.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Ein Platz an der Sonne – Deutsche Kolonien 1997

Von Elke Bubrowski *

Man stelle sich das in Portugal vor: Einheimische am Stammtisch, die darüber räsonnieren, wieviel deutsche Ausländer ihr Land noch verkraften kann und wie man die „überzähligen“ schnell und billig loswird, um eine „Überfremdung“ zu verhindern. Solche und ähnliche Gedanken drängten sich mir des öfteren auf, als ich zu meiner Überraschung im vergangenen Sommer entdeckte, dass der Südwesten Portugals bevorzugtes Einwanderungsgebiet für Deutsche geworden ist. Dabei finden es hiesige Einheimische sicher ganz selbstverständlich, dass ihre Landsleute in diesem notorisch armen und zurückgebliebenen Land gastfreundlich aufgenommen und behandelt werden.

 Portugal als Inbegriff deutscher Sehnsüchte nach Sonne, Strand, exotischer oder auch dekadenter Idylle ist nun ein altes Muster. Schon die Comedian Harmonists sangen in ihrem Lied Wie wär’s mit Lissabon?: „Sprichst du auch nicht fließend portugiesisch, doch das Land ist paradiesisch.“ Schon der Diktator Salazar bestätigte mit seinem Diktum, die Portugiesen seien „arm, aber zufrieden“ deutsche Klischees von zahnlos-glücklichen Fischern an sauberen Stränden und pittoresken blau-weißen Dörfern. Und: Das Land bedient ja diese Erwartungen von hektik- und wetterfrustierten Nordeuropäern noch immer! 

Auf den schmalen Landstraßen des Alentejo begegneten uns nicht nur neurotisch Jagd auf Fußgänger und andere Störfaktoren machende portugiesische Auto-Machos, sondern eben auch bunte Eselskarren mit Frauen in schwarzen Kopftüchern. Und in São Teotónio aßen am Markttag Hunderte von lautstark disputierende Alentejaner im Café Central ihre Grillhähnchen per Hand direkt vom Tisch (Teller und Bestecke gab es nur für verirrte Touristen); das Brot dazu schnitten sie sich mit ihren Taschenmessern ab. Ein idyllisches historisches Gegenmodell zu den internationalen Macs (qualitativ aber haushoch überlegen!), also touristische Verzückung meinerseits!

 Und dann, auf der anderen Seite des Marktplatzes, ein gutes Stück entfernt von den sonntäglich aufgeputzten PortugiesInnen, die mit vollen Markttaschen auf den Bus in ihre Dörfer warteten, unüberseh- und hörbar eine größere Gruppe durchaus nicht assimilierter Ausländer. Es war die deutsche Kolonie der Gegend, eine Ansammlung von freundlichen und auffällig ungepflegten, teils auch verwahrlost aussehenden Alt-Hippies, gekleidet im Stil der 70er, mit zahlreichen eher wenig bekleideten Kindern, deren Verhalten von dem der portugiesischen Gleichaltrigen differierte und durch den vollkommenen Mangel an Dezenz schmerzlich ins Auge und Ohr fiel.

 Diese Fraktion deutscher Einwanderer geht zurück auf den Tschernobyl-Schock, angesichts dessen eine Reihe zumeist jüngerer Leute an den Rand Europas flüchteten, um sich und ihre Kinder vor radioaktiven Schäden zu bewahren. So sehr das auch nachvollziehbar sein mag, auf mich wirkte die Gruppe ausgesprochen abstoßend, und zwar nur deswegen, weil sie trotz ihrer offensichtlichen Armut eine deutliche Kolonialisten-Mentalität zur Schau trug – und gerade nicht die in der hiesigen Diskussion immer wieder geforderte Assimilation. Eine gewisse freundliche Überheblichkeit gegenüber der sie umgebenden Kultur nach dem Motto: Was soll die spießige Wascherei! Oder: Wieso brauchen Kinder bei der Wärme mehr als Unterhosen! – Diese Haltung zeugt nicht gerade von Respekt vor einem Land, dessen Gastfreundlichkeit diese Einwanderer ja beanspruchen und auch erhalten.

 Glücklicherweise gibt es im Alentejo und Algarve auch eine ganz andere, quantitativ auch wohl bedeutendere Gruppe deutscher Einwanderer, die weder provokant noch in geschlossenen Gruppen auftritt. Es handelt sich um Leute, die entweder finanziell abgesichert sind (dabei durchaus nicht überwiegend im Ruhestand leben) oder mit Hilfe der neuen telekommunikativen Möglichkeiten von Portugal aus für Firmen in Nordeuropa tätig sind oder schließlich solche, die den Versuch unternehmen, unter Einsatz ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse in diesem Land zu überleben. In der Gegend von Aljezur etwa gibt es ein sog. „Tal der Deutschen“, in dem nur noch ganze zwei portugiesische Bauern zwischen lauter deutschsprachigen Ausländern leben.

 Und in der Stadt selbst existieren,  ganz wie in Hamburg-Altona und andernorts , Schulklassen mit mehr als 50% Ausländeranteil – nur sprechen diese deutsch! Sicher bringen solche Einwanderer wie überall auf der Welt auch eine kulturelle Bereicherung für das Land. So konnten wir bei unseren Vermietern (Schweizern) eine höchst avancierte Haustechnik u.a. in puncto Energiegewinnung aus Sonne und Wind, Wassernutzung und nicht zuletzt ein gelungenes Beispiel ökologischer Gartenbewirtschaftung bewundern. Solche Modelle können u.U. wichtige und nötige innovative Impulse geben.

 Wenn man sich nun zu den beiden genannten Gruppen die erhebliche Menge der deutschen Ferienhausbesitzer hinzudenkt, die zumeist nur den Sommer dort verbringt, kann man sich eigentlich nur wundern über die große Freundlichkeit und Offenheit dieses Volkes, das offenbar Salazar zum Trotz nie ganz „gelernt“ hat, fremde Minderheiten mit Vorschriften, Paragraphen und direkter Diskriminierung zu erdrücken. Beklemmung beschleicht mich, wenn ich daran denke, dass portugiesische Schülerinnen im Rahmen eines von mir mitbetreuten Austauschprogramms in Hamburg nicht ohne Angst S-Bahn fahren konnten, da sie immer wieder mit ausländerfeindlichen Sprüchen traktiert wurden.

 Die verzweifelte Forderung des Schusters Wilhelm Vogt (alias Hauptmann von Köpenick) in Zuckmayers Stück von 1931 gilt für uns hier unverändert: „Erst (kommt) der Mensch. Friedrich! Und dann die Menschenordnung!“ Portugal – so scheint mir – ist in diesem Punkt weniger zurückgeblieben.


* ElkeBubrowski ist Gründungsmitglied der PHG. Sie unterrichtet Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Darstellendes Spiel am Gymnasium Hochrad und hat verschiedene Gruppen auf dem Schüleraustausch begleitet, den dieses einzige Gymnasium Hamburgs mit Portugiesischangebot seit nunmehr 15 Jahren mit der Escola Secundária de Cascais betreibt.
Der vorstehende Artikel wurde bereits in im Rundschreiben No.5 (Nov.-Dez. 1997) abgedruckt. Da die meisten unserer Mitglieder nicht (mehr) im Besitz dieses Blattes sind und der Artikel nichts an Aktualität eingebüßt hat, erlauben wir uns, ihn an dieser Stelle nachzudrucken.




| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 19 / 2002


Die Kirche von S.Teotónio...




... und der Marktplatz von S.Teotónio