 50er bis 70er Jahren tauchten in England die „new towns“ auf (z.B. Barbican in London). In den 80er Jahren wollte man zur modernen Stadt des 19. Jahrhunderts zurückkehren, aber es zeigt sich, dass es nicht ausreicht, Straßen und Viertel zu bauen, um Megabauten zu vermeiden: die „Stadt-Teilchen“, die zu Armenghettos werden, wirken sich auf den Städtebau genauso aus wie die „Stadt-Teilchen“, die für die Wohnparks der Reichen angelegt werden. In beiden Fällen handelt es sich um Megastrukturen unterbrochen von Wüste. Aber diese Wüste ist nicht die unberührte grüne Natur von Le Corbusier, sondern die vom Staat vernachlässigte Stadtnatur. Eine Stadt ist in erster Linie ein Netz von Beziehungen. Aber das Netz von Straßen, Stadtvierteln und Plätzen wird immer mehr durch ein anderes Netz ersetzt, das der Autobahnen, Schnellstraßen, Tunnel... Es handelt sich eigentlich um eine zweite Stadt bestehend aus Zentren von Megabauten, die über die alte Stadt errichtet wurden und wohin sich der Staat und die Reichen zurückziehen.

So zeichnet sich am Horizont die Möglichkeit einer städtebaulich getrennten Gesellschaft ab, die sich zusammensetzt aus geschlossenen und bewachten Wohnanlagen, Einkaufszentren inmitten von asphaltierten Mondlandschaften und historische Stadtviertel, die so saniert und isoliert sind, dass sie eine Art städtischen „Jurassic Park“ bilden.


Nach einem Artikel von Paula Varela Gomes („Expresso“, 10.7.93.)





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Portugal-Post Nr. 12 / 2000