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"Seltsame" Situation

Von José d’Encarnação

Am letzten Sonntag habe ich die Leiterin eines Notaufnahmezentrums in einem Radioprogramm interviewt. Diese Zentren wurden Ende 2000 vom Gesetzgeber beschlossen, um Jungen und Mädchen zwischen 0 und 18 Jahren, die von einem Gericht als stark gefährdet befunden wurden, 48 Stunden lang aufzunehmen. Ursprünglich war die Aufnahme von maximal 15, im schlimmsten Fall 20 „Kindern“ vorgesehen; im Augenblick gibt es jedoch 36, einige von ihnen seit Anfang Januar. Das heißt die vom Gesetzgeber vorgesehenen 48 Stunden haben sich in Monate „verwandelt“, weil... es keine „Abgänge“ gibt!

Ich hatte dann Gelegenheit, direkt am Telefon eine kleine Bolivianerin von 14 Jahren zu haben, die nach Portugal zum „Arbeiten“ gekommen war, während ihre Eltern sich weiterhin in Bolivien aufhielten. Im Hintergrund hörte ich ständig ein Mädchen von 15 Monaten, das ihren leiblichen Eltern entzogen worden war, weil sie sich außerstande sahen, es bei sich zu behalten. Den Nachrichtendiensten zufolge nehmen überall im Lande Eifersuchtsdramen zu (mit einem Schuss Grausamkeit), Betrügereien aller Arten...

Der Herr Premierminister jedoch, von den Journalisten und Parlamentsabgeordneten mit den „Realitäten dieses Landes“ konfrontiert, verwundert sich in aller Öffentlichkeit: „Wie kann es uns denn so schlecht gehen, wenn es das letzte Wochenende lange Autoschlangen auf den Straßen des Algarve gegeben hat?“ Es handelte sich, so muss man sagen, um das erste verlängerte Wochenende, an dem nach einem langen und total verregneten Winter (ähnlich, übrigens, wie im restlichen Europa) die Sonne endlich wieder erschienen war, und  jeder der konnte – und sei es nur um seines seelischen Gleichgewichts willen – sich aufraffte, um mal auszuspannen!...

Ein Herr Premierminister, der als er mit der Nachricht konfrontiert wird, dass sein Finanzminister den Rücktritt eingereicht hat, versichert, dass er keinen Brief dieses Inhalts erhalten habe, dass alles normal sei... Und der zwei Tage später eine Kabinettsumbildung vornimmt, zu einem Zeitpunkt, an dem alle Welt, müde von einem Jahr der Unsicherheiten,  den Urlaub  herbeisehnt oder zumindest das Urlaubsgeld... Ich persönlich habe inzwischen aufgegeben, den Namen des Kultusministers oder den des Erziehungsministers zu behalten, denn in letzter Zeit hat es so viele Züge auf dem Schachbrett gegeben, das ich es aufgegeben habe, die Strategie dieses Spiels zu verstehen.

Inzwischen treffen wir täglich auf der Straße immer häufiger auf sehr höfliche Menschen, die uns allmählich begrüßen, indem sie ein paar Brocken Portugiesisch stammeln. Es sind Ukrainer, Slowaken, Russen... normalerweise beruflich hochqualifizierte Leute (Chirurgen, Ärzte, Anwälte, Lehrer...), die hierher zum Arbeiten gekommen sind, die Männer auf dem Bau, die Frauen als Hausangestellte, sehr tüchtig... Sie verdienen in einem Monat mehr als sie in einem Jahr in ihrem Herkunftsland verdienen würden!

Folglich gelingt es mir im Moment nicht, einen „politischen“ Kommentar abzuliefern. Aber diese „Pinselstriche“, die mir so nebenbei aus der Feder geflossen sind, geben jedoch das wieder, was wir alle empfinden: Portugal –  Land mit zwei Dimensionen. Die der Regierenden und die der ... „Anderen“. Wie im Rom zur Zeit der Gracchen: ein enormer Graben zwischen den „ganz Reichen“ und den „ganz Armen“. Vorläufig gibt es jedoch noch eine „Mittelschicht“. Sie lässt sich Zeit.





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Portugal-Post Nr. 15 / 2001