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Mísia – Meisterin der kalten Leidenschaft

Von Ferdinand Blume-Werry

Warum mir kalt wird, wenn ich ihr zuhöre, warum ihre Stimme so oft etwas von messerscharfen Eiszapfen hat, mag daran liegen, daß Mísia vor dem Hintergrund des Fado versucht, Gegensätzliches zu vereinen, was ihr bisweilen wirklich gelingt. Doch unter Fado habe ich immer etwas anderes verstanden, etwas das man nicht benutzen kann, weil es sonst zerbricht.

Zu sehr ist Mísia eine Kunstfigur des Fado, eine marktgerechte Puppe, deren Manager es verstehen, den Fado zu einer auf allen Kontinenten verständlichen Kunstform zurechtzuschneidern.

Die eigentliche Herkunft des Fado scheint bei diesem Experiment allerdings zum Schluss fast beliebig zu werden, auch dann, wenn die Sängerin auf der Bühne ihre portugiesischen Wurzeln nicht müde wird, einem durchaus begeisterten Publikum in stets englischer Sprache – warum wohl? – zwischen den einzelnen Liedern zu erklären. Das hat alles mehr mit einem globalen Sendungsbewußtsein zu tun, als mit ehrlicher Musik! Doch gerade in dieser Branche setzt sich bekanntlich nur der durch, der erfolgreich Konzertsäle füllt.

Die aktuelle CD heißt ganz zurecht «Paixões Diagonais», denn auf ihr wird ein Querschnitt unterschiedlicher Musikkulturen versucht, wobei der Fado bei diesem, in einigen Fällen gelungenen Versuch eher die musikalische, alles einende Klammer darstellt. Mísias diagonale Leidenschaft ist es offensichtlich, die verschiedenen musikalischen Traditionen miteinander zu verbinden. Leider ist das Ergebnis in manchen Fällen eher Irritation, sofern man Fado erwartet, und nicht bereit ist, sich auf die musikalischen Experimente der Künstlerin einzulassen. Schließlich kann es durchaus reizvoll sein, in einer Gratwanderung zwischen Chanson und traditionellem Fado herumzuspazieren und dabei auch noch wirklich gute Texte zu singen wie zum Beispiel das sehr lyrische Titellied mit einem Text von João Monge.

Deshalb ist es auch einsichtig, wenn die „Fadista“ mit «Par rêve» offensichtlich als Huldigung an ihr französisches Publikum eines der französischen Gedichte Fernando Pessoas singt, und es ist folgerichtig, dass sie den Text im Kleid eines Chansons daherkommen lässt: „Si vous m’aimez un peu?“ singt sie da: „Wenn ihr mich ein wenig liebtet?“

Der fast multikulturell zu nennende Fado-Stil äußert sich dann auch in Mísias ganzem Auftritt. Auf der stets schlichten Bühne, die abwechselnd in unterschiedlich farbiges Licht getaucht ist, steht sie vor ihren Musikern – allen voran ihr Akkordeonspieler und Produzent Ricardo Dias – als eine fast lei-chenblass und mit hochroten Lippen geschminkte Diva, die sich unter ihrem Fransenschal kaum bewegt. Eine Distanziertheit, die fast jenseitig ist, eine gespielte Traurigkeit, die immer dann aufbricht, wenn ihre Lieder im Beifall enden und sie ihre Blicke kalter Leidenschaft in die ersten Reihen wirft. Eine unglaubliche Mischung aus einer Pop-Geisha und einer Fado-Ikone.

Und weil das alles nicht reicht für ein süchtig-sehnsüchtiges Publikum wird schließlich noch die hervorragende Pianistin Maria João Pires für die Piano-Version von «Paixões Diagonais» bemüht. Das Ergebnis ist wirklich wunderbar anzuhörende Musik, schon fast Kammermusik, aber alles andere als Fado. Und dieser Etikettenschwindel ist einfach schade, ja ein Ärgernis, denn durch derartige Verwässerungen und Experimente – so wichtig sie für die Entwicklung der Musik insgesamt auch sein mögen – wird eine portugiesische Tradition eher kolportiert und globalisiert, aber nicht wirklich als Fado in die Welt getragen. Doch jene reine Leidenschaft des Fado ist vielleicht etwas, das unabhängig von seinen Ursprüngen gar nicht existieren kann, zumindest aber nur dann wirklich überzeugt, wenn die Fadista das, was sie singt, gänzlich selbst erlebt und erlitten hat. Dann ist jede Silbe, jeder Ton und jede Gestik ehrlich.





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Portugal-Post Nr. 9 / 2000