.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Bildteppiche aus Portalegre

Von Renate Petriconi *

Mit Portugal verbinden die meisten Liebhaber der Textilkunst die feinen, durchbrochenen Weißstickereien aus Madeira. Dass aber auch auf dem Festland und gerade in den Provinzen Beira Baixa und Alentejo alte Zentren der Textilkunst ansässig sind, ist wenig bekannt. In Castelo Branco wird seit alters her die Flachstickerei gepflegt, in Arraiolos entstehen die Teppiche mit abgewandelten orientalischen Mustern und in Portalegre ist die landesweit bedeutende Papisseriewerkstatt für Bildteppiche seit dem 18. Jh. angesiedelt.

Technik und Gattung

Bildteppiche sind, im Unterschied zum gemusterten Teppich, aus farbigen Fäden hergestellte Wandbehänge mit bildlichen Darstellungen. Die Bilddarstellungen können durch Wolle und andere Fäden eingewirkt, appliziert oder aufgestickt sein. Bei den Tapisserien von Portalegre handelt es sich um Bildwirkereien. Diese werden nach Vorlage eines Künstlers, die man Karton nennt, hergestellt. In Portalegre arbeitet man auf einem Hochwebstuhl. Die Weber, vielfach Frauen, sitzen vor den senkrecht gespannten Kettfäden und tragen den quer verlaufenden Schuss ein. Die Kettfäden bestehen meist aus stark gedrehter Wolle, der Schuss wiederum aus Wolle oder anderen Materialien. Der Schuss wird jeweils nur so weit geführt, wie es die Zeichnung des Kartons verlangt, läuft somit nie, etwa wie bei der Stoffweberei,  über die ganze Gewebebreite. Im Laufe der Zeit setzte sich neben anderen Techniken die des liegenden Fadenlaufs, bei dem der Wirker mit beiden Händen arbeiten konnte, durch. Mit einem Kamm werden die  Schussfäden danach fest angeschlagen und so die Kettfäden ganz abgedeckt. Ein besonderes Merkmal dieser Wirktechnik ist, dass an den Berührungsstellen der verschiedenen Farben Schlitze (daher kam es auch zu der Bezeichnung Schlitzwirkerei) entstehen, die nachträglich auf der Rückseite zugenäht werden. Wenn für Kette und Schuss unterschiedliche Materialien, wie Leinen und Wolle, Wolle und Seide verwendet werden, entsteht das für Wirkereien typische ripsartige Aussehen. Der Wirkstuhl besitzt keine Vorrichtung für eine mechanische Wiederholung eines Musters, des sogenannten Rapports. Diese Technik ist also für die bildliche Darstellung besonders geeignet.

Geschichte der portugiesischen Bildwirkereien

In Portugal in der Mitte des 15. bis Ende des 16. Jahrhunderts, der Zeit der hiesigen Renaissance, erreichte die Entwicklung der bildenden Kunst und Architektur unter den Königen Manuel I (1495-1521) und João III (1521-1557) mit dem sogenannten Manuelinischen Stil einen Höhepunkt. Das Land hatte zwar ein Tapiceiro Real, verfügte aber nur über unbedeutende eigene Bildwirker. Der Hof war von den flandrischen Arbeiten fasziniert und bestellte ganze Bildserien, wie zum Beispiel um 1557 in Brüssel das kostspielige Unterfangen einer Bildfolge bestehend aus 10 Stücken zum Thema 'Die Eroberungen in Indien durch Dom João de Castro' (heute im Kunsthistorischen Museum in Wien). Diese besonders feinen, reich mit Gold-, Silber- und Seidenfäden  gefertigten Stücke waren monumentale Zyklen die die religiöse Historie, Allegorien oder detailreiche Landschaften zum Thema hatten. Sie dienten zum Schutz gegen Kälte und wie heute zum Schmuck. Besonders bei festlichen Anlässen wurden die Innenräume der Prunksäle von Schlössern, Burgen, Rathäusern und Gerichten, die Pfeiler der Kirchen und die Balkons der Patrizierhäuser mit einzelnen oder ganzen Serien von Bildteppichen geschmückt.

Die Lage der unbedeutenden nationalen Produktion änderte sich erstmals 1771 unter Mithilfe französischer Textiltechniker. In diesem Jahr gründete der leitende Minister Marquês de Pombal (1699-1782) die königliche Seidenfabrikation Real Fábrica das Sedas in Lissabon. Dieser Manufaktur war eine Abteilung für Bildteppiche unter der Leitung von João Gonçalves angegliedert. Fünf Jahre später gründeten die aus Aubusson, einem berühmten Zentrum französischer Tapisseriekunst, stammenden Mergoux und Heitor eine Fabrikation in Tavira; sie stellte jedoch bereits 1783 ihre Tätigkeit wieder ein. Aus dieser Zeit sind allerdings die einzig erhaltenen Arbeiten, die sich heute im Museu Nacional de Arte Antiga in Lissabon und im Museu Municipal do Dr. Santos Rocha in Figueira da Foz befinden, überliefert.

Portalegre, heute Distrikthauptstadt am Fuße der Serra de Portalegre im Alto Alentejo nahe der spanischen Grenze gelegen, hatte seit dem Mittelalter neben Holz- und Korkwirtschaft eine Zentrale Stellung innerhalb der Wollverarbeitung. Pombal gründete hier 1772 die Wollindustrie Real Fábrica de Lanifícios de Portalegr'. Er siedelte die Manufaktur im ehemaligen Jesuitenkloster São Sebastião an. Diese Anlage war im Jahre 1759 nach der durch den Marquês veranlassten Vertreibung der Jesuiten in den Besitz der Krone gelangt. Zum damaligen Zeitpunkt arbeiteten etwa 2 000 Personen im Unternehmen. Das Wohlergehen der Manufaktur war ganz wesentlich mit dem ihres Gründer und im Geiste des aufgeklärten Absolutismus bis 1777 wirkenden Ministers verbunden. 1788 wurde die Fabrik an ein privates Unternehmen verkauft und ging nach der napoleonischen Invasion im Jahre 1822 an den französischen Manufakturmitarbeiter und  Färber Larcher über. Die Familie Larcher betrieb in Portalegre noch weitere Firmen, die jedoch, wie der überwiegende Teil der Wollindustrie, durch die Wirtschaftskrise 1866 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum Erliegen kamen, und auch der Versuch die Tapisseriewerkstätten durch eine Kooperation mit einer Bankgesellschaft aus Porto zu retten scheiterte. 1897 wurden die Gebäude an den englischen Korkproduzenten Robinson verkauft, der die Gebäude als Lagerraum nutzte.

Welche Bedeutung die königliche Manufaktur einstmals für Portalegre hatte, kommt auch in den vier Zeilen eines Liedes zum Ausdruck:

Oh cidade de Portalegre,

Duas coisas tens em ti:

A fábrica Real

E o Senhor de Bonfim.

wobei es sich bei besungenem Senhor Conde de Bonfim um einen aktiven liberalen Militärpolitiker handelte, den man Mitte des 19. Jahrhunderts nach Angola verbannte.

Die daniederliegende Textil-, Woll- und Tapisserieindustrie kam erst in den Jahren um 1920 durch Manuel do Carmo Peixeiro und Francisco Fino und seine Familie wieder in Gang. Carmo Peixeiro war ein in Frankreich ausgebildeter Textilingenieur, der 1914 in der Wollindustrie in Portalegre arbeitete und 1918 nach Porto ging. Hier gründete er 1921 die Manufactura Portuguesa de Tapeçaria Lda. und stellte bereits im gleichen Jahr und 1924 in Lissabon seine Tapisserien im Stile der französischen Gobelins- und Aubusson-Technik aus. 1923 eröffnete er in Portalegre Webereien für Samt, Baumwolle und Seiden, gründete 1926 eine Teppichfirma und erprobte Verfahren zur Qualitätsverbesserung.

Francisco Fino und weitere Familienmitglieder gründeten ebenfalls mit sehr wechselhaftem Erfolg Fabrikationen innerhalb der Textilveredelung. Sie stellten unter anderem Knüpfteppiche im Stile von Smyrna-Arbeiten her. Erst 1946 wurde unter Guy Roseta Fino die noch heute erfolgreich bestehende Firma Tapetes de Portalegre Lda. gegründet. Carmo Peixeiro machte den Firmengründer mit seinen Experimenten unterschiedlicher Schussführung im Gegensatz zur französischen Technik vertraut. Erste Arbeiten in dieser neuen Technik entstanden 1947 nach Kartons der portugiesischen Künstler Guilherme Camarinha und João Tavares. Der Bildaufbau der Entwürfe war jedoch noch recht konventionell, man arbeitete mit einem umlaufenden Rand- und einem zentralen Hauptfeld mit der eigentlich erzählenden Darstellung. Bald jedoch lieferten bedeutende portugiesische Künstler, wie Maria Keil, Júlio Pomar, Mário Dionísio und Almada Negreiros  Kartons, um nur einige der Künstler der ersten Stunde zu nennen. Käufer der erlesenen und teuren Stücke war damals überwiegend die öffentliche Hand. 1952 vollzog sich durch eine französische Ausstellung in Lissabon mit dem Thema: Tapisserien vom Mittelalter bis zur Neuzeit, der die Werkstätten aus Portalegre eine kleine Schau angliederten, ein internationaler Durchbruch. Die französischen Aussteller waren überwältigt von der portugiesischen Qualität der Bildteppiche.  Premierminister Oliveira Salazar war ebenfalls Ausstellungsbesucher und bestellte für verschiedene Ministerien Werke. Diese ersten Erfolge ermutigten Guy Fino im gleichen Jahr zu einem Besuch bei Jean Lurçat (1892-1966) in Frankreich. Erläuternd muss erwähnt werden, dass Lurçat der Erneuerer der  modernen französischen Bildwirkerei war und seine Bedeutung der von Le Corbusier für die Architektur durchaus vergleichbar ist. Lurçats Arbeiten mit naturalistischen und vielfach surrealistischen, lyrisch-phantasievollen Elementen sind sowohl vom Material und der Farbe her dekorativ geschaffen. Anlässlich eines Kongresses in Lissabon besuchte Lurçat die Manufaktur in Portalegre und war von der meisterhaften Ausführung überzeugt. Bis zu seinem Tode ließ er mehr als 80 seiner Entwürfe in Portalegre herstellen und in der französischen Zeitschrift Nouvelles Régionales de Nice wurden die Arbeiten von Portalegre als die derzeit besten der Welt eingeschätzt. Bei internationalen Ausstellungen blieben die Anerkennungen nun nicht aus. So wurde unter anderem Marcelo de Morais Entwurf 'Energia' 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel prämiert. Bedeutende Galerien in Österreich, Kalifornien, Texas, der Schweiz und Schweden stellten die Tapisserien aus. Unter den Käufern war auch die Peter Stuyvesant Foundation. Ausländische Künstler wurden auf die hohe Qualität aus Portalegre aufmerksam und bestellten ihrerseits ganze Serien an Bildteppichen, wie der Ungar Mathieu Matégot, die Amerikanerin Martha Mood und die beiden Australier Arthur Boyd und Sidney Nolan. 1964 begann Le Corbusier mit Portalegre zusammenzuarbeiten. Er plante etwa einhundert verschiedene Stücke zu deren Ausführung es jedoch durch seinen Tod im Jahre 1966 nicht mehr kam. Gewirkt wurde lediglich Les Deux Musiciens.

Nahezu alle bedeutenden portugiesischen Künstler lieferten Kartons für die Werkstätte. Abnehmer dieser wunderschönen Stücke waren öffentliche Auftraggeber, in- und ausländische Banken, die Industrie, Hotels und viele, die einen Repräsentationsbedarf hatten. Die Nelkenrevolution im Jahre 1974 löste für die Manufaktur eine ernsthafte Krise aus. In den ersten Jahren fiel das sogenannte Rückgrat der Produktion, die öffentlichen Aufträge, völlig weg, und gleichzeitig blieben die ausländischen Bestellungen aus. Die Manufaktur stand vor ihrer Schließung. Mário Soares, selbst ein leidenschaftlicher Sammler moderner Kunst, sah in der Manufaktur jedoch ein zu erhaltendes nationales Erbe und veranlasste einige Aufträge. Von 1975 an arbeitete die Manufaktur gemeinsam mit Teresa Amado, die auch die Galeria Tapeçarias de Portalegre in der Rua da Academia das Ciências, 2J ab 1987 in Lissabon leitet. Eine weitere wertvolle Zusammenarbeit war die von 1976-1982 mit dem Schweizer Werner Burckardt, der Verkaufsverbindungen und Kontakte zu Künstlern herstellte. Ausstellungen 1978 in Brasilien und 1981 in Paris brachten mit viel Erfolg immer wieder die qualitätvollen Wirkereien aus Portalegre für den Betrachter ins Bewusstsein. 1996 feierte das heute bereits in der 2. Generation geleitete Unternehmen sein 50. Bestehen.

Die Arbeiten aus Portalegre sind heute fester Bestandteil der Sammlung der Fundação Gulbenkian, der Banken wie: Banco de Portugal, Espírito Santo, Caixa Geral de Depósitos, der TAP, der Hotels Barcelona in Lissabon, Tivoli, Marinotel in Vilamoura, von Ministerien und öffentlichen Bauten. Eine Vielzahl privater Liebhaber sind im Besitz von Bildteppichen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Besitz einer Tapisserie aus Portalegre heute für den gut bemittelten, anspruchsvollen Portugiesen zum Muss geworden ist. Es wäre schön, wenn die kunstvollen und überaus dekorativen  Arbeiten mehr Aufmerksamkeit in Deutschland finden würden.

Die Werkstätten unterhalten, wie schon erwähnt, in Lissabon eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen (Tel. 21 3468202). Darüber hinaus kann bei ernsthaftem Kaufinteresse die Manufaktur in Portalegre besucht werden. Eine touristische Besichtigung, wie sie in den Reiseführern noch steht, ist nicht mehr möglich.

Ganzjährig geöffnet ist hingegen das Museu de Tapeçaria de Portalegre Guy Fino im Palácio Castelo Branco in Portalegre.


* PHG-Mitglied Renate Petriconi ist Kunsthistorikerin und lebt mit ihrem Mann Viktor in Praia da Luz. Sie publiziert in verschiedenen wissenschaftlichen Werken und Zeitschriften. Auch die Leser der „Portugal-Post“ sind bereits mehrfach in den Genuss von Renate Petriconis profunden Kenntnissen gekommen, zuletzt in ihrem Beitrag über das arabische Erbe des Algarve (in: P-P 16, S.11-14)

Der vorliegende Beitrag erschien im Oktoberheft 2001 der Zeitschrift „Entdecken Sie Algarve“ und wurde durch die Verfasserin für die „Portugal-Post“ geringfügig verändert




| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 20 / 2002


Man betritt die Manufaktur in Portalegre durch den Eingang des ehemaligen Jesuitenkollegs São Sebastião




'Na Praia', Bildteppich nach einem Karton von Manuel Amado, 2,00 x 2,90 m, 1993