.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Treffpunkt Deutschland 500 Jahre danach

Berichte von mit Deutschen verheirateten Brasilianerinnen
Ein Kommentar zu Deta Engel «Debaixo da mesma neve» („Unter demselben Schnee“)

Von Gilberto Calcagnotto *

Der 500. Geburtstag Brasiliens ist auch für Brasilianerinnen und Brasilianer in Deutschland ein guter Anlass zum Nachdenken. Nachdenken über die eigenen Wurzeln, über die eigenen Identitäten – ja, im Plural, denn man verändert sich im Laufe der Zeit – und über die Beziehungen zu den Mitmenschen in Familie, Beruf, Land und Ausland.

Das Buch von Deta Engel passt wie ein Handschuh auf die von Schnee und Nachdenken geprägte Landschaft der 500Jahrfeier von Brasilianern in Deutschland – allerdings spiegelverkehrt. Denn die Berichte beschreiben die Beziehungen zwischen Alter und Neuer Welt aus der Froschperspektive, pardon, aus der Frauenperspektive, genauer: aus der Perspektive von Südmenschen, die den Weg von Pedro Álvares Cabral in umgekehrte Richtung beschritten haben.

Aber die Menschen, die in Deta Engels Buch zu Wort kommen, sind nicht nur Eroberer, wie Cabral; es gibt sie dort sehr wohl, etwa in Form von Frauen, die buchstäblich ihre Ehemänner nacheinander „gejagt“ und erobert haben. Die meisten aber gehören zu den Eroberten. Und dazwischen gibt es auch eine Mittelschicht, die sich teilweise hat erobern lassen, teilweise jedoch auch zu den Eroberern gehört.

Diese drei Kategorien können aber auch in den sozialgeographischen Kategorien von Nord-Süd erfasst werden. Denn der entwickelte Norden hat ja seit mindestens 500 Jahren den Süden nicht nur entdeckt, sondern darüber hinaus kolonisiert und ... unterentwickelt gehalten. Natürlich ist der Süden nicht nur deshalb unterentwickelt, weil der Norden entwickelt ist. Auch im Süden gibt es die internen Kolonialisten: Der brasilianische Nordosten ist Brasiliens Armenhaus, das dem entwickelten Süden und Südosten des Landes billige/willige Arbeitskräfte und kostbare Rohstoffe zu denkbar bezahlbaren Preisen liefert. Und auch im Süden des brasilianischen Subkontinents gibt es unterentwickelte und entwickelte Gebiete.

Und genau dieser Dreiteilung begegnen wir auch in den Berichten, die Deta Engel mit großer Akribie gesammelt hat. Sie spiegeln sehr deutlich drei verschiedene idealtypische Verbindungen zwischen Brasilianerinnen und Deutschen wider. Es gibt den Typ „Süd-Süd“, d.h. arme Brasilianerin und armer Deutscher, dann den Typ „Nord-Süd“, d.h. Brasilianerin aus gutem Haus mit Deutschem aus bescheidenen Verhältnissen und schließlich den Typ „Nord-Nord“, d.h. Brasilianerin und Deutscher stammen aus sozial gehobener Schicht.

Eine Brasilianerin aus einer Verbindung dieses letzten Typs, Sozialwissenschaftlerin mit Hochschulab-schluss, bringt den Unterschied zwischen ihrem Geburtsland und ihrer neuen Heimat folgendermaßen auf den Punkt: „Während Brasilien das Land der Sonne, des Meeres, der genüsslichen Wärme, des Lachens der Menschen, der zwischenmenschlichen Gefühle, des Tanzes ist, trägt das Klima in Deutschland dazu bei, dass sich Häuser, Gesichter, Menschen verschließen“ («o clima daqui ajuda a fechar as casas, as caras, as pessoas»).

Bei den Deutschen vermisst sie die Fähigkeit ihrer Landsleute, spontan zu sein und zu improvisieren, erkennt aber an, dass in Deutschland (fast!) alles klappt und die Amtsstuben ihren Dienst tun, während in Brasilien die Verantwortungslosigkeit herrscht und soziale Pflichten und Rechte nicht respektiert werden. Übrigens hat ihr Mann die in 20jährigem Brasilienaufenthalt gewonnene Spontaneität sehr schnell wieder abgelegt, als er nach Deutschland zurückkehrte.

In den Ehen vom Typ „Süd-Süd“ schneiden Brasilien und Deutschland gleichermaßen schlecht ab. Hier kommen die Brasilianerinnen zwar auch aus ärmlichen Verhältnissen, doch die Ärmlichkeit in Deutschland hat unerwartet ein ebenfalls hässliches Gesicht (z.B. Plackerei auf dem Feld, Sparen bei der Heizung, dem Telefonieren etc.). Eine Brasilianerin aus ärmlichen Verhältnissen beklagt sich, in Deutschland nicht einmal ein Badezimmer zu haben: «Na minha pobreza vivia melhor, tinha em casa banheiro».

Als Beispiel einer Ehe vom Typ „Nord-Süd“ mag eine junge Brasilianerin aus dem gehobenen Mittelstand dienen, die nach finanziellen Problemen mit ihrem deutschen Mann nach Deutschland ausgewandert ist. Hier fühlt sie sich einerseits sicherer, sozial abgesichert. Andererseits verspürt sie eine starke Verunsicherung im psychischen Bereich, die aus einer emotionalen Leere rührt. Sie hat saudades nach der Wärme und dem Wirbel der brasilianischen Großfamilie, dem Lachen, dem Scherzen. Umgekehrt hätte sie große Angst nach Brasilien zurückzukehren, wo sie sich vor einer unsicheren Zukunft sieht.

So erweist sich der umgekehrte Weg der Entdeckung für viele Menschen aus dem Süden als dornenreich. Ihre Berichte regen aber auch den Norden zum Nachdenken an.


* Gilberto Calcagnotto ist Soziologe am Hamburger Institut für Iberoamerika-Kunde. Hier fand auch am 21.2.00 als Veranstaltung zu den 500Jahrfeiern die Präsentation des Buches von Deta Engel statt (Veranstalter: Brasilianische Botschaft, Institut für Iberoamerika-Kunde und Brasil Dienst)






Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 10 / 2000