Rettet die Costa Vicentina
Von Peter Koj
Diesen
Artikel zu schreiben stellt für mich ein gewisses Dilemma dar. Einerseits ist
es mir ein großes Bedürfnis, von
einer Wanderung durch eine der schönsten und ursprünglichsten Regionen
Portugals zu berichten. Andererseits fürchte ich, dass wenn allzu viele diesen
Artikel lesen oder sogar meinem Beispiel folgen, dieses Erbe, das es zu bewahren
gilt, noch mehr bedroht wird. Seit Ende 1995 hat die Costa Vicentina, d.h. ein Küstenstreifen
von ca. 2 km Breite zwischen Sines und Sagres, den Status eines Naturparks. Es
handelt sich um eine Fläche von 74.786 Hektar, zum größten Teil von einer
atemberaubenden Schönheit, durchweht von der würzigen Brise des Atlantiks. Im
August lockt sie Zig-Tausende von Touristen an, vor allem Portugiesen, aber die
touristischen Infrastrukturen entwickeln sich nur sehr allmählich. Riesenkästen,
wie sie sich leider mehr und mehr im Algarve breit machen, sind selten, denn die
Bauvorschriften des Naturparks verbieten Gebäude mit mehr als zwei Geschossen.
Die ganz große Bausünde, Vale da Telha (in der Nähe von Arrifana) stammt
bereits vom Beginn der 80er Jahre.
Außerhalb der Hochsaison präsentiert sich die
gesamte Küste dem Wanderer fast menschenleer. Ich hatte den Monat Oktober gewählt,
der sich im Jahre 1998 ganz von seiner sonnigen Seite zeigte, mit Temperaturen
von über 20º. Als ich mich von der Besitzerin meiner Lissabonner Pension
verabschiedete und ihr sagte, dass ich beabsichtigte, die gesamte Küste von Setúbal
bis Sagres abzuwandern, rief sie aus: „Ach Jesus! Ist das ein Gelübde?“
Nun, zumindest hätte ich mir den ersten Abschnitt sparen können, die
sogenannte Costa Azul, zwischen Troia und Sines: 70 km nichts als Sand,
wahrscheinlich Europas längster Strand, wo ich außer zwei, drei Anglern keine
Menschenseele traf. Drei Tage lang (mit Übernachtungen in Comporta und Melides)
hatte ich jede Menge Zeit, auf die endlose See zu starren, meinen Gedanken
nachzuhängen, und da ich es vorgezogen hatte barfuß durch den Sand zu stapfen,
mir ein paar ordentliche Blasen zu holen. In der Farmácia Central in
Sines, wo ich mir Pflaster für meine Blasen kaufte, erzählte mir ein junger
Angestellter, dass er die Strecke, die ich mir vorgenommen hatte, auch schon
mehrfach abgewandert sei und als Kenner der gesamten portugiesischen Küste
sagen könne, dass die Costa Vicentina den schönsten Abschnitt darstellt. Und
da ich selbst schon verschiedene ihrer Teile von Wanderungen in früheren Jahren
kannte (z.B. zwischen Porto Covo und Arrifana und zwischen Castelejo und Sagres,
bzw. Lagos), brannte ich immer mehr darauf, die ganze Costa Vicentina in
einem Stück abzuwandern.
Doch vor den Eintritt in dieses Paradies hatten die Götter
das Fegefeuer – oder besser gesagt – die Hölle gesetzt: das Hafengelände
von Sines, wo die Natur auf übelste Weise malträtiert worden ist (im Rahmen
der Bauarbeiten für den Flüssiggas-Terminal). Es war sehr schwierig, einen
Trampelpfad durch diese brutal zerstörte, alptraumhafte Landschaft zu finden.
Bis nach S. Torpes Schrott, Bauschütt und Müll ohne Ende. Und dort angekommen,
war der Anblick auch nicht viel ermutigender, mit einem Strand, dessen Sand von
den Abwässern des Elektrizitätswerkes grau verschmutzt ist. Es lässt sich
kaum vorstellen, wie hier jemand Ferien verbringen kann; aber als ich im August
einmal in S. Torpes vorbeikam, war der Strand voller Badegäste. Nur einige
hundert Meter weiter jedoch stößt man auf
große Holzbretter mit der Aufschrift Parque Natural Sudoeste
Alentejano Costa Vicentina und einer Tafel mit der Karte des
Naturparks. Und von hier ab gibt es nur noch Natur pur mit einer Felsenküste
von einer einmaligen Schönheit, die unterbrochen wird von einsamen Buchten,
unverbaut, und Steilklippen, von denen man einen wunderbaren Blick auf den
tosenden Ozean hat, dessen Wellen pittoreske Felsformationen auswaschen.
Die erste Etappe führte mich bis Porto Covo und
seiner pombalinischen Stadtanlage. Dann ging es vorbei an der Ilhéu do
Pessegueiro (bekannt für ihre Ausgrabungen aus römischer Zeit) und an einem
der wohl schönsten Strände der gesamten Küste, der Praia da Malhoa. Er liegt
in der Nähe des Campingplatzes der SITAVA (Gewerkschaft des Flugpersonals) und
die Folgen waren nicht zu übersehen. Dort wo kleine Quellen austreten und eine
üppige Vegetation mit chorões
(Sukkulenten), Tamarisken, und Gewürzkräutern, einige noch in Blüte,
hervorbringen, lagen allenthalben Plastiktüten, Flaschen, Demijohns, Dosen und
anderer Müll. Ein trauriges Schauspiel. In der Tat gibt es überall Schilder,
die sagen „Lasst uns die Küste reinigen!“ Aber vielleicht verlangt der
Spruch zu viel – wer will schon in den Ferien arbeiten? Es würde schon genügen,
ein Bewusstsein für die schlichte Vorstellung zu schaffen, dass man den Dreck
nicht einfach fallen lässt und den Müll dort verteilt, wo man sein Picknick
abgehalten hat.
Nach einer Tagesstrecke von 20 Kilometern verbrachte
ich die nächste Nacht in Vila Nova de Milfontes, das nach dem Rummel im Sommer,
mit seinen open air Rock-Konzerten, fast verschlafen wirkte. Ich bat ich
einen Fischer, Sr. Ilídio, mich mit seinem Boot über die Mündung des Rio Mira
überzusetzen. Auf dieser dritten Etappe, die mich bis Zambujeira do Mar führte,
musste ich große Bögen um einige Täler machen, deren steile Hänge ich nicht
mit dem Rucksack auf dem Rücken erklettern wollte, denn der Schieferboden
erwies sich als ziemlich trügerisch. So mutete ich mir an diesem Tag 40
Kilometer zu, wurde allerdings mit dem wunderbaren Ausblick vom Cabo Sardão,
der höchsten Steilklippe der Costa Vicentina belohnt. Und einmal kreuzte
sogar ein Fischottern-Paar meinen Weg. Als Ziel des nächsten Tages war Arrifana
vorgesehen. Aber wegen der Flut ließ sich der Rio Seixe nicht überqueren, und
so musste ich einige „unnötige“ Kilometer bis Baiona ablaufen, zur ersten
Brücke über den Fluss (es ist übrigens die Brücke, welche die Grenze
zwischen Algarve und Alentejo markiert). Und so übernachtete ich an der Praia
de Odeceixe, in der einzigen Pension, die im Oktober noch offen ist.
Am nächsten Tag stand ich an der Praia da Amoreira
vor derselben Situation. Dieses Mal war es die Ribeira de Aljezur, deren Mündung
man bei Ebbe mühelos durchqueren kann, die nun aber meinem weiteren Vorankommen
einen Riegel vorschob. Um einen riesigen Umweg über Aljezur zu vermeiden, bat
ich zwei deutsche Touristen, mich in ihrem Wagen mitzunehmen, und gemeinsam
steuerten wir einige mir bekannte schöne Fleckchen an, darunter die Praia de
Arrifana. Wir landeten schließlich in der Casa das Dunas in Carapateira,
wo meine „Chauffeure“ – völlig begeistert von der Großartigkeit des
Strandes und der Dünen von Carapateira – sich entschlossen, eine Woche zu
bleiben. Ich jedoch zog sehr früh am nächsten Morgen los, begleitet von einem
wunderschönen Sonnenaufgang. Ich hatte fast 40 Kilometer vor mir bis zu meinem
Endziel Sagres. Es war eine ziemlich anstrengende Strecke, denn das Gelände
weist viel Gefälle auf, mit verschiedenen Hängen, die man erklettern muss. Als
ich gelegentlich eine Abkürzung nehmen wollte, geriet ich – gemäß dem
portugiesischen Sprichwort, dass abgekürzte Wege doppelt so lang sind – in
ein undurchdringliches Gestrüpp von Zistrosen und Stechginster. Schließlich
erreichte ich die Torre de Aspa, mit 156m der höchste Punkt des südwestlichen
Barlavento, von wo ich in der Ferne am Horizont bereits den Leuchtturm des Cabo
São Vicente ausmachen konnte. Von nun ab, mit der Zielgerade sozusagen vor
Augen, purzelten die Kilometer nur noch. Die körperlichen Anstrengungen
verflogen im Anblick der Schönheit dieser rauen Landschaft mit dem weiten Meer
im Hintergrund. Doch je näher das Ziel rückte, desto mehr verdichteten sich
die Zeichen der Zivilisation in Form von Bauschutt und Verpackungsmüll,
traurige Symbole unserer Konsumgesellschaft. Bleibt nur zu hoffen, dass die
Verantwortlichen, die Bevölkerung, aber auch bestimmte rücksichtslose
Touristen begreifen, dass sie im Begriff sind, eine der letzten Juwelen der
iberischen Halbinsel zu zerstören und ein Erbe, das für zukünftige
Generationen bewahrt werden sollte.
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Portugal-Post Nr. 19 / 2002
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Cabo Sardão - hier geht es
80 m in die Tiefe
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Leuchtturm von Cabo Sardão
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Hütte der Tangfischer von
Azenha do Mar
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