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Die Rückkehr nach Lissabon -
Der Schock der zweiten Heimat*

Von Peter Koj

Über den "Schock der Heimat" ist in letzter Zeit viel Tinte geflossen. Seit man sich in unserer postmodernen Gesellschaft wieder Gefühle zugesteht, ist dieser Begriff in seiner zentralen Bedeutung für den Auslandsschuldienst immer wieder hervorgehoben worden. Er bezeichnet den schwierigsten Abschnitt bei der Entsendung des Auslandslehrers oder -experten: die berufliche und private Wiedereingliederung in die bundesrepublikanischen Verhältnisse. Doch wie mag es erst jemandem ergehen, der sich inmitten dieses mitunter schmerzhaft verlaufenden Prozesses an die Stätte seines Auslandswirkens zurückbegibt? Würde dieser Prozess nicht erheblich gestört und ein neuer Schock, nämlich der der "zweiten Heimat" oder des "verlorenen Paradieses", die Situation noch verschlimmern?

Nach siebenjähriger Tätigkeit an der DS Lissabon, einer "Schule, die (nicht) einfach funktioniert" (Begegnung 1/1983), hatte der Hamburger Schuldienst mich seit über drei Jahren wieder, als ich im Herbst 86 mit einer Projektgruppe Portugal besuchte. "Weinernte am Douro" stand auf dem Programm, doch eine Woche war für Lissabon reserviert. Den organisatorischen Rahmen lieferte der Gegenbesuch bei den Schülern der DS Lissabon, die im Sommer zu uns nach Hamburg gekommen waren. Somit war der Besuch der alten Wirkungsstätte vorprogrammiert.

Avenida General Norton de Matos - früher einmal bloße Verkehrstangente, heute eher Hauptschlagader der sich wie ein Krebsgeschwür ausdehnenden Metropole. Die im Bau befindliche U-Bahnlinie bedeutet einmal bessere Anbindung der Schule. Eine Fußgängerbrücke über die Avenida bringt bereits neue Sicherheit für die Schüler und Lehrer, die früher beim Überqueren des Zebrastreifens Kopf und Kragen riskierten. Auf dem eigentlichen Schulgelände hat sich - abgesehen von einigen interessanten Großplastiken aus der Werkstatt des neuen Kunstlehrers - nicht viel geändert. So mutet alles ganz vertraut, dann jedoch wieder so fremd an. Woran mag das liegen?

Da sind vor allem die vielen neuen Gesichter. Von den sogenannten entsandten Lehrkräften kenne ich nur noch eine Handvoll: es sind die in meinem letzten Dienstjahr neu eingetretenen Kollegen. Doch diese sind nun auch schon wieder fast in ihrem letzten Lissabonjahr. So schnell vergeht die Zeit! In den ersten Jahren seiner Auslandstätigkeit meint man, dies sei für ewig, man baue hier ein Lebenswerk auf. Doch dann zerrinnt einem die Zeit unter den Fingern. Und wiederum ein paar Jahre später erinnert sich kaum noch jemand an einen.

Man muss erfahren, dass die Probleme, die einen noch vor wenigen Jahren bewegten, inzwischen abgehakt, Schnee von gestern sind. Einem Lehrer, der sich während seiner Auslandstätigkeit an seiner Schule sehr engagiert hat, drängt sich bei einem Wiederbesuch die Frage auf: was ist aus deiner Arbeit geworden? Was hast du eigentlich bewegen und bewirken können? Und leicht könnte er in einen existentiellen Strudel geraten, wenn er sich vor Augen führt, dass zwischen einer 7jährigen oder 17jährigen oder 70jährigen Tätigkeit nur ein gradueller Unterschied besteht. So wird die Tätigkeit an der Auslandsschule zur Parabel für die Vergänglichkeit und Eitelkeit menschlichen Strebens und Handelns überhaupt.

Dass Lissabon ein besonders fruchtbarer Boden für derlei Empfindungen ist, hat nicht nur mit der vielzitierten saudade, der portugiesischen Form des Weltschmerzes, zu tun. Sicher trägt auch die Entfremdung dazu bei, die den Liebhaber des alten Lissabon überkommt, wenn er mit den baulichen Veränderungen der letzten Jahre konfrontiert wird. Mit einer für portugiesische Verhältnisse unglaublichen Geschwindigkeit und Brutalität wird die alte Substanz zerstört und gigantomanischen Projekten geopfert. Der Bürgermeister Krus Abecasis macht sein Wahlversprechen im schrecklichsten Sinne wahr, die Lissabonner würden ihre Stadt nach Ablauf seiner Amtszeit nicht wiedererkennen. H.M. Enzensberger spricht von einer "zielbewussten Zerstörung Lissabons" und einem "Verbrechen, das nicht nur die Portugiesen angeht" (Die Zeit vom 26.9.86, S.56). Für den ehemaligen Lehrer der DS Lissabon bedeutet es eine Intensivierung des "Schocks der zweiten Heimat": Paradise Revisited - Paradise Lost.


* Gekürzte Fassung eines Artikels, den Peter Koj in der Zeitschrift Begegnung. Deutsche Schulen im Ausland (Heft 1/1987, S. 20-21) veröffentlicht hat




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Portugal-Post Nr. 23 / 2003