Man stelle sich das in Portugal vor: Einheimische am
Stammtisch, die darüber räsonnieren, wieviel deutsche Ausländer ihr Land noch
verkraften kann und wie man die „überzähligen“ schnell und billig loswird,
um eine „Überfremdung“ zu verhindern. Solche und ähnliche Gedanken drängten
sich mir des öfteren auf, als ich zu meiner Überraschung im vergangenen Sommer
entdeckte, dass der Südwesten Portugals bevorzugtes Einwanderungsgebiet für
Deutsche geworden ist. Dabei finden es hiesige Einheimische sicher ganz
selbstverständlich, dass ihre Landsleute in diesem notorisch armen und zurückgebliebenen
Land gastfreundlich aufgenommen und behandelt werden.
Portugal als Inbegriff deutscher Sehnsüchte nach
Sonne, Strand, exotischer oder auch dekadenter Idylle ist nun ein altes Muster.
Schon die Comedian Harmonists sangen in ihrem Lied Wie wär’s mit
Lissabon?: „Sprichst du auch nicht fließend portugiesisch, doch das Land
ist paradiesisch.“ Schon der Diktator Salazar bestätigte mit seinem Diktum,
die Portugiesen seien „arm, aber zufrieden“ deutsche Klischees von
zahnlos-glücklichen Fischern an sauberen Stränden und pittoresken blau-weißen
Dörfern. Und: Das Land bedient ja diese Erwartungen von hektik- und
wetterfrustierten Nordeuropäern noch immer!
Auf den schmalen Landstraßen des Alentejo begegneten uns
nicht nur neurotisch Jagd auf Fußgänger und andere Störfaktoren machende
portugiesische Auto-Machos, sondern eben auch bunte Eselskarren mit Frauen in
schwarzen Kopftüchern. Und in São Teotónio aßen am Markttag Hunderte von
lautstark disputierende Alentejaner im Café Central ihre Grillhähnchen
per Hand direkt vom Tisch (Teller und Bestecke gab es nur für verirrte
Touristen); das Brot dazu schnitten sie sich mit ihren Taschenmessern ab. Ein
idyllisches historisches Gegenmodell zu den internationalen Macs (qualitativ
aber haushoch überlegen!), also touristische Verzückung meinerseits!
Und dann, auf der anderen Seite des Marktplatzes, ein
gutes Stück entfernt von den sonntäglich aufgeputzten PortugiesInnen, die mit
vollen Markttaschen auf den Bus in ihre Dörfer warteten, unüberseh- und hörbar
eine größere Gruppe durchaus nicht assimilierter Ausländer. Es war die
deutsche Kolonie der Gegend, eine Ansammlung von freundlichen und auffällig
ungepflegten, teils auch verwahrlost aussehenden Alt-Hippies, gekleidet im Stil
der 70er, mit zahlreichen eher wenig bekleideten Kindern, deren Verhalten von
dem der portugiesischen Gleichaltrigen differierte und durch den vollkommenen
Mangel an Dezenz schmerzlich ins Auge und Ohr fiel.
Diese Fraktion deutscher Einwanderer geht zurück auf
den Tschernobyl-Schock, angesichts dessen eine Reihe zumeist jüngerer Leute an
den Rand Europas flüchteten, um sich und ihre Kinder vor radioaktiven Schäden
zu bewahren. So sehr das auch nachvollziehbar sein mag, auf mich wirkte die
Gruppe ausgesprochen abstoßend, und zwar nur deswegen, weil sie trotz ihrer
offensichtlichen Armut eine deutliche Kolonialisten-Mentalität zur Schau trug
– und gerade nicht die in der hiesigen Diskussion immer wieder geforderte
Assimilation. Eine gewisse freundliche Überheblichkeit gegenüber der sie
umgebenden Kultur nach dem Motto: Was soll die spießige Wascherei! Oder: Wieso
brauchen Kinder bei der Wärme mehr als Unterhosen! – Diese Haltung zeugt
nicht gerade von Respekt vor einem Land, dessen Gastfreundlichkeit diese
Einwanderer ja beanspruchen und auch erhalten.
Glücklicherweise gibt es im Alentejo und Algarve
auch eine ganz andere, quantitativ auch wohl bedeutendere Gruppe deutscher
Einwanderer, die weder provokant noch in geschlossenen Gruppen auftritt. Es
handelt sich um Leute, die entweder finanziell abgesichert sind (dabei durchaus
nicht überwiegend im Ruhestand leben) oder mit Hilfe der neuen
telekommunikativen Möglichkeiten von Portugal aus für Firmen in Nordeuropa tätig
sind oder schließlich solche, die den Versuch unternehmen, unter Einsatz ihrer
Fähigkeiten und Kenntnisse in diesem Land zu überleben. In der Gegend von
Aljezur etwa gibt es ein sog. „Tal der Deutschen“, in dem nur noch ganze
zwei portugiesische Bauern zwischen lauter deutschsprachigen Ausländern leben.
Und in der Stadt selbst existieren,
ganz wie in Hamburg-Altona und andernorts , Schulklassen mit mehr als 50%
Ausländeranteil – nur sprechen diese deutsch! Sicher bringen solche
Einwanderer wie überall auf der Welt auch eine kulturelle Bereicherung für das
Land. So konnten wir bei unseren Vermietern (Schweizern) eine höchst avancierte
Haustechnik u.a. in puncto Energiegewinnung aus Sonne und Wind, Wassernutzung
und nicht zuletzt ein gelungenes Beispiel ökologischer Gartenbewirtschaftung
bewundern. Solche Modelle können u.U. wichtige und nötige innovative Impulse
geben.
Wenn man sich nun zu den beiden genannten Gruppen die
erhebliche Menge der deutschen Ferienhausbesitzer hinzudenkt, die zumeist nur
den Sommer dort verbringt, kann man sich eigentlich nur wundern über die große
Freundlichkeit und Offenheit dieses Volkes, das offenbar Salazar zum Trotz nie
ganz „gelernt“ hat, fremde Minderheiten mit Vorschriften, Paragraphen und
direkter Diskriminierung zu erdrücken. Beklemmung beschleicht mich, wenn ich
daran denke, dass portugiesische Schülerinnen im Rahmen eines von mir
mitbetreuten Austauschprogramms in Hamburg nicht ohne Angst S-Bahn fahren
konnten, da sie immer wieder mit ausländerfeindlichen Sprüchen traktiert
wurden.
Die verzweifelte Forderung des Schusters Wilhelm Vogt
(alias Hauptmann von Köpenick) in Zuckmayers Stück von 1931 gilt für uns hier
unverändert: „Erst (kommt) der Mensch. Friedrich! Und dann die
Menschenordnung!“ Portugal – so scheint mir – ist in diesem Punkt weniger
zurückgeblieben.