Es
sind nicht nur Städte wie Lissabon mit seiner Altstadt oder Guimarães mit
seinem historischen Stadtteil, die das Attraktive an Portugal widerspiegeln und
das der Staat auch immer mehr fördert. Auch in Lagos finden wir Spuren aus
vergangenen Zeiten – und das nicht nur auf architektonischem Gebiet –, die
es verdienen geschützt, restauriert und gepflegt zu werden.
Aber
angesichts der Tatsache, dass in jedem Sommer auf Grund des Touristenstroms die
Zahl der Bewohner von fünfundzwanzig- auf hunderttausend anwächst, ist diese
Aufgabe nicht leicht. Zwar ist dieses Interesse einerseits ein Beweis für die
Attraktivität der Stadt, doch die Stadtplaner prüfen eine Studie zur urbanen
Umgestaltung. Was ist das Ziel dieses neuen Modells? Soll dadurch lediglich die
historische Altstadt erhalten und damit die Spuren aus vergangenen Zeiten
gerettet werden, die man zugleich den postmodernen und ästhetisch weniger
anspruchsvollen Gebilden entgegenstellt? Oder sollen "zwei Fliegen mit
einer Klappe geschlagen werden", nämlich ein Gebiet zu schaffen, wo das
geschäftliche Treiben und das Nachtleben sich nicht einander ausschließen,
sondern nebeneinander bestehen und sich ergänzen? Das ist es ja schließlich,
was den heutigen Tourismus prägt. Das sind die aktuellen Fragen, welche die
Verantwortlichen von Lagos lösen müssen. Doch momentan befindet sich diese
Stadt, die eine der ältesten des Landes ist, in einem Teufelskreis: Im Winter
gibt es praktisch kein Nachtleben in der historischen Altstadt, während sie im
Sommer aus allen Nähten platzt und der Touristenrummel die Einwohner aus ihren
Häusern vertreibt. Die Hausbesitzer möchten gerne auf ihren alten Häusern
noch ein paar Stockwerke draufsetzen, um in der Hochsaison mehr Wohnraum
vermieten zu können. Doch die Flucht der Einwohner aus diesem Stadtteil wäre
damit für den Rest des Jahres vorprogrammiert.
Nun
wollen wir aber trotz der genannten Probleme einen kleinen Spaziergang durch
Lagos machen, um diese Stadt besser kennen zu lernen. Während wir uns erinnern,
dass genau hier, in der Altstadt nämlich, einige der Entdecker ihre Reise
begannen (wie der in Bronze gegossene Gil Eanes gegenüber dem Castelo dos
Governadores verrät), beginnen wir unseren Ausflug auch an eben diesem
Punkt, von dem aus man die Festung der Ponta da Bandeira erblicken kann.
Dort waren unter D. Miguel im Jahre 1828 vierzig politische Häftlinge
eingekerkert. Heute ist dort ein Museum über die Entdeckerzeit untergebracht.
Etwas weiter treffen wir auf eine Kirche, die durch das Erdbeben 1755 ebenso
zerstört wurde wie ein großer Teil Lissabons. Die Kirche Santa Maria wurde im
19. Jahrhundert im Stil der Renaissance restauriert, wogegen die Kirche Santo
António vollständig mit Gold ausgekleidet ist - ein beispielhaftes Zeugnis
manuelinischer Kunst.
Gehen
wir weiter zum Hauptplatz, wo der Bildhauer João Cutileiro 1973 einen Skandal
auslöste, indem er die Regeln missachtete, die beim Errichten von Statuen zur
Zeit des Estado Novo herrschten. So richtete er inmitten des Platzes eine
Figur auf, die den legendären D. Sebastião darstellte. Sie war aus
verschiedenfarbigen Marmorstücken zusammengesetzt, anstatt aus einem einzigen
Block gehauen. Selbst die Spuren, welche die Werkzeuge hinterlassen haben, sind
gut erkennbar und so der obligatorische "feine Schliff" umgangen.
Dieser war Vorschrift zu Zeiten, als das Regime versuchte, naturalistische
Traditionen hinüber zu retten, um die vorgebliche neoklassizistische Strenge zu
bewahren. Umso verwerflicher war diese Statue, als sie eine offensichtliche
Verachtung gegenüber Autorität und Institution manifestierte. Der Gipfel der
Ketzerei war letztendlich, dass diese Figur niemanden weniger als einen König
darstellte. Doch, glaubt man João Cutileiro, ist es genau dieser König, der
seit der vernichtenden Niederlage in Afrika einen paradoxen Mythos verkörpert:
die Niederlage und gleichzeitig die Hoffnung auf eine Wiederkehr, um die Nation
zu ewigem Ruhm zu führen. So sticht auch der Widerspruch ins Auge, wenn
wir uns diese milchbärtige und unsichere Figur ansehen mit ihren in
Metallhandschuhen verlorenen Händen.
Doch
in Lagos kann man auch heute noch Orte besichtigen, die Zeugnis über die
Sklavenhalterei als Teil des Wirtschaftssystems des Imperiums ablegen. Dabei ist
der Sklavenmarkt hervorzuheben, der vor über 500 Jahren der erste seiner Art in
Europa war. Antão Gonçalves brachte 1441 die ersten 235 Sklaven in sechs
Schiffen von der Goldküste nach Portugal.
Doch
lassen wir diesen Teil der Geschichte hinter uns und wenden uns der Gegenwart
zu. Ein wahrer Genuss in der Umgebung von Lagos sind die Grotten, geformt durch
die Steilküsten, welche eine mächtige Erosion seit ewigen Zeiten
hervorgebracht hat. Dorthin gelangen wir mit einem Boot, das ein Fischer
steuert. Die Grotten haben sogar Namen, um sie besser unterscheiden zu können,
wenn wir sie uns nach den Ferien auf den Fotos ansehen.
Schon
fast am Ende unseres Besuches betreten wir nun das Landesmuseum von Lagos, in
dem wir in die Alt- und Neusteinzeit, aber auch in die Kupfer- und Bronzezeit
eintauchen können. Hier sehen wir Äxte, Poliersteine und Meißel, dort Pfeile,
Sägen und Keramikstücke, Schmuck aus gebranntem Ton und seltene Armreifen aus
Schieferstein. Etwas weiter, in der Sakristei der Kirche S. António, die an das
Museum angebaut ist, treffen wir auf kirchliche Gewänder aus rotem Damast und
mit Gold bestickt. Diese Gewänder haben wohl der Messe gedient, der D. Sebastião
beigewohnt hat, bevor er 1578 nach Alcácer-Quibir aufbrach.
Zu
guter Letzt besichtigen wir noch das Haus, das einst Francisco de Almeida Corte
Real gehörte, auch bekannt als die Casa Corte Real, in der Rua
Direita gelegen (heute Rua 25 de Abril). Dieses Haus ist das einzige mit
einem noch originalen Dach aus der Zeit der Entdeckungen Portugals. Dank der
Ritter wie D. Fransisco – die besonders begeistert waren von den Götzenbildern
und heidnischen Tempeln in Indien und
China und von den hoch gebauten Dächern mit ihren geschwungenen und reich
verzierten Traufen – wurden auch solche Häuser in Portugal gebaut.
Hoffen
wir also, dass uns ebenso beispielhafte Orte auf unseren Reisen nach Portugal
stets aufs Neue überraschen werden und dass der Wille zur Erhaltung solch
wertvoller Zeitzeugen siegen möge über den planlosen Bauwucher und über den
Massentourismus.