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Wolf Bergmann - Wahrhaftigkeit im Exil (Teil 2)

Von Georg Laitenberger *

Ein erster Teil dieses Aufsatzes (siehe Portugal-Post 25) hatte über Leben und Werk des vor 100 Jahren geborenen, heute fast vergessenen Dichters und Schriftstellers Wolf Bergmann bis zum Ende des Dritten Reiches berichtet. Er war 1933 nach Hitlers Machtergreifung aus Deutschland emigriert. Mit seiner Jüdischen Ehefrau Dr. Charlotte, geb. Manasse, einer Augenärztin, hatte er 1937 Zuflucht auf Madeira gefunden. Dort entstand sein Gedichtband "Atlantische Landschaft". Die Dankbarkeit für die Überlebenschance in Portugal und für die Begegnung mit portugiesischem Geist und portugiesischer Kultur war groß, auch wenn es in mancherlei Hinsicht, nicht zuletzt materiell, keine leichte Zeit war.

Auch der Weg aus dem Exil nach dem Ende der Naziherrschaft in Deutschland war nicht einfach. Wolf Bergmann sah das Exil nicht als Entschuldigung oder Rechtfertigung an. Es bedrückte ihn, nichts (für eine deutsche Demokratie) getan zu haben. Eine opportunistische Rückkehr nach Deutschland hat er sich versagt. Er war viel zu authentisch, um sich von einem Zug mitnehmen zu lassen, viel zu selbstkritisch, um gebotene Möglichkeiten auszunutzen.

LESTE, aus "Atlantische Landschaft" (Leste: auf Madeira der heiße Ostwind von der Sahara her):

Wir sollten dich, du Glühetag, nicht hassen,
Uns ist so fremd dein blumenloses Glück.
Du hast dich selbst bis tief ins Licht verlassen,
Wir Menschen wollen in den Mond zurück.

Der Sommer musste sich in Täler flüchten,
Dein Wüstenmut, dein Durst hat ihn erschreckt.
Wir halten, schlürfend an den saftigen Früchten,
Im Dunkel unsrer Grotten uns versteckt.

Die See erklirrt, mit ihren Ketten grollen
Gefesselte Kometen jetzt vorbei.
Obs Abend ist? Da ist auch schon erschollen
Aus Walfischbrust der Auferstehungsschrei.

Und wieder ist ein Hauch in unsren Haaren
Und heißt uns tun, was immer wir getan.
Wir müssen immer wieder unsren Mond befahren
Mit unsrer Schwermut kühlem Segelschwan.

Robert Minder empfahl Wolf Bergmann für das entstehende Deutsche Institut (Goethe-Institut) in Lissabon. Er begann dort 1954 zunächst als Sprachlehrer für Deutsch. 1956 wurde er Leiter der Deutschkurse für Erwachsene, 1960 Leiter des Deutschen Instituts (Instituto Alemão). Ganz sicher war das der richtige Platz für ihn. Die intensive portugiesische Exilserfahrung auf Madeira hatte sich mit seiner universellen Bildung und mit seiner tiefen Verwurzelung in deutscher Geschichte, Literatur und Kultur verbunden. So konnte er mit einer einmaligen Authentizität und Glaubwürdigkeit die besten deutschen Traditionen in die portugiesische Umwelt hinein vermitteln. Das war keine einfache Aufgabe. Er war nicht mehr nur Emigrant, der Asyl brauchte, sondern musste in der politischen Situation der späten Salazarzeit öffentlich wirksam werden. Er hat sehr genau beobachtet. In einem Brief schreibt er über die Zeit nach dem Tod Salazars, sechs Jahre vor der Nelkenrevolution am 25. April 1974, die er nicht mehr erlebt hat:
"Es ist eine Zeit des Übergangs. Ob sie Grundlagen schafft, auf denen sich weiterbauen lässt, weiß niemand. In der regierungslosen Zeit der Krise war am auffallendsten die überall bewahrte Ruhe, die niemand erwartet hatte. Die Erbschaft, die Caetano antritt, ist eine schwere Last. Ob er die Kraft besitzt, zu entfernen, was das Land mit Apathie lähmte, bleibt abzuwarten. Etwas ist jedenfalls neu: Hoffnungen und Erwartungen sind auf einmal wieder wach geworden, und zwar in jenen auch quantitativ überwiegenden Kreisen der Bevölkerung, die vorher recht unglücklich waren, die aber keine Gewaltsamkeiten, keine tabula rasa wollen."
In diesen wenigen Sätzen zeigt sich wieder etwas von der politischen Sensibilität, die ihn nie verlassen hat.

Die Jahre am Deutschen Institut bedeuteten intensivste, fruchtbare und produktive Arbeit, der er engagiert, mit großer Freude und mit sichtbarem Erfolg nachging. Dass er unter anderem ein begeisternder und humorvoller Lehrer sein konnte, hatte sich schon in der Zeit auf Madeira gezeigt. Allerdings ging es nun auch um mühsame Verwaltung, die ihm nicht lag, der er sich aber mit großer Gewissenhaftigkeit unterzogen hat. Wenig Zeit ließ ihm die Beanspruchung durch das Institut für dichterische Arbeit.1

Zugleich erlebte er auf manchen Reisen eine Wiederbegegnung mit Deutschland, die ihn teils begeisterte, teils aber auch besorgt machte. Auch Hamburger Freunde hat er besucht. Rückblickend schreibt er ihnen: "... ich muss dann also über die Großborstelei mit Euch reden, die liebe teuere. Ich schrieb an den sehr guten und fast 70jährigen Basler Dichter Lang, wie wunderbar diese Hamburger Vororte seien, mit ihren Eichen, Buchen und Pappeln und den dann die atlantische Welt bereits eröffnenden Ausblicken auf die Elbe, auf der die großen Seeschiffe fahren. Nein, Besseres gibt es nicht! ..."

Auch nach der Pensionierung 1969 lebte das Ehepaar Bergmann weiter in Lissabon. Das war nun der Lebensraum geworden. Vielleicht wäre noch einmal eine schöpferische Periode möglich gewesen. Ich "habe ganze Wochen lang nichts im Sinn als ein paar auszuformende Stellen", konnte er in dieser Zeit sagen. Manches Unentdeckte liegt sicherlich im Nachlass verborgen. Aber es war nur wenig Zeit, die ihm noch geschenkt war. Nach kurzer schwerer Krankheit starb er am 7. Oktober 1972. Auf dem Deutschen Friedhof in Lissabon hat er seine letzte irdische Ruhestätte gefunden.

Aus "Atlantische Landschaft", das erste der "Sechs Lieder aus Camacha":

Viel zu viele Landschaft
Ist noch um uns her,
Zu viel Feindschaft und auch Freundschaft,
denn nur dich will ich sehr.

Immer all das Fliehen,
Mit dir war es gut und klug.
Doch still, um die Felsenklippe
Geistert jetzt Vogelflug.

Gebeugt über deine Schulter
Hör ich drunten das Meer.
Ich fühle, jetzt schließt du die Augen,
Denn auch du willst mich sehr.

Hier ist nur noch Himmel
Und unten ein Wellenton.
Immer leichter, durch dich, durch dich
Flieh ich flügelnd davon.

Vieles wird noch zu entdecken, auch wieder zu entdecken sein bei Wolf Bergmann, Entdeckungen, die sich lohnen. Es gibt einen Nachlass, der darauf wartet. Seine Gedichte sind beim ersten Lesen nicht leicht zugänglich, aber sie sprechen eine einmalige Sprache. Man muss sich hineinhören, hineinsehen. Man wird in den Bildern und Worten nicht nur die Wahrhaftigkeit, den Ernst bis hin zur Schwermut bemerken, sondern auch die Freude, die Hoffnung, auch den verborgenen Humor. Er selbst sagt in einem Brief aus Madeira an einen Freund in der Zeit, als die "Atlantische Landschaft" entstand: "Ich sende Dir ein paar Gedichte, die, wenn Du in ihnen nichts Hintergründiges noch Symbolhaftes suchst, hiesiges Wunder genauer mitteilen als übliche Mitteilung." Die wenigen auf diesen Seiten veröffentlichten Gedichte können nur einen begrenzten Eindruck vermitteln.

Noch einmal Reinhold Schneider in einem Brief an Wolf Bergmann: "Alles, was ich von Ihnen gelesen habe, ist eine große Verheißung ... : man spürt in jedem Satz die Berufung, den echten Schriftsteller, den Künstler, der nur aus genauester Kenntnis berichtet und gestaltet. Niemand hat das vor Ihnen gesagt."
Wer auf Madeira einmal Weihnachtssterne gesehen und erlebt hat, große Sträucher, wunderbar, unglaublich im Vergleich zu den Weihnachtssternen, die uns hierzulande angeboten werden, der wird das folgende Gedicht STRAUCH aus "Atlantische Landschaft" verstehen:

Der Strauch erfüllt mit roten Weihnachtssternen,
Mit sonnigstem Karmin sein Festgebot.
Jetzt kann er für sein Rotsein nichts mehr lernen,
Jetzt ist der Sternstrauch ungeduldig rot.

Sein Christfest ist ein purpurnes Sichfreuen
Und macht verlumpten Bettlern wieder Mut.
Er heißt die Reichen ihre Münzen streuen.
Die Scham des Sternstrauchs lodert voller Glut.

Mit zirpenden Gitarren kommen Bauern,
sie tänzeln täppisch an dem Strauch vorbei.
Die Meereswellen schauern, lauschen, lauern
Und warten auf des Sternstrauchs Herzensschrei.

Die Nacht ergrünt, zersplittert von Raketen,
Aus Kronen rieselt Silber auf die Stadt.
Da strahlt der Sternstrauch, um mitanzubeten,
Da blitzt rubinentrunken jedes Blatt.

Die Bauern zogen stadtwärts zum Altare,
Zum Kindchen in Brokat und Diamant.
Sie staunen über seine goldnen Haare,
Es donnert toll vor Freude der Atlant.


Quellen:

Wolf Bergmann, Atlantische Landschaft. Hamburg 1951.

Chronik der Emigration 1932-1954.
Wolf und Charlotte Bergmann.

Aufgezeichnet von Charlotte Bergmann.
Maschinengeschriebenes Manuskript.

Wolf Bergmann. Freude und Kummer.
Ein Leben in Briefen 1933-1972.

Vorgelegt von Heinrich Hassmann.
Maschinengeschriebenes Manuskript 1984.

Mündliche und schriftliche Zeugnisse von Freunden.
(U.a. Prof. Dr. Bernardo Jerosch Herold,
der den Nachlass verwaltet).


* Georg Laitenberger war von 1974 bis 1986 Pastor der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde von Lissabon

1 Leider schien der Nachfolger von W.B. in der Institutsleitung, Curt Meyer-Clason, zu denen zu gehören, die die eigene Verstrickung dem Emigranten übelnehmen und ihm die Glaubwürdigkeit, die der Emigrant durch Gradlinigkeit und Eindeutigkeit der Lebensentscheidung gewonnen hat, nicht verzeihen können. In einer Veröffentlichung ("Portugiesische Tagebücher", S. 18-22) hat er W.B. und seine Arbeit als Institutsleiter posthum karikiert, für den unkundigen Leser geistreich-originell klingend, aber in Wahrheit nur den Eindruck der eigenen uninformierten, unsensiblen und ungebildeten Arroganz erweckend






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Portugal-Post Nr. 26 / 2004


Wolf und Charlotte Bergmann vor dem Beco-Haus in Funchal/Madeira




Das Goethe-Institut in Lissabon





Wolf Bergmann




Curt Meyer-Clason