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ESSA NOSSA DITOSA LÍNGUA X
Kleines Lexikon des Fado

Von Peter Koj

Bevor ich – dem Hauptthema dieses Heftes entsprechend – ein paar zentrale Begriffe zum Thema Fado zusammenstelle, soll es noch einen kleinen Nachschlag zum Beitrag der letzten Portugal-Post geben („Portugiesisches im deutschen Wortschatz“). Es handelt sich um zwei Begriffe, die – wie könnte es anders sein! – wieder umstritten sind, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Da ist zuerst die schöne Pflanze Hortensie, die es ja bekanntlich in Nordportugal und auf den Azoren zu besonders üppigem Wachstum und großer Blütenpracht bringt. Ein französischer Botaniker des 18. Jahrhunderts soll auf Faial davon so beeindruckt gewesen sein, dass er sie nach dem Hauptort dieser Azoreninsel, nämlich Horta (eigentlich „Gemüsegarten“), Hortensia getauft haben soll. Leider findet sich diese schöne Worterklärung nicht in den einschlägigen deutschen und französischen etymologischen Lexika. Hier wird immer auf die schöne Begleiterin des französischen Botanikers namens Hortense hingewiesen, was ja auch eine sehr hübsche Erklärung ist.

Bei dem anderen Begriff ist die portugiesische Herkunft mit Händen zu greifen. Er bezeichnet eine so typisch portugiesische Sache, dass man sich in unseren Breitengraden erst gar nicht die Mühe gemacht hat, ihn sprachlich einzuverleiben, sondern ihn direkt übernommen und nur die Schreibweise ein wenig angepasst hat. Es ist das Autodafé aus portugiesisch o auto-de-fé (wörtlich übersetzt: „feierlicher Akt des Glaubens“). Hinter diesem pompösen und Ehrfurcht erheischenden Begriff verbirgt sich aber eine ganz schlimme Sache, nämlich die Schauprozesse der Inquisition, die für viele der Angeklagten, zumeist Neuchristen, d.h. zwangsgetaufte Juden, auf dem Scheiterhaufen endeten.

Doch nun zum Lexikon des Fado. Der erste und zentrale Begriff ist der des Fado selbst. Über seine Herkunft wird viel spekuliert. Die gängige Erklärung ist, dass er sich von fado = destino, Schicksal (lat. fatum) herleitet. Das passt sehr schön zu dem, was man sich allgemein unter einem Fado vorstellt, nämlich einen traurigen Gesang von der Unvermeidlichkeit des Schicksals, voll portugiesischen Weltschmerzes, auch saudade genannt. Nur lässt diese Erklärung außer Acht, dass es auch einen anderen Typ von Fado gibt. Man unterscheidet in Lissabon (vom Coimbra-Fado soll hier ganz abgesehen werden, da sich dieser in eine ganz andere Tradition stellt) zwischen dem getragenen Fado, dem fado destino oder auch fado sentido, und dem frechen, häufig anzüglichen fado corrido oder auch fado Mouraria. Während der erste in Moll klingt (weswegen er auch gelegentlich als fado menor bezeichnet wird) und langsame bis schleppende Tempi anschlägt («revoada sentimental de melancolias»), ist der zweite in Dur und kommt flott-hüpfend daher («tom brejeiro ou divertido, balanço alegre»).

Egal ob fado sentido oder fado corrido, er muss castiço (rein, unverfälscht) sein, d.h. er darf nicht durchkomponiert sein wie der fado canção, welcher dem/der fadista keine Möglichkeit der Improvisation lässt. Diese Gefahr besteht weniger beim fado vadio (auch fado amador genannt), d.h. dem von Amateuren in Kneipen (tascas, tabernas) und Freizeitclubs (sociedades recreativas) gesungenen Fado, in seinen „klassischen“ Ursprungsorten (Alfama, Bairro Alto, Mouraria) heute kaum noch aufzufinden, allenfalls in Arbeitervierteln wie Bica, Madragoa oder Pedrouços. Im Gegensatz zum fado vadio steht der fado comercial, der in den sogenannten casas de fado (Fadolokalen) von professionellen Fadosängern und -sängerinnen (os fadistas, as fadistas) dargeboten wird. Hier herrscht consumo mínimo (Verzehrzwang) und das zumeist internationale Publikum verleitet zu den unglaublichsten Stilverfälschungen. So wird das Publikum bei den Klängen von „Viva España“ zum Mitklatschen aufgefordert oder z.B. im «Machado» (Bairro Alto) zu einer marcha popular durch das Lokal animiert, was dann eher an die Blankeneser Polonäse erinnert.

Beiden Institutionen ist gleich, dass die fadista, wenn sie zum Singen ansetzt, sich in einen xaile hüllt. Das ist ein Umhang, meistens aus einem dünnen Klöppeltuch, das von langen Fransen gesäumt ist, offensichtlich eine letzte Reminiszenz an die Herkunft des Fado aus dem Prostituiertenmilieu (meia porta). Übrigens ist noch heute fado ein Slangwort für „Prostitution“. Amália war übrigens die erste, die einen schwarzen xaile trug, um eine größere Konzentration auf die Stimme zu erzeugen. Bei dem fadista, umgangssprachlich auch o faia genannt, wird der Bezug zum Prostituiertenmilieu durch Kleidung und Körperhaltung noch heute deutlich dokumentiert: während die fadista bei ihrem Gesang, besonders des fado sentido, fast madonnenhafte Züge annimmt (Mísia kann dies besonders gut!), lümmelt der fadista bewusst lässig, mit offenem Hemdkragen, Händen in den Hosentaschen und brennender Zigarette im Mundwinkel, so wie man sich eben einen Zuhälter (chulo) vorstellt!

Es gibt allerdings auch das totale Gegenteil, den fadista de boné, d.h. den super-eleganten und sensiblen Dandy. Dieser trägt häufig einen manto, einen dunklen, ärmellosen Umhang. Diese edle Variante des fadista schließt an die Tradition der Adligen des 19. Jahrhunderts an, allen voran der Conde de Vimioso, mit dessem angeblichem Verhältnis zur jungen Prostituierten und Fadosängerin Severa alles begann. Diese Adligen fanden einen besonderen Reiz darin, sich feingekleidet unter den Pleb (escória, ralé) der sogenannten bairros populares (Alfama, Bairro Alto, Mouraria, Madragoa, Bica etc) zu mischen und ihre Vergnügungen zu teilen, d.h. auch zur Gitarre zu greifen oder selbst den fado zu singen. Sie gehörten damit zur fadistagem, der sündigen Welt des fado.

Noch eines haben fado vadio und fado comercial gemein: sie erwarten vom Publikum absolute Ruhe. Die übliche Formel, die man hört, wenn der oder die fadista sich in Positur begibt und immer noch Unruhe herrscht, lautet: «Silêncio que se vai cantar o fado». Wer dann noch immer nicht ruhig ist, dem kann es passieren wie ich es mit einem älteren Besucher in einer Kneipe in einem Lissabonner Vorort erlebt habe: er wird sanft aber unmissverständlich vor die Tür gesetzt. Nun, in den kommerziellen casas de fado mit touristischem Publikum ist man sicher großzügiger. Woher sollen die armen Ausländer auch wissen, dass man während des Fadovortrags nicht mit dem Besteck klappert, dass man einen bis zwei Takte vor Ende des Fado Beifall klatscht (und nicht erst nach Verklingen der letzten Note) und dass man dabei seiner Begeisterung in Ausrufen wie «Ah, boca linda!» oder «Ô fadiiiiiiista!» geräuschvoll Luft verschafft?

Bleiben noch die begleitenden Musiker. Es sind immer männliche Wesen und deswegen heißen sie auch o guitarra (das ist der Herr, der a guitarra spielt) und o viola (das ist sein Kollege, der a viola zupft). Gelegentlich kommt noch ein Bassgitarrist (o viola baixo) dazu. Um was für Instrumente handelt es sich dabei? Die viola ist die 6saitige klassische oder spanische Gitarre, die mit ihren Bassläufen das rhythmische und harmonische Fundament liefert. Die guitarra ist die 12saitige portugiesische Gitarre (guitarra portuguesa), eine Weiterentwicklung der mittelalterlichen Laute. Sie ist zumeist der Star der Truppe, denn der viola kann sich auf ihr improvisierend austoben, den Gesang des oder der fadista mit seinen Läufen umspielen und vor allem durch rubatos (Glissandi) und gemidos (Vibrati) diesen unverwechselbaren Klang erzeugen (a guitarra trina), der einen fado sentido zu einem wahren fado choradinho oder auch fado lamentoso oder auch fado gemidinho macht. Wenn dann noch die fadista (die männlichen fadistas können das nicht so gut!) mit diesem eigentümlichen, angeblich aus dem maurischen Erbe stammenden requebro da voz (sehnsuchtsvollen Ziehen der Stimme) – dies geschieht besonders in der ihr am Ende des Fado freigehaltenen Fermate (retardo) – „den Blues der Portugiesen“ aus tiefster Kehle hinausstöhnt, dann kann selbst der hartgesottenste Hanseat nicht an sich halten: Ô fadiiiiiista!





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Portugal-Post Nr. 9 / 2000