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Die Deutschen in Lissabon
Ein Beitrag zur europäischen Integration (Teil 2)

Von Andreas Dornseifer *

Ein entscheidender Grund dafür, dass sich Deutsche in Lissabon und Portugal überhaupt niedergelassen haben, ist mit Sicherheit auch in den insgesamt elf dynastischen Verbindungen zu sehen, die Deutsche auf den portugiesischen Thron brachten. Im Gefolge der Monarchen befanden sich jeweils Ärzte, Kaufleute, Offiziere und Künstler, wie zum Beispiel die Maler August Roquemont und Ludwig Katzenstein. Zum Teil wurde ihnen und ihren Familien Lissabon zur neuen Heimat. Noch heute leben "Katzensteins" in Lissabon. Einen beachtlichen Einfluss auf die politischen Geschicke Portugals im 19. Jahrhundert übte Ernesto Rodolfo Hintze Ribeiro (1848-1907) als mehrmaliger Minister, Rechtsprofessor und Parlamentsabgeordneter aus. Ursprünglich stammte die Familie aus Wismar, jedoch heiratete der Kaufmann Gabriel David Hintze 1797 eine Lissabonnerin, was zur endgültigen Niederlassung in Lissabon führte.

Aber nicht nur Lissabon bildete einen Anziehungspunkt für Deutsche in Portugal. Bekannt sind in Portugal noch heute die deutschstämmigen Familien der Burmester, Gilbert, Stüve aus Porto ebenso wie die Familie Kopke, die auf Christian Köpke (1693-1759), den Konsul der hanseatischen Städte in Porto, zurückgeht und heute noch - wie die Familie Burmester - einer Portweingesellschaft den Namen gibt.

Der Erste Weltkrieg bedeutete für die in Lissabon lebenden Deutschen ab dem Kriegseintritt Portugals 1916 auf Seiten der Alliierten gegen das Deutsche Reich einen Bruch in der bisherigen erfolgreichen Integration. So wurden zum Beispiel das Heim des Deutschen Vereins in Lissabon und die Bibliothek während der Kriegsjahre konfisziert, und etliche Deutsche wurden auf den Azoren interniert oder ausgewiesen und begaben sich nach Madrid (eine interessante Anmerkung bezüglich der von mir verwendeten Literatur ist zu dem 1944 erschienenen Buch Oito Séculos de História Luso-Alemã von E.A. Strasen und Alfredo Gândara zu machen: Es ist erstaunlich und nur im Rahmen des damaligen politischen Kontextes der NS-Diktatur verständlich, dass die Autoren dieses umfangreichen und interessanten Werkes mit keinem Wort die politische Beziehung zwischen Portugal und dem Deutschen Reich im I. und geschweige im II. Weltkrieg beschreiben. Hierin ist ein Beispiel für manipulierte und ideologisierte Geschichtsdarstellung zu sehen.)

Paul Wilhelm Gennrich beschrieb die Situation der Deutschen nach der Rückkehr nach Lissabon folgendermaßen: "In den ersten Jahren nach dem Kriege kehrten die früher in Portugal ansässigen Deutschen nach und nach wieder aus der Verbannung zurück (...). Einige Familien, die sich vorher in wohlhabenden Verhältnissen befunden hatten, waren gänzlich verarmt (...). Hass und Hohn begegneten den Deutschen in der Welt. Das portugiesische Volk freilich, das niemals feindselig gegen die Deutschen eingestellt war, nahm jetzt, wenn man sich inzwischen auch gerne an dem Vermögen der Vertriebenen bereichert hatte, die Zurückkehrenden doch wieder mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auf."1 Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts leiteten eine Normalisierung der Beziehungen der Portugiesen zu Deutschen und zwischen den beiden Staaten ein, wenngleich die politische Lage in Portugal geprägt war von zahlreichen Regie-rungswechseln und zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen Gruppierungen, die versuchten, jeweils in ihrem Sinne Einfluss auf die am 5. Oktober 1910 ausgerufene Republik auszuüben.

Mit der Ernennung des Juristen und Wirtschaftswissenschaftlers der Universität von Coimbra António de Oliveira Salazar zum Präsidenten des Ministerrats im Jahre 1932 begann unter seiner Führung für die Dauer von 36 Jahren die Etablierung des Estado Novo. Dieses autoritäre Regime, das am 25. April 1974 durch die Nelkenrevolution sein Ende fand, war ein System eigener Prägung, so dass es sich von den Diktaturen der übrigen europäischen Staaten unterschied. Patrick von zur Mühlen sieht diese Unterschiede in dem Fehlen eines portugiesischen Rassegedankens, der dominierenden Rolle der katholischen Kirche in Kultur und Sozialpolitik sowie in der eher konservativen politischen Zielsetzung des Erhalts des kolonialen Imperiums.2 Ebenso herrschte in Portugal kein offener Antisemitismus; die portugiesische Regierung erreichte sogar die Ausreisebewilligung für im Dritten Reich lebende portugiesische Juden.

Portugal gehörte zu den wenigen neutralen europäischen Staaten während des Krieges, die Öffentlichkeit spaltete sich in jeweils deutsch- und englischfreundliche Teile und obwohl das Regime Demokratie, Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus ablehnte sowie Gewerkschaften und Parteien unterdrückte, unterhielt es weiterhin traditionelle Kontakte zu Großbritannien. Das Königreich war seit 1373 Bündnispartner Portugals; der Zweite Weltkrieg bot keinen Grund, dieses Bündnis aufzulösen. Patrik von zur Mühlen führt weiter aus, Portugal habe auch korrekte Beziehungen zu Berlin unterhalten, Salazar habe in freundschaftlichem Verhältnis zum deutschen Gesandten Baron von Hoyningen-Huene gestanden. Allerdings seien portugiesische Presseattacken gegen das NS-Regime neben den mit dem Kriegsgeschehen verbundenen Fragen eine Belastung für das offizielle deutsch-portugiesische Verhältnis gewesen.3

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bedeutete einen schweren Rückschlag für das Leben der Deutschen in Lissabon, nicht nur was die Beziehungen zu den Portugiesen anging, sondern er belastete auch die Beziehungen unter den Deutschen selbst. Nach Hitlers Machtergreifung trat ein großer Teil der Deutschen in Lissabon in die NSdAP ein. In einem Gespräch mit Prof. Dr. Bernardo Jerosch-Herold, Chemie-Professor und ehemaliger Vize-Rektor an der Technischen Universität Lissabon, wurde klar, dass, wie in Deutschland auch, die Motive für einen Parteieintritt sehr unterschiedlicher Natur waren. Die einen berechneten pragmatisch die möglichen Vorteile, andere waren überzeugte Nationalsozialisten, eine nicht unbeträchtliche Anzahl übernahm die Rolle der Mitläufer. Deutsche jüdischen Glaubens und Nicht-Nazis ertrugen die Spannungen oder sahen sich mit Diskriminierungen konfrontiert.

Die ersten Spannungen machten sich in der seit dem Jahre 1761 bestehenden deutschen evangelischen Gemeinde bemerkbar. Die anlässlich der Einweihung des neuen Gotteshauses im Jahre 1934 bei dem seit 1932 in Lissabon ansässigen Maler und Bildhauer Hein Semke in Auftrag gegebene Gestaltung des Ehrenhofs durch die Skulptur "Kameradschaft des Untergangs" wurde von den Nationalsozialisten der deutschen Kolonie als "entartet" abgelehnt und zerstört. Ebenso wurden seine Skulpturen "Prophezeiung" und die "Pietà" von dem deutschen evangelischen Friedhof entfernt.4

Überliefert aus dieser Zeit ist unter anderem noch der sogenannte "Beijinhos-Fall" (Küsschen-Fall), wie aus in der Ausgabe zum 150jährigen Bestehen der Deutschen Schule Lissabon berichteten Gesprächen und Briefwechseln hervorgeht: Im Juni 1940 erteilte Lehrer Otto Caspritz der Schülerin Astrid von Loehr eine Rüge, weil sie ihre Gymnastiklehrerin Frau Schau mit den in Portugal üblichen beijinhos begrüßt hatte. Caspritz erklärte gegenüber der Schulleitung: "Ich hielt es für meine Pflicht, Astrid auf das Undeutsche dieser Begrüßung aufmerksam zu machen. Ich nahm mir zu Beginn der folgenden Stunde Astrid allein vor und verbot ihr als BDM-Mädchen diese undeutsche Grußform."

Als brisant erwies sich aber weiter die Tatsache, dass Lissabon seit der Machtergreifung Hitlers immer stärker zum Ziel politischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland oder den besetzten Gebieten wurde, so dass auf der einen Seite die eingesessene, zum Teil nationalsozialistisch gesinnte, deutsche Kolonie, die deutsche Gesandtschaft und auf der anderen die Emigranten mit ihren Biographien der Verfolgung und Flucht standen. Auf dem Weg nach Amerika war Lissabon Durchgangsstation für etliche Fliehende vor dem NS-Regime, wie zum Beispiel für Franz Werfel, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Erzherzog Otto von Habsburg, Stephan Zweig und Alfred Döblin, der seine Eindrücke von Lissabon zu jener Zeit in seinem autobiographischen Bericht "Schicksalreise" niederschrieb.

Wenige Flüchtlinge blieben in Lissabon und noch weniger fanden nach ihrer Flucht aus Deutschland eine neue Heimat in Lissabon und Portugal. Der expressionistische Maler Max Braumann zum Beispiel emigrierte 1934 nach Portugal. Im Jahr 1935 holte er seine Familie aus Deutschland nach Lissabon, wo er die Künstlertätigkeit wieder aufnahm und auf zahlreichen Ausstellungen vertreten war.

Portugal war gemäß dem Bretton Woods-Abkommen aus dem Jahre 1944 verpflichtet, nach Kriegsende sämtliches deutsches Vermögen zu konfiszieren, so war die Nachkriegszeit durch die nur langsame Wiederaufnahme der portugiesisch-deutschen Beziehungen bestimmt und die in Lissabon ansässigen deutschen Institutionen, die Ausdruck zum Teil Jahrhunderte währender Integration der Deutschen in Lissabon sind, konnten dann ihren jeweiligen Zweck weiter erfüllen.

Die Deutsche Schule Lissabon nahm 1952 ihren regulären Lehrbetrieb wieder auf. Sie ist in Portugal heute eine anerkannte Institution und erfüllt ihre Aufgabe einer deutsch-portugiesischen Begegnungsstätte. Einen Beitrag zur weiteren Integration leistete auch der vor der Konstituierung des Deutschen Reiches - im Jahre 1870 - gegründete Deutsche Verein in Lissabon, der, wie Monika Wittmer in einem Gespräch hervorhob, zwei Ziele verfolge. Der Verein wolle "Anlaufstelle" für deutsche oder deutschsprachige Neuankömmlinge in Lissabon sein und zum anderen Hilfe bieten, sich in Lissabon nicht nur auf bürokratischem, sondern auch kulturellem Gebiet zurechtzufinden.

Die Satzung des Vereins aus dem Jahre 1934 sah den Zweck des Vereins darin, die deutsche Kultur zu pflegen, den geselligen Verkehr zu fördern und allen Deutschen Hort und Heimat zu sein. Heute wird auch Wert darauf gelegt, eine Begegnungsstätte zwischen Deutschen und an der deutschen Kultur interessierten Portugiesen zu sein. Jedoch wies Monika Wittmer darauf hin, dass aufgrund der kurzen Flugdauer von zwei Stunden der Reise von Lissabon nach Deutschland, aufgrund der modernen Kommunikations- und Informationsnetze die Notwendigkeit oder das Bedürfnis von gemeinschaftlichen Veranstaltungen im Rahmen des Vereins geringer geworden sei.

Dass die deutschen christlichen Gemeinden, die Deutsche Evangelische Kirchengemeinde in Lissabon und die Katholische Deutsche Seelsorge in Lissabon, ihren Beitrag zur Integration geleistet haben und leisten, muss nicht explizit und detailliert hervorgehoben werden, erinnert sei nur an die wichtige Rolle der Evangelischen Kirchengemeinde bei der Gründung der Deutschen Schule sowie an die Bedeutung der Bartholomäus-Brüderschaft, insbesondere in den ersten Jahrhunderten der deutschen Ansiedlung in Lissabon. Nicht zuletzt ist auch die Errichtung des Deutschen Friedhofs mit Hilfe in Lissabon lebender deutscher Christen möglich geworden. Der Friedhof, der am 25. Januar 1822 eingeweiht wurde, steht im Eigentum der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon. Beigesetzt werden auf dem Friedhof alle Deutschen ungeachtet ihrer Konfessionszugehörigkeit, die bei ihrem Tod in Lissabon oder Umgebung ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hatten.

Um die Unterstützung in Portugal ansässiger Wirtschaftsunternehmen ist seit 1954 die Deutsch-Portugiesische Handelskammer bemüht. Firmen wie Grundig, Siemens, Bosch, Volkswagen und viele andere mittlere und kleine Unternehmen, wie die schon seit 1895 bestehende Industrieartikelfirma Sociedade Zickermann, entfalten gegenwärtig in Portugal wirtschaftliche Tätigkeit, die insbesondere nach dem Beitritt Portugals zu der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1986 eine Intensivierung erfuhr. Deutschland ist in Portugal bezüglich industrieller Investitionen einer der stärksten Investoren.

Die Situation der Nachkriegszeit und der Gegenwart der portugiesisch-deutschen Beziehung, im besonderen der insgesamt 8.000 in der Botschaft registrierten Deutschen in Lissabon, ist also - hoffentlich klingt das nicht zu simpel und vielleicht naiv - friedvoll. Ihre Geschichte ist im Grunde genommen die Geschichte europäischer Bürger in Europa, die in ihrem Kern also eine erfolgreiche Integration enthält.


* Andreas Dornseifer lebt in Köln. Der erste Teil seines Artikels, der die deutsch-portugiesischen Beziehungen von ihren Anfängen bis zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert darstellt, findet sich in der "Portugal-Post" No. 27, S. 18-21. Den gesamten Artikel haben wir in seiner ungekürzten Fassung und seinem ursprünglichen Titel "Einige Gedanken zu der Geschichte der Deutschen in Lissabon und einer europäischen Integration und Bürgerschaft" in die homepage unserer Gesellschaft gestellt.

1 Paul Wilhelm Gennrich, Evangelium und Deutschtum in Portugal. Geschichte der Deutschen Evangelischen Gemeinde In Lissabon, Berlin/Leipzig 1936, S. 12f
Anm. der Red.: Dazu eine neue Studie von Jürgen Krüger & Christiane Tichy: Kirchen-bau und Politik. Deutsche evangelische Kirchen auf der iberischen Halbinsel 1900-1945, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2003.

2 Patrik von zur Mühlen, Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933-1945, Bonn 1992, S. 120
3 Patrik von zur Mühlen, ebda, S. 134
4 Marion Ehrhardt, Geschichte der deutsch-portugiesischen Kulturbeziehungen, in; Zeit-schrift für Kulturaustausch Jg. 44, Stuttgart 1994, S. 13-19






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Portugal-Post Nr. 28 / 2004


Stele auf dem deutschen Friedhof in Lissabon an der Rua do Patrcínio