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Zweisprachigkeit - eine neue Lebensform

Von António Justo *

Die Türken und die Portugiesen stehen beispielhaft für unterschiedliche Lebensformen unter den Ausländern in einem Gastland (in Frankreich sind die Portugiesen die Mehrheit, in Deutschland die Türken). Während die Portugiesen sich integrieren oder sich anpassen, reagieren die Türken aus religiösen oder kulturellen Gründen allergisch auf eine noch so bescheidene Integration und schließen sich in undurchdringliche Ghettos ein. Dies hat fast irreparable Folgen, zumal wenn man bedenkt, dass der Erwerb und die Beherrschung der deutschen Sprache eine Voraussetzung für eine wirksame Eingliederung in das System darstellen.

Die portugiesischen Kinder, ebenso wie die der anderen Nationalitäten wären in ihrer Persönlichkeit verstümmelt, wenn sie der Umgebung, in der sie aufwachsen, entfremdet und entwurzelt wären. Wenn Kinder in einer zweisprachigen Umgebung aufwachsen, liegt es auf der Hand, dass sie die Sprache ihrer Eltern und die des Landes lernen müssen, in dem sie leben. Im Fall von Mischehen läge ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung der Übernahme der beiden Kulturen in der Natur der Sache, um das Kind auf eine andere Form des Seins auf dieser Welt vorzubereiten. Die zweisprachige Ausbildung sollte mit der Geburt des Kindes einsetzen, ist doch die Fähigkeit eine Sprache zu erwerben umgekehrt proportional zum Alter.

Es stimmt zwar, dass das Kind bis zum zweiten Lebensjahr Wörter reproduziert und dabei die beiden Sprachen mischt; aber mit der Zeit differenziert es mehr und mehr. Ab zwei Jahren unterscheidet es schon die beiden Sprachsysteme und ab dreieinhalb Jahren die beiden Welten. Der spätere Erwerb einer Sprache vollzieht sich bereits durch den ursprünglichen Filter der Erstsprache. Das zweisprachige Baby erfasst schon im ersten Lebensjahr die unterschiedlichen Laute, die ihm später den Ausdruck erleichtern werden.

Tatsache ist, dass je komplexer eine Sprache ist, sie umso mehr Möglichkeiten eröffnet, selbst im zerebralen Bereich. Die wissenschaftliche Forschung zeigt uns, dass die zweisprachige Persönlichkeit sich von der einsprachigen unterscheidet. Während im Einsprachigen sich die Strukturen statischer und modellhafter herausbilden, ist die Persönlichkeitsbildung im Zweisprachigen prozesshafter, dynamischer und differenzierter.

Zweisprachig sein heißt, einem Prozess ausgesetzt sein, einem Prozess der Veränderung. Es bedeutet nicht, über zwei Sprachen zu verfügen, sondern in zwei Sprachen zu leben, in zwei Welten, andere Räume aufzutun; es bedeutet einen offneren Blick zu haben, andere Perspektiven von der Welt; es bedeutet größere Handlungsfreiheit, dynamische Kenntnisse; es bedeutet in Liebe zu leben, die andere Welt zu akzeptieren wie sie ist, sich in Offenheit mitzuteilen, zu geben und aufzunehmen... sich mitteilen als Form des Lebens; es bedeutet über mehr als eine Existenz zu verfügen.

Über die Frage der Zweisprachigkeit ist von der Wissenschaft viel geschrieben worden, gelegentlich mit widersprüchlichen Ergebnissen. Einige Wissenschaftler empfehlen, dass man mit dem Kind die Sprache spricht, die man beherrscht; das würde bedeuten, dass im Fall von Mischehen (portugiesisch-deutsch) ein Ehepartner portugiesisch spricht und der andere deutsch. Andere gehen darüber hinaus und entproblematisieren die Situation, indem sie sogar empfehlen, je nach Situation zu mischen. Die Puristen und Nationalisten, vor allem vergangener Jahre, wiesen dagegen auf das Problem hin, dass eine Mischsprache entstehen könnte, wobei sie soweit gingen, vom Analphabetismus in beiden Sprachen zu sprechen, vom Fehlen einer ethnischen Identität oder sogar von der Gefahr einer gespaltenen Persönlichkeit des Kindes. Tatsache ist, dass diese Meinung niemals wissenschaftlich erhärtet wurde. Diese Sicht ist zumeist ideologisch geprägt und geht auf die nationalistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts zurück.

Im Bewusstsein der Bedeutung der Sprache und Kultur der Eltern für die Kinder haben die Bundesländer seit 1968 3 - 5 Wochenstunden für den muttersprachlichen Unterricht im Stundenplan vorgesehen. Die große Bedeutung des Erwerbs der Sprache der Vorfahren ist anerkannt aus sozialpädagogischen, psychologischen und wirtschaftlichen Gründen. Alle bilingualen Schüler müssten die Gelegenheit erhalten, ihre Abschlüsse in beiden Sprachen zu erwerben.

Während ausländische Führungsschichten, wie z.B. die Japaner, sich der Bedeutung der interkulturellen Ausbildung bewusst sind und private Schulen einrichten, wobei sie keine Kosten scheuen, damit ihre Sprache und Kultur ihren Kindern vermittelt werden, gibt es eine Reihe sorgloser Eltern, die sich keine Gedanken über die portugiesische Schulbildung ihrer Kinder machen. Alle die ihre Kinder nicht in der portugiesischen Schule anmelden, würden einen Beweis von Geistesarmut an den Tag legen, wenn sie nicht auf den kostenlosen Portugiesischunterricht zurückgreifen würden.

Es wäre verhängnisvoll, die Anmeldung für den Portugiesischunterricht hinauszuschieben. Es gibt Kinder, deren Kontakt zum Portugiesischen nur auf einer negativen Schiene verläuft, so wenn die Eltern, die zu Hause gewöhnlich deutsch mit ihren Kindern sprechen, in Konfliktfällen zum Portugiesischen als Angriffsmittel greifen, nur um zu schelten und zu bestrafen. So macht das Kind lediglich eine sehr bruchstückhafte Erfahrung des Portugiesischen, indem es diese Sprache negativ belegt, abgesehen davon, dass es sie nicht als normale Verkehrssprache wahrnimmt. Unter solchen Umständen kann das Kind keinerlei Motivation entwickeln, Portugiesisch zu lernen. Es gibt auch Erziehungsberechtigte, die um ihr Deutsch voranzutreiben, nicht mehr Portugiesisch sprechen und sich für ein deutsches Kauderwelsch entscheiden und dabei ihr Kind an inkorrekte Sprachstrukturen gewöhnen.

Eltern dürfen sich nicht ihrer Aufgabe entziehen und sich einem gedankenlosen laissez faire hingeben. Für die spätere Entwicklung der Sprache ist die Schule verantwortlich. Der Samen muss jedoch von den Eltern bzw. Großeltern gelegt werden. Die Jugendlichen müssen unbedingt dazu befähigt werden, dass sie in beiden Welten leben und sich ausdrücken können. Auf diese Weise befähigen wir unsere Zöglinge zu größerer Flexibilität und dazu, sich in verschiedenen Welten, Räumen und Epochen zu Hause zu fühlen. Die Zweisprachigkeit, Dreisprachigkeit werden die Realität in einem Europa der Zukunft sein. In einem Vielvölker-Europa eröffnet die Beherrschung von Sprachen auch kulturelle und wirtschaftliche Chancen.

Die Sprache ist meine Heimat, und die Heimat des Zweisprachigen ist die Welt.


* Lehrer für portugiesische Sprache und Kultur in Kassel und Lehrbeauftragter an der Universität Kassel




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Portugal-Post Nr. 22 / 2003


António Justo