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Portugals Flüsse - ein Trauerspiel

Von Rudolf Malkmus *

Rio Oeiras (oberhalb Mértola), ein Fallbeispiel für tausende anderer Flüsse: 1976 - kristallklares Wasser, mit einem flutenden Teppich weißblühenden Wasserhahnenfußes überzogen, Libellengeschwirr, ohrenbetäubendes Froschkonzert. Aus dem Fluss erheben sich bizarre Felsrippen, Korkeichenhaine steigen die Hänge herab, uralte Mühlen begleiten die Ufer. 2006 - Die Landschaft ist unverändert, nur der Fluss hat sich gewandelt: trübes Wasser, statt Blütenteppichen talwärts ziehende Schaumpakete; das Froschkonzert ist verstummt.

Der Tourist wird angesichts dieser landschaftlichen Idylle 2006 in Verzückung geraten; von Naturparadiesen schwärmen und nicht erkennen, was einem Biologen sofort ins Auge fällt: durch eine Bilderbuchlandschaft strömt ein sterbender Fluss. Zwar gibt es in Portugal noch Flüsse, denen das Attribut "paradiesisch" gebührt, die von Leben sprühen; aber sie ziehen sich als Relikte immer mehr in abgelegene serras nördlich von Tejo und Douro zurück. Südlich des Tejo (mit Ausnahme der Serra de São Mamede und Teilen der Algarvischen Gebirge) und in der gesamten Küstenzone (bes. Großraum Lisboa, zwischen Leiria und Coimbra, Aveiro und Viana do Castelo) begegnet uns überall das gleiche Bild: von Schadstoffen befrachtete, zu Kloaken verkommene Flüsse.

Seit wann ist dies so und wie kam es zu diesem ökologischen Desaster? Nach der Nelkenrevolution trug die Wirtschaftsstruktur Portugals noch unverkennbar die Züge des Salazarschen Estado Novo. Das agrarkulturelle Landschaftsbild war geprägt durch die Arbeit eines konservativen Bauernstandes, der sich nicht um wirtschaftliche Entwicklung bemühte, sondern in Stagnation verharrte. Man lebte und arbeitete vor 30 Jahren noch wie im 19. Jahrhundert. Diesen archaischen Verhältnissen war es allerdings zu verdanken, dass den Bächen und Flüssen kaum belastende Abwässer zugeführt wurden. Abgesehen von Flüssen, an denen Städte und Industrieansiedlungen lagen, herrschten landesweit in den Gewässern Bedingungen, von denen jeder Ökologe heute nur träumen kann.

1986 wurde Portugal Mitglied der EU. Mit den Milliarden, die ein EU-Marshallplan für das "Armenhaus Europas" bereitstellte, wurde ein wirtschaftlicher Aufschwung angekurbelt, der zu einer Aufholjagd ohnegleichen führte. Wer heute Portugal mit Erinnerungen an das Land vor 30 Jahren bereist, wird viele Regionen nicht wieder erkennen. Der Einsatz der Subventionsgelder (radikaler Umbau der Landwirtschaft, Bau von Industrieanlagen, Errichtung von Talsperren), unterstützt durch eine grotesk kurzsichtige Wirtschaftspolitik nach dem Motto Menos poluição? Mais desemprego (Weniger Verschmutzung? Mehr Arbeitslosigkeit) und einen Mentalitätswandel breiter Bevölkerungsschichten (Wegwerfgesellschaft), verursachten den allgemeinen Niedergang der Gewässersysteme (Wasservergeudung, Veränderung der Strukturen und Wasserqualität der Flüsse).

Vergeudung: 20-30% des Trinkwassers versickert in einem maroden Leitungssystem; ein Golfplatz benötigt die Wassermenge einer 15.000 Einwohner zählenden Stadt; mit 85% rangiert der Bewässerungsfeldbau an der Spitze des Wasserverbrauchs (Deckung zum Teil über Talsperren).

Strukturelle Veränderungen: Begradigung von Bächen und wilder Sand- und Kiesabbau von Flussbetten führt zum Zusammenbruch von Lebensgemeinschaften, der Bau von Talsperren zur Zerstörung ganzer Flusssysteme (z.B. Alqueva).

Beeinträchtigung der Wasserqualität: Ein Teil der Kommunen leitet ihre Abwässer unzureichend oder völlig ungeklärt in die Flüsse. Hinzu kommen toxische Belastungen durch Industrie und gewerbliche Betriebe (Öle, Tenside, Säuren, Cyanide, Schwermetalle usw.). Durch massiven Einsatz von Mineraldünger und Pestiziden kommt es in der Regenperiode zu unkontrollierbaren Abschwemmungen, die die Flüsse mit Nitraten und Phosphaten überdüngen und mit Bioziden vergiften. Die Flussbewohner (Fauna und Flora) brauchen zum Leben Sauerstoff. Dieser gelangt über die Atmosphäre und die Fotosynthese der Pflanzen in die Gewässer. Beim Abbau von abgestorbenem organischem Material wird dem Wasser Sauerstoff entzogen. Je stärker die Nährstoffzufuhr, umso üppiger der Pflanzenwuchs (Algen), umso größer aber auch die absterbende organische Masse und der damit verbundene Sauerstoffentzug. Der Fluss erstickt unter seiner eigenen Überproduktion. Sein ökologisches Gleichgewicht "kippt", die in ihm siedelnde Lebensgemeinschaft verendet. Am auffälligsten manifestiert sich dies im Fischsterben.

Flüsse sind die Lebensadern einer Landschaft und geben Aufschluss über den ökologischen Zustand derselben. Wie katastrophal es in Portugal um sie bestellt ist, bringt bereits ein Artikel im Expresso vom 20.4.1996 auf den Punkt: Portugal mit nur 10 Millionen Einwohnern weist eine Gewässerverschmutzung auf, die der eines Staates mit 36 Millionen Einwohnern entspricht. Heute dürfte sich die Entsprechung auf 50 Millionen erhöht haben. Das einstige Armenhaus der EU steht nach dem Erlöschen seines EU-finanzierten ökonomischen Feuerwerks vor einem ökologischen Scherbenhaufen (Der Zustand der Flüsse beleuchtete ja nur eines unter vielen anderen Problemen) und nimmt unter den Unionsmitgliedern mit verfehlter, bzw. abwesender Umweltpolitik eine Spitzenposition ein.

Die jeden Frühling wiederkehrende alentejanische Blütenpracht, das mediterrane Algarve-Ambiente, die duftenden Macchien der wilden Dünen und Klippen der Südwestküste, die besten Teile einiger Parques Naturais (wenn ihre Vegetationsdecke nicht gerade niedergebrannt ist) sollten auch den Kurzzeitbesucher des Landes nicht über diese beklagenswerte Realität hinwegtäuschen.


* PHG-Mitglied Rudolf Malkmus ist Biologe mit dem Spezialgebiet Reptilien und Amphibien, die er seit seiner Tätigkeit an der Deutschen Schule in Lissabon (1976-81) kartiert. Das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit liegt in zwei Bänden vor: "Die Amphibien und Reptilien Portugals, Madeiras und der Azoren" (Neue Brehm Bücherei 621) aus dem Jahre 1995 und der 2004 im Gantner Verlag erschienene Prachtband "Amphibians and Reptiles of Portugal, Madeira and the Azores-Archipelago". Da er seit 30 Jahren neben den Amphibien auch die Libellen Portugals kartiert, ist er bestens mit der Entwicklung der Gewässersysteme des Landes vertraut, eine Vertrautheit, auf die er - wie er uns schreibt - "rückblickend gerne verzichten würde".






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Portugal-Post Nr. 37 / 2007


Das Foto von Domingos Dias Martins aus den 50er Jahren zeigt eine Flussidylle, die heute kaum noch in Portugal anzutreffen ist