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ESSA NOSSA DITOSA LÍNGUA V
Im Reich der Namen

Von Peter Koj

Seit der Verleihung des Nobelpreises an José Saramago ist dessen Name in aller Munde. Uns soll der Titel seines letzten Romanes, Todos os Nomes (1997), als Aufhänger dienen für die fünfte Folge unserer Exkurse in die portugiesische Sprache: diese soll uns in die Welt der portugiesischen Namen führen.

Saramago hat den Roman in Erinnerung an seinen früh verstorbenen Bruder geschrieben. So wie Saramago auf der Suche nach seinem verstorbenem Bruder, so begibt sich auch Sr. José, die Hauptfigur des Romans, auf die Suche nach einem bzw. einer Toten. Sr. José ist ein kleiner Angestellter im Conservatório Geral do Registo Civil, einer Art Einwohnermeldeamt, das in seiner kafkaesken Bürokratie- und Überwachungsmaschinerie aber eher an einen Geheimdienst erinnert. Hier ist jeder Einwohner des kleines Landes auf einer Karteikarte erfasst, die nach seinem Ableben in die Verstorbenenabteilung wandert, die so weitläufig und labyrinthisch angelegt ist, dass die Archivare sich nur mit einem Garnknäuel hineinwagen, wie weiland Theseus am Faden der Ariadne.

Man kann also sagen, dass in Saramagos Generalkonservatorium todos os nomes, d.h. alle Namen, sowohl die der Lebenden als auch die der Toten des Landes, zu finden sind. Es ist damit wohl auch zu rechnen, dass die deutsche Übersetzung, wenn sie denn demnächst erscheint, diesen Titel tragen wird: "Alle Namen". Doch während wir bei dem Begriff "Name" im Deutschen zuerst an den Nachnamen denken ("Mein Name sei Gantenbein"), bezeichnet er im Portugiesischen eher den Vornamen. Der Nach- oder Familienname heißt auf Portugiesisch apelido. Doch offensichtlich geht es Saramago nicht um das Verzeichnis aller Familiennamen seines imaginären Staates, sonst hätte er seinen Roman Todos os Apelidos nennen müssen.

Dies wäre nicht nur ein völlig bürokratischer Titel, bar jeder dichterischer Assoziationen; er würde auch in Brasilien, wo Saramago eine große Leserschaft hat, einen ganz falschen Eindruck erwecken, weil dort apelido die Bedeutung "Spitzname" (im europäischen Portugiesisch alcunha) hat. O nome bezeichnet, zumal wenn nicht näher spezifiziert, auch die Gesamtheit des Namens, d.h. Vor- und Nachnamen. Zur Unterscheidung würde man dann vom Vornamen als nome próprio sprechen.

So lautet die letzte Strophe des durch Amália berühmt gewordenen Fados Maria Lisboa (Text von David mourão-Ferreira):

Vende sonho e maresia,
tempestades apregoa...
Seu nome próprio, Maria.
Seu apelido, Lisboa.

Saramago selbst macht diesen Unterschied deutlich, wenn er zu Beginn des zweiten Kapitels von seinem Protagonisten sagt:
Além do seu nome próprio de José, o Sr. José também tem apelidos [...] um do lado do pai, outro do lado da mãe, segundo o normal [...] (S.19),
d.h. die Hauptfigur hat außer dem Vornamen auch Nachnamen, einen vonseiten des Vaters, den anderen vonseiten der Mutter im Rahmen des Üblichen.

Üblich ist in der Tat in Portugal, dass man zwei Nachnamen führt, zuerst den der Mutter und dann den des Vaters. In der nächsten Generation fällt dann der jeweilige Name der Großmutter weg, es sei denn man legt Wert auf ihn, weil die Großmutter aus einer bekannten Familie stammt. So gibt es nicht wenige Portugiesen, die nach spanischer Manier eine ganze Reihe von Nachnamen führen, zwischen die sie locker ein de oder da bzw. do einstreuen, was aber nichts mit Adel zu tun hat. Wenn die Portugiesen mit diesen nicht enden wollenden Namen unterschreiben, so hat dies nichts mit Aufschneiderei zu tun, sondern es erfordert die portugiesische Bürokratie. Demnach ist eine Unterschrift nur gültig, wenn sie alle im Pass ausgewiesenen Namen enthält.

Dies gilt natürlich auch für die Vornamen. So wurde einem meiner (deutschen) Kollegen von einer Polizeistreife der Führerschein entzogen (und damit die Möglichkeit, sein Auto zu benutzen), weil sein Führerschein nicht alle im Personalausweis aufgeführten Vornamen enthielt. Es konnte sich also unmöglich um dieselbe Person handeln. Der Hinweis auf die Ähnlichkeit der Passbilder, die Übereinstimmung von Geburtsdatum und -ort, all dieses beeindruckte die portugiesische Verkehrspolizei wenig.

Überhaupt die Vornamen. Sie spielen im portugiesischen Alltag eine wesentlichere Rolle als die Nachnamen. So werden Portugiesen und Portugiesinnen, auch wenn man sie siezt, mit dem Vornamen angesprochen: Sr. Paulo, D. Teresa. Bei Männern hört man gelegentlich auch schon mal den Nachnamen (Sr. Tavares), doch niemals bei einer Frau. Hier wird als Ausdruck der Distanz bzw. der Hochachtung noch ein Sra. hinzugefügt (Sra. D. Teresa). Selbst bei längeren alphabetischen Namenslisten geht man in Portugal häufig nach dem Vornamen. So suchte ich meine Startnummer (dorsal) bei der Meia Maratona da Nazaré, dem Klassiker der portugiesischen Volksläufe, vergeblich unter "Koj": sie stand unter "Peter".

Gott sei Dank war ich der einzige Vertreter meines Vornamens auf der mehrere tausend Läufer und Läuferinnen umfassenden Startliste. Da hatten all die vielen Pedros, Joões, Paulos, Josés, aber auch Marias, Anas, Carlas, Joanas etc natürlich sehr viel mehr zu tun. Was die Häufigkeit der portugiesischen Vornamen angeht, so zeigt die Statistik der letzten 30-40 Jahre einen deutlichen Geschmackswandel. Bei den Männern sind die "Renner" der 60er und 70er Jahre José, Paulo und António in den 90er Jahren durch João, Tiago und André verdrängt.

Bei den Frauennamen ist der Wandel noch drastischer. Lange Jahre (oder soll man sagen "Jahrhunderte"?) war Portugal das Land der Marias, in einem katholischen Land mit einem starken Marienkult (Fátima!) keine Überraschung. Besonders im Norden, wo sich laut dem Ethnologen Moisés Espírito Santo der Marienkult mit dem der phönizischen Fruchtbarkeitsgöttin Astarte mischt, wurden die Mädchen "flächendeckend" Maria getauft. Um die vielen Marias zu unterscheiden, setzt(e) man gerne eine besondere "Funktion" der Gottesmutter hinzu. So taufte man die kleinen Portugiesinnen Maria do Céu (die Himmelsmaria), Maria da Conceição (Maria der Empfängnis), Maria do Rosário (Maria vom Rosenkranz), Maria da Fátima (Maria von Fátima). Beliebt ist auch die Verbindung mit einem männlichen Heiligen, wie dem Hl. Johannes (Maria João) und dem Hl. Josef (Maria José).

Umgekehrt bekommt auch ein kleiner Portugiese gelegentlich die Maria als zusätzlichen Vornamen, so wie der amtierende Kultusminister José Maria Carrilho. Nichts Ungewöhnliches, wenn wir an "unsere" Carl Maria von Weber und Rainer Maria Rilke denken. Was jedoch beeindruckt, ist wie sehr der Name Maria in den 90er Jahren zurückgegangen ist, um Modenamen wie Cátia, Vanessa, Andreia oder Sara Platz zu machen. António Guerra, Spezialist für Namenskunde an der Faculdade de Letras de Lisboa führt dies auf den Einfluss der brasilianischen telenovelas zurück.

In der Tat gibt es in Brasilien die ausgefallensten und verrücktesteten Vornamen, die man sich vorstellen kann. So finden sich in der abgebildeten Karikatur von Metelo Schüler mit solch "schönen" Namen wie Remédio Amargo, Restos Mortais de Catarina, Olinda Barba de Jesus, Colica de Jesus, Clara Gema oder auch Skylab. Ausgelacht wird allerdings der arme Kerl, der den altmodischen Namen Jorge trägt ("Wie kann man nur Jorge heißen?") Besonders spürbar ist der Zusammenstoß zwischen dem durch die brasilianische TV-Landschaft geprägten Modernismus einerseits und traditioneller Bodenständigkeit andererseits im katholischen Norden. So hält Maria in Porto noch immer einen beachtlichen 3. Platz (Lissabon: 10. Platz); daneben finden sich aber auch solch "fortschrittliche" Mädchennamen wie Liberta, Arcelina, Bebiana, Brilhantina oder Corantina.

Häufig trifft man in Portugal auf die liebevolle Verkleinerungen von Vornamen wie Xana (für Alexandra), Ção (für Conceição), Quim (für Joaquim), Chico (für Francisco), (für António). Wenn dann noch ein zärtliches -inho oder -inha angehängt wird, hat man häufig Schwierigkeit herauszufinden, welcher nome sich hinter der jeweiligen alcunha verbirgt. Oder hätten Sie von Zezinho gleich auf José oder von Guidinha auf Margarida geschlossen?

Doch mit nome, apelido und alcunha erschöpfen sich die Namensbezeichnungen im Portugiesischen noch lange nicht. So findet man für alcunha gelegentlich auch chamadoiro/chamadouro oder apodo. Letzteres hat einen leicht negativen Beigeschmack, denn es bezeichnet einen Spitznamen, mit dem man sich über jemanden lustig macht. Berühmte historische Persönlichkeiten hingegen tragen häufig einen cognome, einen Beinamen; z.B. D. Pedro I, o Cruel. Wer in den Untergrund geht, legt seinen eigentlichen Namen ab und versteckt sich hinter einem Decknamen (nome de guerra oder nome de combate).

Viele Schriftsteller tauschen ihren bürgerlichen Namen gegen einen pseudónimo oder auch nome literário aus. Dies hat José Saramago nicht nötig. Sein bürgerlicher Name ist - nicht erst seit Verleihung des Nobelpreises - in unser aller Munde und Herzen, als Schöpfer eines großartigen literarischen Werkes und als humanistische Lichtfigur in einer immer unerbittlicheren Zeit.





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Portugal-Post Nr. 4 / 1998








































































































































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