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Die Tragödie ist nicht Zé Cabra

Von Regina Correia

Es war einmal in Portugal ein kleiner Junge, der in einem kleinen Dorf des Landesinneren wohnte, wo man noch eine leichte Brise atmen konnte, die von grünenden Bergen gefiltert wurde, welche Millimeter für Millimeter von der Kreatur Mensch und seinen Tieren ausgenutzt wurden. Es war eine verlassene Gegend so wie viele andere, reich lediglich an Felsbrocken und freiem Himmel. Um den Hunger zu stillen – denn zu mehr reichten die paar Groschen nicht – blieb diesem Volk Hiobs nichts anderes als ein paar Ziegen über die Gebirgspfade zu treiben, ein paar Kartoffeln anzubauen, ein bisschen Grünzeug und einen kümmerlichen Roggen, der sich in das gesegnete täglich Brot verwandeln sollte. In der Nähe gab es keine Schule, kein Krankenzentrum, kein Altersheim. Der einzige Trost der wenigen, bereits betagten Überlebenden dieses Fleckens war, oberhalb des nächsten Anhöhe, die kleine Kapelle der Hl. Jungfrau vom Berg. Das Weiß ihrer gekalkten Wände war in der erbarmungslosen Sommersonne so grell, dass es selbst dem in den Augen wehtat, der die Kapelle von Ferne suchte. Ein Priester ohne feste Gemeinde zelebrierte hier alle vierzehn Tage die Messe – im Winter nur einen Sonntag im Monat. 

Aber Ende August inszenierten alle zwei Jahre Menschen und Tiere für einen Tag das Paradies. Sie legten ihre weggetretene und resignierte Miene ab, schmückten sich mit Farben und Illusion und führten voller Stolz ihre Schutzheilige auf einem mit Federnelken und Besenginster geschmückten Traggerüst über die Gebirgspfade spazieren. Vorweg der Herr Prior und die Brüderschaft, dann die anderen Männer, darauf die Frauen mit den Kleinen, Gesänge und Litaneien anstimmend. Und am Ende der Prozession das Volk, das schon auf die Raketen gespannt war, auf die süßen Kuchen, auf den Dorfschwof. Es war die Dankfeier der Pilger, die von allen Enden der Welt gekommen waren, um ihre Seele wiederzufinden und in Frieden wieder abzureisen. 

An solch einem August geschah es, dass der besagte Knabe sich seinen Pappkoffer mit der wenigen Habe griff, welche der Besitzstand der Familie zuließ, und Richtung Frankreich abzog. In dem kleinen vergessenen Dorf zwischen den Felsen blieben die Eltern und ein halbes Dutzend jüngerer Brüder und Schwestern  weinend zurück. Sonne und Frost hatten auch ihnen Gesicht und Hoffnung im unrühmlichen Kampf gegen das Schicksal zerschunden. Der Kleine konnte immerhin seinen Namen kritzeln, und seine Augen konnten schon einige Buchstaben entziffern, deren Form und Größe sie riesig erscheinen ließen. Er war gewohnt, barfuß und zerlumpt die raue Umgebung bis weit hinter den Horizont abzulaufen, immer auf der Suche nach Buschwerk und Sprösslingen, um seine Ziegen satt zu kriegen, im Sommer im Freien und im Winter im Stall. Er hatte nicht viel Fleisch auf den Knochen, noch war er besonders groß, aber der Auftrag und die Überzeugung, dass er für  ein bestimmtes Unternehmen nützlich war, reichten aus als  Attest seiner Robustheit. 

– Hör mal, Zezito, du könntest „avec nous“ nach Frankreich kommen. Du könntest dich im „maison“ nützlich machen und uns damit einen großen Gefallen tun! So sagte Onkel António oder „Monsieur Antoine le Portugais“, wie er jetzt  heißt. Es war vor allem der entschlossene, wenn auch eher naive Ausdruck des Knaben gewesen, der dem ehemaligen Nachbarn, nunmehr „Monsieur Antoine le Portugais“, gefiel und ihm den entscheidenden Sprung in das Land der Franzosen gesichert hatte. Er wusch Autos ohne Ende, schleppte Lasten und Ersatzteile, lernte Kniffe in der Werkstatt, half hier aus und da aus, und ehe er es sich versah, war er ein Mann. Vom Alter her und von seinem Einsatz. So war die Stunde gekommen, seine Stimme zu lösen.

Schon als Kind war er mit den Ziegen die Weidepfade abgelaufen und die Berge in der Umgebung hatten sein Singvogel-Gezwitscher als Echo zurückgeworfen. Er machte keinen Schritt, noch übte er irgendeine Tätigkeit aus, ohne die Luft mit seinen Melodien zu füllen, einige aus dem Schatz bekannter Volkslieder, andere von ihm selbst erfunden. Bloß als er in Frankreich ankam hatte er sich von einem Moment zum anderen in einen schweigenden Vogel im Käfig verwandelt. Niemand hatte ihn jemals wieder singen hören. Bis zu dieser Stunde, wo er seine Stimme löste.

Auf einmal verwandelte die Phantasie seinen Körper in einen Ameisenhaufen. Es war Zeit sich der Welt erkennen zu geben. Er kratzte seine ersparten Francs zusammen, lieh sich noch ein paar dazu, stellte sich entschlossen in einem Tonstudio vor und im Nu gab es eine CD und eine Kassette, die die Charts im Radio und Fernsehen erklommen, zu Haus und im Ausland.

Schluss  –  da haben wir jetzt einen Schallplatten- und Fernsehstar mit Künstlernamen Zé Cabra, ein schlanker, dunkelhaariger junger Mann, der Gold- und Platinschallplatten erhält und die besten Sendezeiten okkupiert. Er tritt mit einer Ziege auf, die einzige unverdorbene und authentische Figur inmitten dieses Werbe- und Finanzschauspiels. Er tritt wie im Zirkus auf, mit Flitter verbrämt, beherrscht weder Text noch Melodie, aber entzückt Hinz und Kunz, besonders mit dem Anstoßen seiner Eidechsenzunge, die immer hinter seinen asymmetrischen Zähnen hervorschaut. Wir können davon ausgehen, dass dieser echte portugiesische Künstler der Zezito aus jenem verlassenen und unwirtlichen Flecken ist, denn die Geschichten sind sich verblüffend ähnlich. Wenn wir alles rauf- und runterrechnen, dann ist Zé Cabra nicht die Tragödie. Die Tragödie sind Herman José und seinesgleichen, die, in wessen Namen auch immer, die Einschaltquoten in die Höhe treiben.





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Portugal-Post Nr. 15 / 2001