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Lissabon, 1. November 1755

Von Claus-Günter Frank *

Am 1. November 1755, am Allerheiligentag, wurde Lissabon von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Es begann um 9 Uhr morgens und dauerte lediglich 9 Minuten. Viele Menschen befanden sich zur Messe in den Kirchen. Diejenigen, die dort nicht von den einbrechenden Mauern und Dächern erschlagen wurden, stürzten hinaus und flohen in Richtung Tejo, um sich zu retten. Aber vom Strohmeer her ergoss sich eine Riesenwelle in die Straßen und riss alles mit sich. Über der Stadt hing eine schwarze Staubwolke, durch die die ersten Flammen züngelten. Kerzen, die zur Feier des Tages in den Kirchen und auf den Hausaltären gebrannt hatten, lösten eine Feuersbrunst in der zerstörten Stadt aus. Für die Bewohner Lissabons war das Ende der Welt eingetreten. Gott, so glaubte man, hatte die Stadt - wie einst Sodom - bestraft. Häuser und Paläste, Kirchen und Klöster, Hospitäler und Theater, Festungen, die ganze Pracht, die mit dem Reichtum aus den Kolonien finanziert worden war, alles war in sich zusammengestürzt. Die Katastrophe und die Frage der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels der Welt führten zu gewaltigen literarischen Nachbeben in Europa. Kant und Voltaire beschäftigten sich mit dem Thema und noch in unserer Zeit ist das Erdbeben als beliebter literarischer Topos zu finden, z.B. bei Franz Werfel oder in Thomas Manns "Zauberberg".

Das Erdbeben zerstört vor allem die Unterstadt, weniger die auf den Hügeln gelegenen Stadtteile, wie etwa die Alfama, die Mouraria, Madre de Deus oder die neuen Viertel Rato oder Arroios. 5.000 bis 60.000 Menschen finden an diesem Tag den Tod. Schon droht das Chaos und die ersten Plünderer sind unterwegs, um sich an dem herrenlos gewordenen Gut zu bereichern, da tritt der Marquês de Pombal auf den Plan. Anstatt wie die anderen Minister in dieser Stunde der Not aus der Stadt zu fliehen, bleibt er vor Ort und übernimmt das Ruder. Er lässt die Häfen schließen, die Überlebenden versorgen und die Toten begraben.

Der König befand sich während des Erdbebens in Belém, das unzerstört blieb. Schon vor der Katastrophe hatte José I., der kein Talent zum Regieren hatte, seinem Minister volles Vertrauen geschenkt. Während der König auf die Jagd ging und sich vergnügte, führte er die Regierungsgeschäfte. Das Erdbeben machte ihn nun vollends unersetzlich und er nutzte die Gunst der Stunde, um jede Art von Widerstand seinen Plänen gegenüber auszuschalten, selbst wenn er vom König kam.

Pombal verhängte zunächst ein Wiederaufbauverbot, bis zur Fertigstellung eines Generalplanes. Die Hauseigentümer mussten dann auf ihre eigenen Kosten die Ruinen abreißen lassen und innerhalb von fünf Jahren gemäß den Vorschriften neu bauen. Wer sich daran nicht hielt, wurde enteignet, das Gelände an finanzkräftige Bürger verkauft. Es waren oft adlige Familien, die nicht wieder aufbauen konnten, weil sie finanzielle Not litten, wohingegen Händler und Kaufleute finanzkräftig waren. Pombal trug so zum Erstarken des kapitalkräftigen Bürgertums bei.

Der Plan zum Wiederaufbau folgte strengen Regeln: Drei nur in Einzelheiten voneinander abweichende Haustypen füllen die Rechtecke zwischen fünf breiten und drei schmaleren vom Tejo landeinwärts führenden und den sie kreuzenden Straßen. Eine Art Fachwerkskelett aus importiertem Tannenholz bildet das innere Gerüst der Häuser. Da es Bodenschwankungen nachgeben kann, ermöglichte es den Bau fünfstöckiger Häuser auf dem trügerischen Grund. Die erste Etage hat Balkons, die zweite und dritte schmiedeeiserne Brüstungen, ganz oben sind Mansarden. Pombal verordnete gleiche Eingangstüren, ja ging sogar so weit, jeden Schmuck, Vasen, Blumentöpfe, Beete zu verbieten.

Die acht Längsachsen wurden den verschiedenen Handwerkszünften zugeteilt. Noch heute zeugen die Straßennamen davon: sapateiros, correeiros, douradores, capelistas, ourives (ouro e prata), fanqueiros (Schuster, Sattler, Vergolder, Kurzwarenhändler, Gold- und Silberschmiede, Tuchhändler). Hauptstraße war - und ist - die in der Mitte gelegene Rua Augusta, die durch das mächtige Triumphtor einen großzügigen Ausblick auf den Tejo erlaubt. Nicht nur am Triumphtor finden wir den Marquês verewigt, ein Medaillon von ihm ist auch an der Tejoseite des Sockels angebracht, der die Reiterstatue des Königs José I. trägt.


* Den vorliegenden Text haben wir mit freundlicher Genehmigung des Autors seinem Reiseführer "Lissabon. Entdeckungen in Portugals Metropole"(S. 135-7 und S. 36/7) entnommen. Er ist im letzten Sommer im Klöpfer & Meyer Verlag erschienen und wurde bereits in der letzten Ausgabe der "Portugal-Post" vorgestellt




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Portugal-Post Nr. 32 / 2005


Der Marquês de Pombal - Leiter der Stadterneuerung Lissabons nach dem Erdbeben von 1755