ESSA NOSSA DITOSA LÍNGUA XIV
List und Tücke der portugiesischen Sprache –
1. Teil
Peter Koj
Als ich 1976 einen Lehrauftrag
an der Deutschen Schule Lissabon erhielt, sah ich mich im reifen Alter von 38
Jahren genötigt, eine weitere Sprache zu lernen, nämlich das Portugiesische.
Seitdem kämpfe ich gegen das portugiesische Sprichwort an „Ein alter Esel
lernt keine Sprachen mehr“. Gott sei Dank gibt es ein paar portugiesische
Sprichwörter, die mehr Mut machen, z.B. „Wer nicht arbeitet, bekommt nichts
zu essen“ oder „Wer warten kann, schafft’s auch“. Doch ein mehr als 20jähriges
Studium dieser „verräterischen“ Sprache (wie die Portugiesen sie selbst
nennen) haben mich dazu gebracht, von der „List und Tücke der portugiesischen
Sprache“ zu reden. Damit unsere portugiesischen Freunde sich ein besseres Bild
von meinen/unseren Problemen machen können, werde ich mich einigen Aspekten
dieser Sprache widmen, die sich beim fremdsprachlichen Erwerb des
Portugiesischen als besonders hinderlich erweisen.
Das erste große Problem oder Hindernis, mit dem
sich ein Fremder konfrontiert sieht, ist die Aussprache des Portugiesischen. Es
ist die Messlatte, die unerbittlich entscheidet über den Kenntnisstand. Nur
etwas daneben – und zack! Man sitzt in der Patsche. In sieben Jahren Portugal
ist es mir nicht gelungen, die Portugiesen davon zu überzeugen, dass ich einer
der Ihren bin. Das höchste der Gefühle war, dass ich eines Tages gefragt
wurde, ob ich Brasilianer bin. Das ganze ist natürlich eine Frage des Alters. Während
unsere kleine Tochter mit Leichtigkeit all diese portugiesischen Laute wie
Nasale, Diphthonge, Halbvokale etc. aufschnappte, stellten sie für mich ständigen
Übungsgrund meines phonetischen Apparats bis zur Schmerzgrenze dar. Und in der
Tat genügten für die anderen romanischen Sprachen, die ich vorher gelernt
hatte, nämlich Französisch und Italienisch, vier oder fünf Regeln. Im
Portugiesischen sah ich mich, trotz der vielen Regeln, die ich in- und auswendig
gelernt hatte, ständig mit Zweifelnsfällen konfrontiert. Zum Beispiel die Wörter,
die gleich geschrieben werden, aber je nach Bedeutung anders ausgesprochen
werden. So habe ich noch heute große Probleme, „soco“[o] (=Faustschlag) und
„soco“ [ ] (= Holzpantine; Sockel) nicht zu verwechseln. Oder „pega“ [e]
(= Elster; Nutte) und „pega“ [ ] (= Griff,
Henkel). Der Gipfel ist aber wohl die Willkür bei der Aussprache der Schreibung
„x“. Wenn ich richtig gezählt habe, gibt es fünf Möglichkeiten, und
manchmal kann dasselbe Wort verschieden ausgesprochen werden. Was ist nun
richtig: tóxico [ks] oder tóxico [s] oder tóxico [ ]?
Ein anderes Gebiet, auf dem das Portugiesische höchste
intellektuelle Anforderungen an den Fremdsprachler stellt, ist die Grammatik.
Man sagt, dass die deutsche Grammatik die schwerste von allen indo-europäischen
Sprachen ist, weil ssiw Elemente der lateinischen Grammatik, z.B. die
Deklination, am meisten bewahrt hat. Aber das ist nichts im Vergleich zum
Portugiesischen, das sogar einen „persönlichen Infinitiv“ hat. Das stellt
eigentlich einen Widerspruch in sich dar, denn ein Infinitiv ist per
definitionem unpersönlich. Aber da ist er nun mal! Und er ist sogar ganz
praktisch, weil man damit den Konjunktiv vermeiden kann. Und wo wir gerade beim
Konjunktiv sind, der Portugiese leistet sich nicht nur den Luxus, einen
Konjunktiv der Gegenwart und der Vergangenheit (plus den dazugehörenden
zusammengesetzten Zeiten) zu haben – als wenn das nicht genügen würde –
hat er noch einen Konjunktiv des Futurs. Und im Gegensatz zum Französischen, wo
heute nur noch der Konjunktiv der Gegenwart verwendet wird, benutzt der
Portugiese im Alltag alle seine Konjunktive – se Deus quiser! Eine andere
harte Nuss für den Fremden ist die sogenannte forma analítica. Doch wenn man
sie erst richtig beherrscht, erinnern uns Formen wie fazê-lo-ia, dá-no-lo-á
oder fá-la-á durch ihren Wohlklang eher an Gesänge der höheren Alpen, auch
„Jodeln“ genannt. Aber der Spaß hört auf, wenn ein Substantivobjekt durch
ein Pronomen ersetzt werden soll. In dem Satz li o livro (ich las das Buch) heißt
es li-o (ich las es), aber andererseits muss ich sagen não o li (ich habe es
nicht gelesen) oder quando o li (als ich es gelesen habe) oder também o
li (ich habe es auch gelesen). Wo ist die Logik? Schlimmer noch wenn das Prädikat
aus mehreren Verben besteht. Wie sagt man nun o vejo levar oder vejo-o levar
oder vejo levá-lo (ich sehe ihn wegbringen)? Und die Portugiesen selbst sind
sich nicht einig darüber, ob es heißt pode-se dizer oder pode dizer-se (man
kann sagen). In diesen kniffligen Fällen möchte man zum Brasilianer werden,
der das Pronomen setzt, wohin es ihm gerade gefällt.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Artikel um Auszüge der Rede, die
Peter Koj am 30. Mai 1996 in der Universität Porto anlässlich der Verleihung
des Preises der Stiftung „Casa da
Cultura de Língua Portuguesa“ gehalten hat.
Der zweite und letzte Teil erscheint in P-P15.
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Portugal-Post Nr. 14 / 2001
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