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Kino ohne Happy End

Von Henrietta Bilawer *

Unter den vom Verfall bedrohten Gebäuden in Lissabon befinden sich auch einige ehemalige Kinopaläste. Sie sind morbide Zeugen großer Vergangenheit.

Auf Lissabons Prachtboulevard Avenida da Liberdade eröffnete kürzlich Portugals erstes Hard Rock Café auf zwei Etagen, geführt von 120 Mitarbeitern und mit 250 Sitzplätzen. Jedoch nicht in einem Neubau ist der Musikladen untergebracht, sondern im ehemaligen Kino Condes - einem Ort Lissabonner Stadtgeschichte. Wo ab jetzt Memorabilien von James Brown, David Bowie, den Rolling Stones oder Madonna und Eminem Fans anziehen, flimmerten noch vor wenigen Jahren Kultfilme. Architekt Rafael Gaspar zeigte Erbarmen mit der historischen Fassade von 1915 und konservierte sie für das Hard Rock Café. Nicht alle Kinos der Stadt haben soviel Glück.

Neue, kleine Kinosäle, in modernen Einkaufszentren gleich im halben Dutzend untergebracht, locken zum schnellen Konsum eines Streifens. Nach dem Büro ein Blitzbesuch im Supermarkt oder Klamottensuche, dann ein Filmchen - alles unter einem Dach. Klangvolle Namen der verblassten Zelluloid-Ära verschwanden derweil: Odeon, Palatino und Europa gibt es nicht mehr, an die Stelle anderer traten blitzende Paläste, deren Namen manchmal noch an Vergangenes erinnern: Über der Metrostation Saldanha erhebt sich ein rötlich schillernder Glasbau; wo einst das Luxuskino Monumental war, steht nun ein Bürohaus gleichen Namens. Als kleiner Tribut laufen auch hier Filme.

Graça ist eines der ältesten Lissabonner Viertel, das dank seiner Hügellage immer wieder ungeahnt weite Blicke über die Stadt eröffnet. In der engen Rua da Graça hingegen wird die schmale Fassade des alten Royal leicht übersehen. 1931 wurde es eröffnet, im Jahr der ersten portugiesischen Tonfilmproduktion. Ein Stern am Giebel, allegorische Darstellungen von Tragödie und Komödie über dem Eingangstor, darunter eine Leier, das Instrument des Schutzheiligen der Musen, Apollon: Symbole legen nahe, dass ein Gang ins Filmtheater einmal Kunstgenuss war. Heute sorgt hinter der Fassade ein Supermarkt fürs leibliche Wohl.

Die traditionsreiche Straßenbahn 28 fährt in der Nähe ab, zum anderen Ende der Stadt und vorbei an allem, was Besucher vom alten Lissabon erwarten. Dabei passiert sie den dunkelgelb getünchten Art-Deco-Bau des Cinema Paris. Ein paar Schritte vom noblen Friedhof Prazeres entfernt modern die Reste eines cineastischen Wahrzeichens: Das Paris steht auf einer Liste von rund zweieinhalbtausend alten Lissabonner Gebäuden, deren Bausubstanz als erhaltenswert eingestuft wurde. Die Kassen der Stadt sind jedoch leer. Ratten und Tauben haben das Filmhaus besetzt, es gab auch ein paar Junkies.

Mit seiner eigenen Geschichte würde der Kinopalast Paris selbst kaum Stoff für einen Film hergeben, es fehlt das Neue und das Überraschende. So, wie dem Paris erging es seit den achtziger Jahren fast allen renommierten Lichtspielhäusern. Eine zeitlang hatte Lissabons Bürgermeister Santana Lopes die Ruine zum Besuch freigegeben. Mit Schutzhelm bewehrt konnten die Lissabonner Abschied nehmen von den Resten rosafarbener Plüschsofas in Foyer und schmuddeligen Fetzen des gelben Bühnenvorhangs. Im Vorführraum liegen noch ein paar alte Schnipsel und Rollen, die neueste von 1969: Bud Spencer ließ die Fäuste kreisen. Danach versuchten die Betreiber, ihr Lichtspielhaus mit indianischen Filmen am Leben zu erhalten.
Im ehemaligen Kassenhäuschen lagern noch Eintrittskarten zu vierzig Escudos - vier Groschen. An ein so billiges Kinoticket kann sich kaum noch jemand erinnern. Billigläden wie Lidl haben sich kurzzeitig für die Übernahme des Paris-Baus interessiert, ein Student legte ein Projekt für ein Themenhotel vor. Wann und was entschieden wird, ist unklar. Die Zukunft des Zelluloidpalastes liegt wohl jenseits von Eden.


* Henrietta Bilawer, in Portugal lebende Journalistin, ist Chefredakteurin der Zeitschrift Entdecken Sie Algarve. Mit ihrer freundlichen Genehmigung entnehmen wir den Artikel der August-Ausgabe dieses Jahres




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Portugal-Post Nr. 24 / 2003


"Monumental" - einst Luxuskino, heute Bürohaus gleichen Namens




Ein cineastisches Wahrzeichen in Lissabon: Der Art-Deco-Bau des berühmten Cinema Paris