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Lagos – lebendige Geschichte

Von Peter Unkart

 Es sind nicht nur Städte wie Lissabon mit seiner Altstadt oder Guimarães mit seinem historischen Stadtteil, die das Attraktive an Portugal widerspiegeln und das der Staat auch immer mehr fördert. Auch in Lagos finden wir Spuren aus vergangenen Zeiten – und das nicht nur auf architektonischem Gebiet –, die es verdienen geschützt, restauriert und gepflegt zu werden.

 Aber angesichts der Tatsache, dass in jedem Sommer auf Grund des Touristenstroms die Zahl der Bewohner von fünfundzwanzig- auf hunderttausend anwächst, ist diese Aufgabe nicht leicht. Zwar ist dieses Interesse einerseits ein Beweis für die Attraktivität der Stadt, doch die Stadtplaner prüfen eine Studie zur urbanen Umgestaltung. Was ist das Ziel dieses neuen Modells? Soll dadurch lediglich die historische Altstadt erhalten und damit die Spuren aus vergangenen Zeiten gerettet werden, die man zugleich den postmodernen und ästhetisch weniger anspruchsvollen Gebilden entgegenstellt? Oder sollen "zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden", nämlich ein Gebiet zu schaffen, wo das geschäftliche Treiben und das Nachtleben sich nicht einander ausschließen, sondern nebeneinander bestehen und sich ergänzen? Das ist es ja schließlich, was den heutigen Tourismus prägt. Das sind die aktuellen Fragen, welche die Verantwortlichen von Lagos lösen müssen. Doch momentan befindet sich diese Stadt, die eine der ältesten des Landes ist, in einem Teufelskreis: Im Winter gibt es praktisch kein Nachtleben in der historischen Altstadt, während sie im Sommer aus allen Nähten platzt und der Touristenrummel die Einwohner aus ihren Häusern vertreibt. Die Hausbesitzer möchten gerne auf ihren alten Häusern noch ein paar Stockwerke draufsetzen, um in der Hochsaison mehr Wohnraum vermieten zu können. Doch die Flucht der Einwohner aus diesem Stadtteil wäre damit für den Rest des Jahres vorprogrammiert.  

Nun wollen wir aber trotz der genannten Probleme einen kleinen Spaziergang durch Lagos machen, um diese Stadt besser kennen zu lernen. Während wir uns erinnern, dass genau hier, in der Altstadt nämlich, einige der Entdecker ihre Reise begannen (wie der in Bronze gegossene Gil Eanes gegenüber dem Castelo dos Governadores verrät), beginnen wir unseren Ausflug auch an eben diesem Punkt, von dem aus man die Festung der Ponta da Bandeira erblicken kann. Dort waren unter D. Miguel im Jahre 1828 vierzig politische Häftlinge eingekerkert. Heute ist dort ein Museum über die Entdeckerzeit untergebracht. Etwas weiter treffen wir auf eine Kirche, die durch das Erdbeben 1755 ebenso zerstört wurde wie ein großer Teil Lissabons. Die Kirche Santa Maria wurde im 19. Jahrhundert im Stil der Renaissance restauriert, wogegen die Kirche Santo António vollständig mit Gold ausgekleidet ist - ein beispielhaftes Zeugnis manuelinischer Kunst.

 Gehen wir weiter zum Hauptplatz, wo der Bildhauer João Cutileiro 1973 einen Skandal auslöste, indem er die Regeln missachtete, die beim Errichten von Statuen zur Zeit des Estado Novo herrschten. So richtete er inmitten des Platzes eine Figur auf, die den legendären D. Sebastião darstellte. Sie war aus verschiedenfarbigen Marmorstücken zusammengesetzt, anstatt aus einem einzigen Block gehauen. Selbst die Spuren, welche die Werkzeuge hinterlassen haben, sind gut erkennbar und so der obligatorische "feine Schliff" umgangen. Dieser war Vorschrift zu Zeiten, als das Regime versuchte, naturalistische Traditionen hinüber zu retten, um die vorgebliche neoklassizistische Strenge zu bewahren. Umso verwerflicher war diese Statue, als sie eine offensichtliche Verachtung gegenüber Autorität und Institution manifestierte. Der Gipfel der Ketzerei war letztendlich, dass diese Figur niemanden weniger als einen König darstellte. Doch, glaubt man João Cutileiro, ist es genau dieser König, der seit der vernichtenden Niederlage in Afrika einen paradoxen Mythos verkörpert: die Niederlage und gleichzeitig die Hoffnung auf eine Wiederkehr, um die Nation  zu ewigem Ruhm zu führen. So sticht auch der Widerspruch ins Auge, wenn wir uns diese milchbärtige und unsichere Figur ansehen mit ihren in Metallhandschuhen verlorenen Händen.

 Doch in Lagos kann man auch heute noch Orte besichtigen, die Zeugnis über die Sklavenhalterei als Teil des Wirtschaftssystems des Imperiums ablegen. Dabei ist der Sklavenmarkt hervorzuheben, der vor über 500 Jahren der erste seiner Art in Europa war. Antão Gonçalves brachte 1441 die ersten 235 Sklaven in sechs Schiffen von der Goldküste nach Portugal.

 Doch lassen wir diesen Teil der Geschichte hinter uns und wenden uns der Gegenwart zu. Ein wahrer Genuss in der Umgebung von Lagos sind die Grotten, geformt durch die Steilküsten, welche eine mächtige Erosion seit ewigen Zeiten hervorgebracht hat. Dorthin gelangen wir mit einem Boot, das ein Fischer steuert. Die Grotten haben sogar Namen, um sie besser unterscheiden zu können, wenn wir sie uns nach den Ferien auf den Fotos ansehen.

 Schon fast am Ende unseres Besuches betreten wir nun das Landesmuseum von Lagos, in dem wir in die Alt- und Neusteinzeit, aber auch in die Kupfer- und Bronzezeit eintauchen können. Hier sehen wir Äxte, Poliersteine und Meißel, dort Pfeile, Sägen und Keramikstücke, Schmuck aus gebranntem Ton und seltene Armreifen aus Schieferstein. Etwas weiter, in der Sakristei der Kirche S. António, die an das Museum angebaut ist, treffen wir auf kirchliche Gewänder aus rotem Damast und mit Gold bestickt. Diese Gewänder haben wohl der Messe gedient, der D. Sebastião beigewohnt hat, bevor er 1578 nach Alcácer-Quibir aufbrach.

 Zu guter Letzt besichtigen wir noch das Haus, das einst Francisco de Almeida Corte Real gehörte, auch bekannt als die Casa Corte Real, in der Rua Direita gelegen (heute Rua 25 de Abril). Dieses Haus ist das einzige mit einem noch originalen Dach aus der Zeit der Entdeckungen Portugals. Dank der Ritter wie D. Fransisco – die besonders begeistert waren von den Götzenbildern und heidnischen Tempeln in Indien  und China und von den hoch gebauten Dächern mit ihren geschwungenen und reich verzierten Traufen – wurden auch solche Häuser in Portugal gebaut.

 Hoffen wir also, dass uns ebenso beispielhafte Orte auf unseren Reisen nach Portugal stets aufs Neue überraschen werden und dass der Wille zur Erhaltung solch wertvoller Zeitzeugen siegen möge über den planlosen Bauwucher und über den Massentourismus.





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Portugal-Post Nr. 17 / 2002