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Interview mit Álvaro Siza Vieira *

Álvaro Siza Vieira, 1933 in Matosinhos geboren, ist ein außergewöhnlicher Mann. Es ist sicher nicht übertrieben, ihn als den derzeit bekanntesten portugiesischen Architekten zu bezeichnen. Wie die Verleihung hochangesehener Preise zeigt (Mies van der Rohe, 1988; Pritzker, 1992; Praemium Imperiale, 1998), werden seine Verdienste auch im Ausland gewürdigt. Dabei wird immer wieder verwiesen auf die ihm eigene Mischung von modernen Einflüssen und direkten Antworten auf konkrete Erfordernisse der Projekte.

An einem Sonnabend um 12 Uhr warteten wir in den Studios von Siza Vieira auf den Beginn des Interviews und konnten den Ort in Augenschein nehmen, an dem er zusammen mit weiteren 27 Architekten, unter ihnen Fernando Távora und Souto de Moura, Projekte entwirft. Wir wissen, dass er mit letzterem gerade den portugiesischen Pavillon der Weltausstellung in Hannover projektiert hat. Der Blick über den Rio Douro ist erhebend, das Licht flutet über die mit Planen bedeckten Arbeitstische. Siza Vieira kommt (aus einem anderen Interview), begrüßt uns ohne das oft Kapazitäten seines Ranges eigene Gehabe und beginnt das Gespräch nach Anzünden einer Zigarette.

WIP: Neulich waren wir wieder einmal in Ihrem neben der Casa de Chá wohl bekanntesten Portuenser Meisterwerk, dem Museu Serralves. Wir waren dabei ein wenig erstaunt, dass einige Fenster mit Bildern der Ausstellung von Andy Warhol verhängt waren. War dies in Ihrem Sinne?

S.V.: Ich finde das unglaublich, verrückt, doch ist das leider kein Einzelfall. Ich meine, dass ein Museum in der ersten Zeit seines Bestehens von den Leuten insbesondere besucht wird, um das Gebäude selbst zu besichtigen. Später tritt ein gewisser Gewöhnungseffekt ein und das Gebäude hat für den Besucher nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zu Beginn. Das Museum Serralves hat sehr gute natürliche Lichtbedingungen, und ich finde es merkwürdig, auf künstliches Licht zurückgreifen zu müssen, weil die Fenster verhängt werden.

WIP: Aber drückt sich nicht gerade hierin eine zumindest im Norden Portugals weitverbreitete Einstellung zum Licht aus? Wir haben den Eindruck, dass man in Portugal zum Licht ein eher distanziertes Verhältnis hat.

S.V.: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Jedenfalls ist es im Museu Serralves außerordentlich wichtig, die Wechselwirkung von Gebäude und Gartenanlagen zu bewahren. Das ist die Grundlage, das Besondere des Museums. Aber das wird leider nicht immer berücksichtigt.

WIP: Herr Siza Vieira, Sie sind ein international bekannter, aber auch ein international beeinflusster Architekt. Wie würden Sie z.B. selbst Ihre portugiesischen Wurzeln definieren?

S.V.: Das Portugiesische in meinen Arbeiten ist mir zumindest teilweise selbst nicht bewusst. Ich meine damit die Einflüsse, die ich während meiner Kindheit im Norden Portugals erfahren habe. Aber von großer Bedeutung ist sicherlich das Licht, der Granit, das Dunkle. Alles war dunkel und ich hungerte nach Licht. Wir haben nämlich nicht nur Wurzeln, sondern auch Zweige, und diese suchen das Licht.

WIP: Und welche Architekten haben Ihnen geholfen, diese Zweige zu entdecken?

S.V.: Derjenige, der mich zu Beginn sicherlich am nachhaltigsten beeinflusst hat, ist zweifelsohne Fernando Távora. Mit ihm arbeite ich von Anfang an zusammen. Auch AlvarAalto, der ebenfalls aus einem peripher gelegenen Land Europas stammt, kann ich nennen und natürlich Le Corbusier. Aber im Grunde ist die Beeinflussung eines Architekten vielfältig und lässt sich nicht beschränken auf einige wenige Vorbilder.

WIP: Sie haben auch viel in Deutschland gearbeitet. Eines Ihrer Projekte dort war z. B. der Bau von Sozialwohnungen. Haben Sie auf diesem Feld auch hier in Portugal gearbeitet?

S.V.: Sozialwohnungen? Der Großteil meiner Arbeiten sind Sozialwohnungen. So habe ich beispielsweise in Évora einen Komplex von 7200 Wohnungen konzipiert, in Holland habe ich in diesem Bereich in Den Haag gearbeitet, und in Deutschland, genauer, in Berlin, erarbeitete ich ein Konzept für türkische Gastarbeiter.

WIP: Wie empfanden Sie die Arbeit in Deutschland?

S.V.: In Deutschland und auch in Holland gibt es sehr strenge Bauvorschriften, die dem Architekten nicht die Freiheiten lassen, die beispielsweise in Portugal bestehen. So müssen etwa die Sozialwohnungen nach bestimmten Vorgaben und mit vorgefertigten Bauelementen geplant werden, die Farbe und die Dimensionen der baulichen Einzelteile, wie der Fenster, der Türen werden vorgeschrieben. Die Sicherheitsstandards sind strenger. Einiges davon sollte in Portugal übernommen werden.

WIP: Ihre Projekte in Berlin wurden in den achtziger Jahren durchgeführt. Sind Sie nach dem Fall der Mauer wieder nach Berlin zurückgekehrt?

S.V.: Nicht, um Projekte durchzuführen. Ich wurde zwar mehrfach zu Veranstaltungen eingeladen und auch aufgefordert, mich an internationalen Ausschreibungen zu beteiligen, doch habe ich davon Abstand genommen, denn mir ist die Bautätigkeit in Berlin zur Zeit zu hektisch: man muss etwa große Projekte in nur zwei Monaten entwerfen ...

WIP: Spiegelt die heutige Architektur die Ansprüche der Gesellschaft an sie wieder oder spielen auch andere Einflüsse eine Rolle?

S.V.: In Wirklichkeit spielen politische und wirtschaftliche Entscheidungen oft eine viel größere Rolle, als gemeinhin angenommen wird. Sie engen den Handlungsspielraum des Architekten entscheidend ein. Zu einer Ausschreibung präsentieren verschiedene Architekten ihre Entwürfe, von denen die unabhängige Jury einen auswählt. Danach werden die Politiker gefragt, die oft nicht dem Urteil der Jury folgen. Dies ist mir z.B. in Ceuta, Valencia und Rom passiert. Doch auch die Wirtschaft beeinflusst die Architektur. So reichten z. B. für die Durchführung meines Projektes des Museums für zeitgenössische Kunst in Amsterdam die Mittel nicht. Erst durch den Vorschlag der Einzelhandelskette A1di, das Museum unter der Voraussetzung mitzufinanzieren, dass in einem Teil des Baus eines ihrer Geschäfte eröffnet wird, konnte wieder an eine Realisierung gedacht werden. Die Entscheidung steht bisher noch aus.

WIP: Herr Siza Vieira, WIP hätte noch viele Fragen an Sie. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit möchten wir Ihnen jedoch an dieser Stelle für Ihre Gesprächsbereitschaft auch im Namen unserer Leser danken.


* Dieses Interview drucken wir mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift WIP (Wir in Porto) ab, in dessen 8. Heft (Juni / August 2000) es auf S. 3-4 erschien. Wir danken PHG-Mitglied Susanne Munz aus Porto für die Vermittlung




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Portugal-Post Nr. 13 / 2001


Siza Vieira