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Lissabonner Wochenenden:
Die "Rundfahrt der Langweiler" und der Fahrrad-Parcours von Cascais

Von Peter Koj

Wie verbringen die Lissabonner ihre Wochenenden? Kürzlich wurden Zahlen veröffentlicht, die zeigen dass eine halbe Million Lissabonner die zehn größeren Einkaufszentren aufsuchten. Hier finden die verschiedenen Familienmitglieder alles für ihren jeweiligen Appetit: Spielzonen für die Kleinen, Fitnesszentren, Kinos, Diskotheken für das Jungvolk, Frisöre für die Mütter, Bars und Weinstuben für die Väter. Aber wie vergnügten sich die Lisabonner in der guten alten Zeit, als diese Konsumtempel noch nicht existierten?

Wer nicht zu Hause bleiben wollte und sich in seinem Viertel unterhielt, entschied sich für eine der stadtnahen Strände, sei es auf der outra banda, der anderen Seite (z.B. die Costa de Caparica), sei es an der Mündung des Tejo (von Cruz Quebrada, Carcavelos bis Estoril und Cascais), alles Strände, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen sind. Die wenigen Autofahrer, die es zu der Zeit gab, nahmen die Familie auf eine längere Spazierfahrt mit, die sogenannte volta dos tristes ("die Rundfahrt der Langweiler")

Man fuhr an der Küstenstraße (Marginal) entlang, wo man bei geöffneten Fenstern schon mal die Lungen voll Meeresluft pumpen konnte; ein kleine Pause in Estoril oder Cascais, um eine bica zu nehmen; dann ging es weiter über den Guincho zum Cabo da Roca, dem westlichsten Punkt des europäischen Kontinents; auf dem Weg nach Sintra, in der Gegend von Almoçageme oder Colares, wurden landwirtschaftlichen Produkte erstanden, welche die Bauern der Region, die saloios, am Straßenrand anboten. In Sintra deckte man sich anderweitig ein: mit den berühmten queijadas (Quarkstücken), die man vor Ort verzehrte oder für den Heimweg einwickeln ließ. Auf dem Rückweg vertrat man sich, soweit die Zeit reichte, die Beine in dem wunderschönen Park von Queluz, der von dem damals noch nicht verschmutzten Fluss Jamor durchquert wurde.

Diese Rundfahrt, für viele Familien ein Ritual, erforderte nicht viel Phantasie, was ihr den Beinamen "Rundfahrt der Langweiler" (volta dos tristes) einbrachte. Böse Zungen spielten mehr auf die andere Bedeutung von triste ("traurig") an, indem sie unterstellten, dass die Autofahrer, das heißt die Familienväter, traurig waren, weil diese Rundfahrten sie daran hinderte sich mit ihren Geliebten zu treffen, mit denen sie an den Wochentagen ein Doppelleben führten.

Wie dem auch sei, die volta dos tristes war alles andere als ein gesundheitsfördernder Zeitvertreib. Inzwischen jedoch ist die Gesundheitswelle auch bis an Portugals Küste geschwappt, und so hatte die Stadtverwaltung von Cascais, noch unter ihrem ehemaligen Präsidenten Luís Judas, die ausgezeichnete Idee, parallel zur volta dos tristes einen Fahrrad-Parcours zu bauen. Das heißt, er folgt ihr nur in einem kleinen Teil, denn die ganze Rundstrecke wäre für die meisten Radfahrer zu lang und zu hügelig. Der gewählte Streckenabschnitt von insgesamt 10 km Länge, vom Hafen von Cascais bis zum Guincho-Strand, ist fast flach und stellt einen der schönsten Streckenabschnitte dar.

Und da eine ausgezeichnete Idee selten alleine kommt, bietet die Stadtverwaltung den Radfahrern, die keinen eigenen fahrbaren Untersatz haben, einen kostenlosen Service an. Und so verfügen die Lissabonner, die sich nicht an die immer überfüllteren Strände wagen, noch auf die wegen der des höheren Verkehrsaufkommens und dem damit verbundenen stundenlangen Stehen im Stau immer langweiligeren Rundfahrten als dritte Alternative für das Wochenende über den Fahrrad-Parcours von Cascais.

Wer sich für dieses Freizeitvergnügen entscheidet, wird feststellen, dass es alles sehr leicht und bequem ist: man braucht ur den Zug nach Cascais zu besteigen. Vom Bahnhof geht es in 5-10 Minuten zum Rathaus. Dort findet man direkt vor dem Hotel Baía eine Bude, wo man seinen Personalausweis vorzeigen muss. Der freundliche Angestellte kontrolliert, ob das Fahrrad in technisch einwandfreiem Zustand ist (Bremsen, Gangschaltung) und dann braucht man nur noch zu strampeln.

Zuerst geht es bergauf zur Zitadelle und vorbei an dem frisch renovierten Kulturzentrum von Cascais und dem Castro Guimarães Palast, schön gelegen an der Bucht von Sta Marta. Vorsicht mit entgegenkommenden Autos: es ist Einbahnverkehr. Erst nachdem man die Brücke überquert hat, praktisch vor dem Coconuts, Cascais' historischer Diskothek, beginnt der eigentliche Fahrrad-Parcours, leicht erkennbar an seinem roten Tartan-Belag.

Der Parcours verläuft jetzt immer direkt am Küstenrand. Rechter Hand sieht man den schönen Palast, in dem Umberto, der letzte König Italiens, während seines Exils lebte. Gleich danach auf der linken Seite der "Höllenschlund" (Boca do Inferno), der bei stürmischem Wetter ein atemberaubendes Schauspiel der tosenden Wellen zeigt. Jetzt führt der Parcours ein wenig bergauf über die Klippen hinweg, wo die Angler dreißig Meter über dem Meeresspiegel ihre Angelruten aufgepflanzt haben. Dies ist für mich der schönste und malerischste Teil. Hier sollte man absteigen und den Blick von der kleinen Aussichtsplattform genießen oder sogar auf den grob behauenen Stufen dieses Felsenlabyrinths hinabsteigen, an denen seit Jahrtausenden Wind und Wellen genagt haben.

Weniger schön ist der Anblick, der sich gleich darauf auf der rechten Seite bietet: das neue Viertel Alto da Guia. Mächtige Klötze mit wenig Grünfläche dazwischen überragen bei weitem die ersten Wohnblöcke, die zu Beginn der 80er Jahre gebaut wurden und die damals schon von der Bevölkerung und Umweltfreunden heftig angefeindet wurden. Aber das hat alles nichts genützt: der ex-Bürgermeister Judas ist der Hauptverantwortliche für eine hemmungslose Bautätigkeit in Cascais und einige Leute sagen, dass der Fahrrad-Parcours ein kleines Trostpflaster auf die negativen Auswirkungen dieser kriminellen Stadtplanung sein soll.

Kurz vor dem Kreisverkehr der Rotunda Pedro Monjardino gibt es noch eine Aussichtsplattform, von wo der Radfahrer einen schönen Blick auf die gesamte Küste hat. Der Fahrrad-Parcours überquert jetzt die Straße und von nun ab sieht sich der Radfahrer vom Meer durch die Straße getrennt, die bis zu Guincho führt; aber nicht alle Autofahrer sind vom Geist der Entspannung erfüllt, den diese großartige Landschaft in uns erwecken sollte. Gleich nach dem Kreisverkehr, vor dem Leuchtturm von Guia, gibt es die erste Verpflegungsstelle, wo die ungeübteren Radfahrer sich auf einer Marmor(!)bank ausruhen können. Direkt verpflegen kann man sich nicht, es sei denn an der Repsol-Tankstelle gleich nebenan. Der vorsorgliche Radfahrer sollte sich jedoch sein eigenes Lunchpaket in dem an der Lenkstange befestigten Körbchen mitnehmen.

Nach dieser Erfrischung kann der Radfahrer die letzten 7 Kilometer in Angriff nehmen. Sie sind nicht mehr so abwechslungsreich wie die ersten drei. Man folgt ständig der Straße zur Linken und der Quninta da Marinha zur Rechten. Das riesige Gelände, das sich von der Guia bis zum Guincho und nach Malveira da Serra erstreckt, gehört der Familie Champalimaud, die es wiederum von einem deutschen Verwandten, Heinrich bzw. Henrique Sommer, geerbt hat. Es gehört zum Naturpark Sintra-Cascais, was eine unermüdliche Bautätigkeit nicht verhindern kann, für eine betuchte Kundschaft, versteht sich. Das Volk bleibt durch einen Zaun ausgeschlossen, der den ganzen Fahrrad-Parcours begleitet und keinerlei Abstecher seiner Benutzer gestattet.

Aber es rät sich, die Spazierfahrt hin und wieder zu unterbrechen und sich auf die andere Straßenseite zu begeben (Vorsicht mit rücksichtslosen Autofahrern!), z.B. um die Festung von S. Jorge de Oitavos zu besichtigen, die vor kurz liebevoll restauriert wurde (dazu der Artikel von Prof. José d'Encarnação auf S.28-31 dieser Ausgabe). Eine letzte Möglichkeit sich auf der rechten Seite auszuruhen bietet der Versorgungspunkt am Cabo Raso. Hier gibt es eine Tafel mit Informationen über den Parcours und den Naturpark mit seinen Pflanzen- und Tiergattungen.

Gleich darauf beschreibt der Weg eine Kurve und plötzlich bietet sich dem Radfahrer ein wirklich atemberaubendes Panorama: das Sintra-Gebirge breitet sich wie ein Leporello in voller Breite vor ihm aus, vom Cabo da Roca bis zur Cruz Alta und dem Pena-Palast und Malveira da Serra em miniature am Gebirgsfuß. Von hier ist es nicht mehr weit zum Ende des Parcours am Guincho, wobei man noch an einem anderen Strand vorbeikommt, der Praia da Cresmina, und einer Reihe von Restaurants, den besten der Gegend (João Padeiro, Faroleiro, Porto Santa Maria, Meste Zé, Hotel do Guincho, Muchaxo). Aber vielleicht ist es besser, sich selbst zu versorgen, um nicht zu schlapp für die Rückfahrt zu sein.

Wer einige Zeit am Guincho verbringen möchte, einem der schönsten und originellsten Strände mit seinen Surfern, hat ein kleines Problem: die Räder haben kein Schloss und deswegen sollte man sie nicht aus den Augen verlieren. Und wo wir gerade von Problemen reden, so gibt es noch einen kleinen Schönheitsfehler: am Wochenende ist der Parcours sehr überlaufen, nicht nur von Radfahrern, sondern auch von Joggern, Walkern, Skatern, aber auch einfach von Spaziergängern und Kindern auf Rollern. Und da die Spur nur 2,15 m breit ist, erlebt man gelegentlich brenzlige Situationen. Deshalb meiden die echten Radfahrer mit ihren Rennmaschinen und zünftigen Trikots den Parcours und radeln auf der Straße.

Man muss gerechterweise sagen, dass die Wahl des Fahrrad-Parcours nicht unbedingt von größerer Phantasie zeugt als die Wahl der "Rundfahrt der Langweiler" von einst. Und sie ist noch nicht unter Lissabonnern sehr verbreitet, denn wie man uns berichtete, es sind überwiegend Ausländer, die von dem Angebot der Stadtverwaltung von Cascais Gebrauch machen. Aber wenn es eines Tages Mode werden sollte, handelt es sich zumindest um eine gesunde "Rundfahrt der Langweiler".





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Portugal-Post Nr. 25 / 2004


Rotunda Pedro Monjardino




Blick zurück auf die Boca do Inferno




Am Cabo Raso