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Auslandsjahr in Portugal 1999/2000

Von Luise Albers *

Manche andere Austauschschüler haben am 30. 6. 2000 beim Abschied von ihren Gasteltern geweint. Bei mir war es zwar auch ein sehr bewegender Moment, denn in den zehn Monaten, die ich in dieser portugiesischen Familie in der Nähe von Setúbal verbracht hatte, war schließlich ein ganz besonderes Verhältnis entstanden. Aber der Abschied fiel mir leichter als den meisten, da meine Gasteltern versprochen hatten, auf ihrer Sommer-Europa-Reise mit dem Wohnmobil bei mir und meiner „echten“ Familie vorbeizuschauen.

Ich hatte versucht, sie zu überreden, einige Tage vor ihrer Ankunft in Hamburg anzurufen, damit ich mich darauf einstellen und etwas vorbereiten könnte. Da sie jedoch meinten, wenn man sich terminlich irgendwie binden würde, wären das ja keine Ferien mehr, konnte ich sie nur dazu bringen, mir ein ungefähres Datum zu nennen.

Nachdem ich mich dann gerade wieder ein wenig in Hamburg eingelebt hatte – es gibt Austauschschüler, die das Wieder-Einleben für schwieriger halten als die erste Zeit im Gastland, und auch ich würde das nicht ganz von der Hand weisen! – standen meine Gasteltern plötzlich vor der Tür. Und zwar eine halbe Woche früher als ich mit ihnen gerechnet hätte. Das war wieder typisch Portugiesisch?

Ich finde eigentlich, man kann nicht Eigenschaften einer ganzen Nation zuordnen und von „typisch...“ reden, aber manches ist mir doch vielerorts und häufig aufgefallen, wie eben diese Spontanität (die wunderbar und entspannend ist und von der man sich in unser Gesellschaft sicher eine große Scheibe abschneiden sollte!), die bis zur absoluten Unorganisiertheit reichen kann (wo sie mir dann teils auch auf die Nerven gegangen ist). Dass die Gastgeber einer Party als letztes und mit Stunden Verspätung erscheinen, daran kann man sich ja ganz gut gewöhnen, aber dass zum Beispiel nach einem Großeinkauf Anstalten gemacht wurden, aus der Kiste im Kofferraum jedes Teil einzeln ins Haus zu tragen, statt einfach zu zweit die Kiste im Ganzen zu tragen, ließ mich dann doch etwas Effektivitätsdenken vermissen...)

Mit meinen Gasteltern habe ich dann noch zwei schöne Tage verbracht und war mit ihnen auf der EXPO, wofür sie mir trotz heftigen Widerstandes meinerseits den Eintritt gezahlt haben. Das ist mir in Portugal auch mit anderen Leuten ständig so gegangen, so dass ich Großzügigkeit ebenfalls zu den Eigenschaften zähle, die ich „den Portugiesen“ zuordnen würde.

Und eine gewisse Direktheit. Im Februar kam ich in einen Laden, dessen Besitzerin mir meine Gastmutter in meinen ersten Tagen dort vorgestellt hatte, die ich aber seitdem nicht getroffen hatte. Sie musterte mich und verkündete dann mehrfach und laut: „A menina está muito mais gorda!“ (Womit sie im übrigen durchaus recht hatte, denn ein halbes Jahr mit großartigem portugiesischen Essen hatte trotz ausgedehnter Fahrradtouren durch das Weinanbaugebiet rund ums Haus und am Sado-Ufer entlang seine Spuren hinterlassen!)

Die meisten Portugiesen, die ich kennengelernt habe, habe ich als sehr patriotisch empfunden. Das kann ich inzwischen wirklich gut nachvollziehen, denn ich war insgesamt sehr glücklich in diesem Land im Süden Europas, von dem ich zuvor so wenig gewusst hatte. Natürlich gab es kleine Schwierigkeiten, Heimweh und anfangs auch die Verständigung. (Einer anderen deutschen Austauschschülerin fehlte im Restaurant mal eine Serviette und da ihr „guardanapo“ nicht einfallen wollte, sprach sie stattdessen „Serviette“, was doch nun kein Wort deutschen Ursprungs und somit auch anderswo zu verstehen sein müsste. Die Kellnerin hielt dies für eine Bitte nach „cerveja“, und da ohnehin oft das Vorurteil herrscht, Deutsche würden den ganzen Tag Bier trinken, wurde ein solches dann auch geliefert...)

Die positiven Momente überwogen jedoch bei weitem, und ich kann auf mein Auslandsjahr als auf eine richtig „runde Sache“ zurückblicken: Familienharmonie in ganz neuer Form, Spaß mit Freunden, neue Sprachkenntnisse und anderes, was ich u.a. aus dem Unterricht dort mitgenommen habe, Einblicke in Geschichte, Kultur und Mentalität, Ausflüge, die mich die herrliche und vielseitige Landschaft Portugals sehen ließen...

Nach diesen zehn Monaten, in denen ich Unter-schiede und Gemeinsamkeiten zu meiner vertrauten Umgebung festgestellt habe – u.a. ist mein Europaideal gewachsen! –, glaube ich jetzt recht genau zu wissen, wo ich hingehöre und was mir meine eigene Familie, Sprache usw. bedeutet; aber Portugal wird ein ganz besonderer Platz für mich bleiben. Im Oktober fahre ich wieder hin und das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Viva Portugal!


* Luise Albers ist Schülerin des Gymnasiums Hochrad in Othmarschen. Nach ihrer Rückkehr aus Portugal ist sie prompt unserer Gesellschaft beigetreten und verstärkt nun auch unser Redaktionsteam






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Portugal-Post Nr. 11 / 2000


Die Gastfamilie bei einem Ausflug nach Nazaré: José, Miraldina, Mariana, Acácio und Luise Albers