Lissabon - gefährliches Pflaster
Oder: Jean Nicot - Leichen pflastern seinen Weg!
Von Reiner Drees
Die Überschrift klingt reißerisch, nach Krimi. Soll sie auch. Denn es geht um Leben und Tod.
Was soll man auch anders sagen, wenn man durch Lissabon läuft und an vielen Stellen in der Stadt
auf dem Straßenpflaster, auf Fußwegen und Plätzen, ja sogar auf den Metro-Bahnsteigen
die Umrisslinien von soeben Hingemeuchelten sieht, gerade so, als ob die Spurensicherung ihre Arbeit vor
fünf Minuten beendet hat und man, wenn schon nicht Zeuge des Tathergangs, so doch Zeuge der
Tatfolgen geworden ist. Oder was denken Sie bei diesem Bild?
Wenn Sie genauer hinschauen, so fällt ein roter Aufkleber auf, und der Blick fällt auf den Text
Não seja a próxima vítima. Reduza o risco. Visite o seu médico
(Seien Sie nicht das nächste Opfer. Reduzieren Sie das Risiko. Suchen Sie Ihren Arzt auf).
Und dazu ein Hinweis, wie und wo man mehr Information bekommt.
Jetzt muss ich ein bisschen weiter ausholen: Man kann sagen, dass Portugal leider auch in dem Sinne
"in der EU angekommen" ist, dass es jetzt das Schicksal vieler anderer westlicher Zivilgesellschaften
teilt, das aus Fehlernährung und Bewegungsarmut gekoppelt mit Tabak- und Alkoholkonsum besteht.
Dies wiederum führt zu Übergewicht, Bluthochdruck und Folgeerkrankungen; insbesondere
steigt das Risiko von Koronarerkrankungen und Schlaganfällen, die ja meist erst dann erkannt werden,
wenn es zu spät ist. Und deshalb erfolgt der - zugegeben - dramatisch aufgemachte Aufruf zur
Vorsorgeuntersuchung.
Einer Übersicht von EUROSTAT zufolge (das ist das Statistische Amt der EU mit Sitz in Luxemburg)
sind die Portugiesen bislang überwiegend unzufrieden mit ihrem Gesundheitswesen.
Dabei könnten sie auch selbst etwas zu ihrer Gesundheit beitragen: Der Body-Mass-Index (BMI),
der als sinnvollste Maßzahl gilt, um die Übergewichtigkeit von Erwachsenen zu bestimmen,
weist für EU-Bürger durchschnittlich 25,6 % (Männer) bzw. 21,3% (Frauen) Übergewichtige
und stark Übergewichtige aus; bei den Portugiesen sind es 24,6% (Männer) und 30,6% (Frauen).
Bei den häufigsten Todesursachen Krebs- und Kreislauferkrankungen kommen in der EU auf 100.000
Einwohner 616 Fälle (Männer) bzw. 376 (Frauen); bei den Portugiesen 674 (Männer) und
426 (Frauen). Zwar sind die Zahlen schon ein bisschen älter, aber die Tendenz ist erkennbar.
Was hat nun der besagte Herr Jean Nicot hiermit zu tun? Er war französischer Diplomat und Gesandter
am portugiesischen Hof, der 1559 als 29-jähriger nach Lissabon entsandt wurde, um dort die Heirat
der Tochter Heinrichs II. zu organisieren. Dabei lernte er auch die Errungenschaften aus den
portugiesischen Kolonien kennen. Seine Freundschaft mit dem Gelehrten und Botaniker Damião
de Góis, der zahlreiche Kolonialpflanzen selbst anbaute, brachte ihn dabei in Verbindung
mit Indigo und Tabak.
Zwar hatte bereits Kolumbus über rauchende Eingeborene berichtet, aber erst Jahre spä
;ter kamen Berichte über die wundersamen Eigenschaften des Tabaks auf - er solle Heilkräfte
entfalten und sogar Geschwüre heilen können. Nicot berichtete darüber an
Persönlichkeiten des französischen Hofes. 1561 erreichten die ersten Tabaksamen auch
Katharina von Medici mit Beschreibungen über die Heilwirkung der aufgelegten, geschnupften oder
aufgegossenen Tabakblätter (wer als Jugendlicher Defoes Robinson Crusoe gelesen hat,
kennt diese von ihm beschriebene Rosskur mit Tabaksud). Der französische Botaniker Jacques
Daléchamps gab der Pflanze 1586 schließlich den Namen herba nicotiana.
Wie es weiter ging, weiß jeder. Die englischen Seeleute um Sir Francis Drake führten
1586 das Pfeifenrauchen ein. Aus der Kult- und Heilpflanze wurde ein Genussmittel. Das
Zigarettenrauchen kam in Europa während des Krimkriegs 1854 auf. Diese Sitte verbreitete sich
so rapide, dass heute kaum noch von einem Genussmittel, sondern nur noch von einem Suchtmittel
gesprochen werden kann, das zudem für den aktiven wie auch den Passivraucher weitreichende
Gesundheitsschädigungen bewirkt. Deshalb werden jetzt EU-weit gesetzliche Beschränkungen
zum Rauchen in der Öffentlichkeit und an Arbeitsplätzen beschlossen. Werbeverbote
sollen vor allem bewirken, dass insbesondere nicht Kinder und Jugendliche dieser Sucht verfallen.
Einige EU-Länder haben bereits gesetzliche Beschränkungen eingeführt, die
erstaunlicherweise selbst dort Akzeptanz finden, wo Individualität zum nationalen
Selbstverständnis gehört. Portugal hat für den öffentlichen Bereich ein
Rauchverbot erlassen; für die Gastronomie bestehen freiwillige Vereinbarungen (Deutschland hat
hier noch Nachholbedarf). Der Zusammenhang zwischen Rauchen und (unter anderem) Herz-/
Kreislaufkrankheiten wird nur noch von Unbelehrbaren bestritten. Zwar geht nicht jeder
Herzinfarkt oder Schlaganfall auf das Rauchen zurück, aber oft ist es die oder eine der Ursachen.
Nach diesem gedanklichen Umweg bin ich wieder am Beginn angekommen. Und ich empfinde es
keinesfalls als üble Nachrede, wenn ich die Lissabonner Pflasterleichen wie folgt
kommentiere: "Jean Nicot - Leichen pflastern seinen Weg!"
P.S. Falls Sie, geneigte Leserin oder Leser, selbst Raucher sind, fällt mir nur noch der
Kalauer ein, dass Sie es mal mit einem Nikotin-Pflaster versuchen sollten...
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Portugal-Post Nr. 37 / 2007
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