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Bücher, die durch Lissabon führen

Von Peter Koj

Trotz der Baumaßnahmen der letzten Jahre ist Lissabon nach wie vor eine Stadt, die man zu Fuß entdecken muss. Gerade für die historischen Stadtviertel sollte man Zeit und Muße mitbringen, denn nur so erschließen sie sich demjenigen der die Stadt mit der Seele sucht. Dabei sollten unsere eigenen Sinne unser Führer sein auf der Entdeckungsreise der rainha do Tejo, der "Königin am Tejo". Sicher kann uns dabei einer der handelsüblichen Lissabonführer zusätzliche Informationen liefern. Hier ist das Angebot sehr groß, vom vielgepriesenen "Lissabon und Umgebung" von Johannes Beck (Müller Verlag) über den Dumont von Jessica Leslie und Rolf Otang bis zu den schmalbrüstigen und reißerisch aufgemachten Billigprodukten, in denen häufig viel Unsinniges steht, wie wir anhand des "Bunte Travel Guide" und seiner abartigen Informationen zum Fado feststellen mussten (Portugal-Post 9, S.24).

Wir möchten den Lissabonbesucher, sofern er nicht unter Zeitdruck steht, statt dessen zur Lektüre von Lissabonführern oder -lesebüchern ermuntern, die zwar von geringerem praktischem Nutzen sind, uns dafür aber zu einem tieferen Verständnis der Stadt führen. Da ist zuerst das Stadtreisebuch Lissabon von Katharina Ristenpart. Es erschien 1989 im Hamburger VSA-Verlag und vereinigt 10 Spaziergänge mit Beiträgen verschiedener Autoren zu den entsprechenden Themenkreisen. Ein erfrischend altmodisches Buch und daher aus dem Sortiment des schnelllebigen Büchermarktes schon wieder verschwunden. Sollten Sie es irgendwo im modernen Antiquariat auftun, greifen Sie zu. Es lohnt sich.

Ganz neu auf dem Markt ist dagegen Werner Herzog, Lissabon. Literarische Streifzüge durch die Stadt. Straßen, Dichter, Lokale (Books on Demand, März 2002). Der langjährige Iberien-Korrespondent der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung mit Wohnsitz in Madrid (!) und seit der "Nelkenrevolution" dem Charme Lissabons verfallen trägt in 13 Kapiteln die Summe seiner Erfahrungen und Kenntnisse zusammen. Hier findet man weniger Informationen über Kunstgeschichte als über historische und zeitgenössische Geschehen und Persönlichkeiten, die das Gesicht der portugiesischen Metropole und ihre Atmosphäre geprägt haben: der Padre Gusmão, der Marquês de Pombal, Salazar, Lissabon als Hort der Kriegsflüchtlinge, die "Nelkenrevolution", dazu die Schriftsteller, in deren Werk sich Lissabon wiederspiegelt, von Pessoa, über Lobo Antunes und Saramago bis Tabucchi.

Und wo wir über Schriftsteller sprechen, lassen wir uns doch von ihnen selbst durch Lissabon führen. Dies tut im wahrsten Sinne des Wortes Fernando Pessoa. In jungen Jahren, als er noch in Durban (Südafrika) lebte, wo sein Stiefvater portugiesischer Konsul war, schrieb er einen englischen Lissabonführer (What the Tourist should see), der fast wie sein gesamtes Werk zu Lebzeiten nie veröffentlicht wurde. Zu seinem 100. Geburtstag veröffentlichte die Lissabonner Stadtverwaltung das Manuskript zusammen mit einer portugiesischen Übersetzung. Auf deutsch liegen gleich zwei Versionen vor: Lissabon. Was der Tourist sehen sollte in der weitgehend auf der portugiesischen Übersetzung beruhenden Übertragung von Karin von Schweder-Schreiner (TMF 1995) und Mein Lissabon, die bei Ammann 1996 erschienene Übersetzung des englischen Originals von Hans Jürgen Balmes und Sabine Dörlemann. Die TMF-Ausgabe hat den Vorteil, dass sie das der zweisprachigen Ausgabe der Lissabonner Stadtverwaltung vorangestellte informative Vorwort von Teresa Rita Lopes enthält; dafür bietet die Ammann-Ausgabe einen Fototeil mit historischen Aufnahmen, der den Text von Pessoa aufs glücklichste ergänzt. Denn Pessoa führt uns durch das Lissabon der frühen 20er Jahre, als auf der Praça da Figueira noch die alte Markthalle stand, die Statue des Marquês de Pombal gerade im Entstehen war, das Nationalarchiv, Torre do Tombo, noch im Parlamentsgebäude São Bento untergebracht war und der Príncipe Real noch Praça Rio de Janeiro hieß.

Doch wen es gelüstet, noch tiefer in die Vergangenheit einzutauchen und Lissabon durch die Augen der Reisenden des 18. bis 20. Jahrhunderts zu sehen, dem empfehlen wir Ellen Heinemann, Lissabon. Ein literarisches Porträt (erschienen 1997 als insel taschenbuch). Der Bogen spannt sich von der Beschreibung der Stadt durch Johann Heinrich Zedler aus dem Jahre 1738 bis zur Darstellung des Chiado-Brandes vom 25.8.1988, eine reichlich sprudelnde Quelle der Information für historisch Interessierte, das Ganze übersichtlich und lesbar präsentiert durch die Zusammenstellung der verschiedenen Auszüge, anfangs nach Themenkreisen, später nach Stadtteilen.

Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, sich Portugals Metropole durch das Werk zeitgenössischer Autoren anzunähern. Dies kann sehr kurzweilig sein, wenn man ein Freund des Kriminalromans ist (dazu die Rezension von Robert Wilson, Tod in Lissabon). Etwas anspruchsvoller ist da schon die Lektüre von José Cardoso Pires, Lissabonner Logbuch (1997 in der deutschen Übersetzung von Maralde Meyer Minnemann im Carl Hanser Verlag erschienen). Der vor einigen Jahren gestorbene Autor (in Deutschland bekannt geworden durch seinen Roman Ballade vom Hundestrand) ist waschechter Lisabonner, kennt seine Heimatstadt bis in den letzten Winkel und jeder Winkel evoziert "Stimmen, Blicke, Erinnerungen" (so der Untertitel). Um Cardoso Pires auf diesen Wanderungen folgen zu können, gehören schon etwas Vorkenntnisse dazu. Das Logbuch ist mit seinen vielen Anspielungen und Querverweisen so etwas wie ein "Lissabon für Fortgeschrittene". António Tabucchi zeigt sich in seinem Nachwort besonders angetan von Cardoso Pires' Vergleich Lissabons mit einem Schiff (daher auch der etwas ungewöhnliche Titel). Und noch ein Tipp: versuchen Sie sich die portugiesische Ausgabe zu besorgen. Es ist eine vom Dom Quixote-Verlag zur Expo '98 herausgegebene Prachtausgabe mit wunderschönen Fotos und Reproduktionen.

Die dichterisch wohl reizvollste Führung durch das Lissabon von heute stammt von António Tabucchi selbst: Lissabonner Requiem (1991 bei Carl Hanser erschienen, das Original unter dem Titel Requiem. Uma alucinação im selben Jahr bei Quetzal Editores). Hier ist der Ich-Erzähler auf dem Weg zu einer mitternächtlichen Begegnung mit dem Geist von Fernando Pessoa. Doch bevor es zu diesem Treffen am Kai von Alcântara kommt, ergeben sich die verschiedensten Begegnungen, alle sehr skurril, aber auch sehr portugiesisch. In ihrer Darstellung schimmert immer wieder die Seelenverwandtschaft und starke emotionale Bindung des Autors an Lissabon durch. António Tabucchi, italienischer Schriftsteller und Dozent für Portugiesisch an der Universität Siena, hat sein Buch auf Portugiesisch geschrieben, "eine Sprache, die ein Ort der Zuneigung und der Reflexion" ist (Vorwort, S.7). Leider fußt die deutsche Übersetzung (von Karin Fleischanderl) auf der italienischen Übersetzung, was ähnlich wie in der deutschen Übersetzung von Robert Wilson's Tod in Lissabon zu Ungereimtheiten bei Ortsangaben führt oder, was vielleicht noch störender ist, dass die portugiesische Anrede für "Sie" (o senhor) wörtlich mit "der Herr" wiedergegeben wird. Doch das sollte Ihnen die Freude nicht verderben an der wohl originellsten und einfühlsamsten literarischen Einführung in Portugals Metropole, einem Lissabon wie es in keinem Führer steht.





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Portugal-Post Nr. 23 / 2003