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ESSA NOSSA DITOSA LÍNGUA VIII
Filho de peixe...

Von Peter Koj

Portugal bereisen und keinen frischen Fisch essen – das ist so wie Paris besuchen, ohne auf dem Eiffelturm gewesen zu sein oder den Karneval von Rio, ohne den Samba erlebt oder sogar selbst getanzt zu haben. Trotz stark abgefischter Küste ist Portugal nach wie vor das Land des frischen Fisches. Im Pro-Kopf-Verbrauch liegen die Portugiesen europaweit gleich hinter den Dänen, und die ausländischen Touristen, soweit sie nicht eine "eingefleischte" Abneigung gegen Fisch haben oder diesen nur in Stäbchenform konsumieren können, genießen alle Jahre wieder den frisch zubereiteten Fisch in seiner verwirrenden Artenvielfalt.

Zu gerne hätte der fischbegeisterte Tourist gewußt, was sich hinter all den verschiedenen portugiesischen Bezeichnungen verbirgt, d.h. was ein cherne, ein pargo oder eine garoupa auf deutsch ist. Die mehrsprachigen Speisekarten sind oft keine große Hilfe wie das Beispiel der als "understandes" ins Englische übersetzten percebes zeigt (Portugal-Post No.3, S.9). Wir haben daher in dieser Ausgabe einen Artikel von Uly Foerster, den ehemaligen Chefredakteur von Bom Dia, Portugal, abgedruckt, den er uns zusammen mit seinem Bericht über die percebes ("Rankenfuß und Entensturz", in: Portugal-Post No.5, S.5) freundlicherweise zugeschickt hat.

In diesem Artikel finden Sie knapp 50 der wichtigsten portugiesischen Meerestiere- und Fischsorten mit ihrer jeweiligen deutschen Entsprechung. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Ich selbst habe im Laufe der Jahre mehr als 130 Bezeichnungen gesammelt, zumeist mit deutscher Bedeutung, häufig auch mit der lateinischen, gelegentlich auch mit der englischen oder französischen Bezeichnung. Doch was nützt mir die deutsche Bezeichnung für eine Fischart, die bei uns nicht heimisch ist?

Was habe ich davon, wenn ich weiß, daß areeiro auf deutsch "Lammzunge" heißt oder besugo "Graubarsch" oder cantarilho "Blaumaul" oder faneca "Franzosendorsch" oder ferreira "Marmorbrasse" oder goraz "nordische Meerbrasse" oder imperador "Schleimkopf" oder margota "Lippfisch" oder taínha "Meeräsche" oder oder oder ...? Das gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, wenn man in einem portugiesischen Restaurant in Hamburg eine nicht im Portugal bekannte Fischsorte angeboten bekommt, wie z.B. den Rotbarsch. Wie hilft sich der Wirt bei der Erstellung der portugiesischen Speisekarte? Er nennt ihn – wohl wegen seiner roten Haut – kurzerhand comunista. Der in Hamburg lebende brasilianische Schriftsteller Carlos Azevedo widmet in seinem Buch Hamburgo Blues dieser netten deutsch-portugiesischen Spracheskapade ein kleines amüsantes Kapitel.

Anstatt sich also mit einer deutschen Übersetzung für eine Fischsorte zu befrachten, die man aus heimischen Gewässern eh nicht kennt, wäre es viel sinnvoller, sich an das Original heranzumachen und sich den portugiesischen Begriff dazu geben zu lassen. Das geht am einfachsten, wenn Sie morgens mal zu einer lota (Fischauktion) pilgern oder sich das reichhaltige Angebot mancher Markthallen (z.B. in Lagos) zeigen und erklären lassen. Aber erschrecken Sie nicht vor dem fürchterlichen Aussehen mancher Fische! Der Seeteufel (portugiesisch tamboril, im Volksmund wegen seines großen Maules auch rã do mar oder peixe sapo geannt) ist zwar abgrundhäßlich, hat dafür aber ein besonders feines Fleisch.

Erstaunlich ist auch festzustellen, wie gut sich die Portugiesen in ihren vielen heimischen Fischsorten auskennen. Während der Durchschnittsportugiese – laut Auskunft des Lehrbuchautors Manuel Mendes Silva – nicht mehr als vier Tiersorten (abgesehen von Haustieren, natürlich) benennen kann (der Rest sind alles bichos) und noch weniger Baumsorten (die sind, je nach Größe, alle árvores oder arbustos), weiß er für die vor der portugiesischen Küste gefangenen Fischarten die spezifische Bezeichnung auf Anhieb.

Etwas Verwirrung gab es lediglich um die palmeta, wegen derer Fanggründe die portugiesischen und spanischen Fischer einerseits und die kanadische Küstenwache andererseits vor vier Jahren schwer aneinander gerieten. Palmeta ist der grönländische Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides), der vor allem in den spanischen Supermärkten tiefgefroren als Filet oder in Stäbchen angeboten wird und daher dem auf Frischfisch eingestellten portugiesischen Publikum weitgehend unbekannt war.

Der Fisch, der im Bewußtsein eines Volkes solch eine bedeutende Rolle spielt, hat natürlich auch sprachlich starke Spuren hinterlassen. Von den vielen idiomatischen Redewendungen und Sprichwörtern seien hier nur die wichtigsten aufgeführt. So sagt man von jemandem, der eine Situation für sich ausschlachtet, z.B. durch Herausschinden von Zeit, ele faz render o peixe, d.h. er schlägt seinen Fisch günstig ab. Oder wenn jemand versucht, seine Sachen an den Mann zu bringen, ele tenta vender o seu peixe. Eine Anspielung auf Portugals bekanntesten Heiligen, den Santo António, der ja bekanntlich zu den Fischen (!) predigte, ist der Ausspruch pregar aos peixes, was allerdings das Gegenteil wie in der Sage bewirkt: d.h. keiner hört zu. Es kann eben nicht jeder ein Heiliger Antonius sein!

Dazu ein paar Sprichwörter aus dem Reich der Fische: Filho de peixe sabe nadar (zu deutsch weniger maritim: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm). Oder: Peixe velho é entendedor de anzóis (etwa: Ein alter Fisch kennt sich mit den Angelhaken aus, d.h. läßt sich nicht so leicht hereinlegen). Oder: Os peixes não vêem a água (Die Fische sehen das Wasser nicht, d.h. Betriebsblindheit auf portugiesisch). Oder: Os peixes são para nadar e as toupeiras para minar (wörtlich: Die Fische sind zum Schwimmen da und die Maulwürfe zum Wühlen.). Oder: Pela boca morre o peixe e a lebre ao dente (eine Art Warnung vor zu großer Gier, denn: Der Fisch stirbt durch das Maul und der Hase durch den Zahn). Und schließlich noch ein kulinarisches Sprichwort: O peixe deve nadar três vezes: em água, em molho e em vinho (der Fisch muß dreimal schwimmern: im Wasser, in der Soße und im Wein).

Ein Fisch muß in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden, der Kabeljau (o bacalhau). Er hat für die Portugiesen eine fast mythische Bedeutung. Er ist der fiel amigo, der "treue Freund", der immer da ist (Anspielung auf die Haltbarmachung durch Salzen und Trocknen), es sei denn, es gibt mal einen Versorgungsengpaß. Dann muß sich der bacalhau gefallen lassen, als infiel amigo geschmäht zu werden. Es gibt in Portugal regelrechte Associações dos amigos do bacalhau, wo Vorträge gehalten werden und eines der vielen bacalhau-Rezepte ausprobiert wird (es soll angeblich so viele geben wie Tage im Jahr!).

Der portugiesische Kabeljaufang hat eine lange Geschichte, die sich mit der der portugiesischen Entdecker durchaus messen kann. Schon Mitte des 14. Jahrhunderts durften Lissabonner und Portuenser Fischer vor der englischen Küste tätig sein (Vertrag der englischen Krone mit D.Pedro I), und bereits im 15. Jahhundert verfolgten die portugiesischen Kabeljaufänger die Fischschwärme bis vor die nordamerikanische Küste. João Lavrador, welcher der kanadischen Halbinsel Labrador den Namen gegeben hat, soll bereits 1492, also in dem Jahr, das als offizielles Entdeckungsdatum Amerikas gilt (Kolumbus vor den Antillen) amerikanisches Festland betreten haben. Einige Jahre später tauchten die Brüder Corte Real hier auf, wovon der Dighton Rock in der Nähe von Boston (1511) Zeugnis ablegt. Auf den nach ihren Angaben angefertigten Karten trug das Gebiet von Neufundland die Bezeichnung Terra dos Bacalhaus.

Die águas de bacalhau sind inzwischen sprichwörtlich geworden, denn wenn jemand oder etwas von hier nicht zurückkehrte (ficar em águas de bacalhau), dann konnte man das Unternehmen abschreiben, für gescheitert erklären.





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Portugal-Post Nr. 7 / 1999





Antiga Casa do Bacalhau
(Lisboa)
Foto: Peter Koj




Stockfisch-Händler auf dem
Wochenmarkt
Foto: Christel Lauritzen