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Land unter – eine ökologische HorrorvisionVon Rudolf Malkmus *
Seit November 1995 sind prähistorische Petroglyphen
(Felsgravuren) Schreckenssignaturen für portugiesische Talsperrenbauer. Damals
wurde der bereits weit fortgeschrittene Bau eines gigantischen Staudammes im Mündungsgebiet
des Rio Côa, einem linken Nebenfluss des Douro, durch die Regierung gestoppt.
Man hatte zwischen 1992 und 1995 auf einer Länge von 17 km entlang des Flusses
mehrere tausend z.T. über 20.000 Jahre alte
Felsgravuren von unschätzbarem archäologischem Wert entdeckt. Die
Dammreste verkommen heute zur Bauruine, und im neu errichteten Archäologischen
Park floriert der Tourismus. Nach diesem bemerkenswerten Ereignis dürfte so
mancher Naturschützer fieberhaft und hoffnungsfroh die Ufer des Guadiana
zwischen Moura und Elvas nach Petrogryphen abgesucht haben; aber das Glück war
ihnen nicht hold.1
Gemeinsam mit Ökologen und einer kleinen Schar weitblickender Zeitgenossen müssen
sie in Bälde resigniert dem Absaufen eines ganzen Ökosystems zusehen, während
Wasserbauer, Politiker und andere Nutznießer beim Stichwort „Alqueva“ schwärmend
in Superlativen schwelgen: mar de água, „Kalifornien der Iberischen
Halbinsel“, „Modellprojekt für Europa“. Hier kurz die Fakten. Der größte Teil des Umlandes des
Rio Guadiana nördlich Mértola wird landwirtschaftlich genutzt. Da Niederschläge
im östlichen Alentejo zwischen Mai und Oktober in der Regel gar
nicht und in den übrigen Monaten sehr unregelmäßig fallen, der
Wasserhaushalt dieser Region infolge fehlender Wälder ohnehin elementar gestört
ist, die Höhe der Ernteerträge aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfügbarkeit
von Wasser stehen, ist eine Landwirtschaft, die den EU-Normen gerecht werden
will, nur mit Hilfe einer das Wasserdefizit kompensierenden künstlichen Bewässerung
zu erreichen. Voraussetzung hierfür ist die Existenz derzeit noch nicht
vorhandener Speicherkapazitäten, die in großem Umfang nur durch den Bau von
Talsperren ermöglicht werden. Die Errichtung eines Monstrums dieser Art unweit
des Dörfchens Alqueva (zwischen Moura und Vidigueira) wurde 1996 genehmigt und
steht kurz vor der Fertigstellung: 690.000 m³ Beton stellen sich in Form einer
96 m hohen Staumauer dem Guadiana in den Weg. Im 250 km² großen Rückstau
(Bodensee: 538 km²) wird die gesamte Tallandschaft einschließlich die der
Nebenflüsse bis hinauf nach Juromenha unweit Elvas ertrinken. Das Gesamtprojekt
soll nicht nur der Bewässerung, sondern auch der Stromgewinnung und
Hochwasserbekämpfung dienen. Letzteres ist allerdings bedeutungslos, da sich
der Mensch auf cheia-Ereignissse mit natürlichen
Wasserspiegelschwankungen von bis zu 30 m eingestellt hat und im Talraum seit
jeher jede Form intensiver Nutzung unterließ. Ein solch überdimensionierter Eingriff in die Landschaft
zieht tiefgreifende ökologische Folgen nach sich: – mit dem Bau der Alqueva-Talsperre wird eines der allerletzten unverbauten
Strombette Europas vernichtet. Das Abflussregime des noch verbliebenen
Wildstrombettes unterhalb der Staumauer ist natürlich elementar gestört. – Alle Flusstäler mit ihren zum Teil stark gegliederten Hängen, die mit
floristisch und faunistisch artenreichen Macchien, Garrigues und Montados
bedeckt sind, stellen ökologische Kleinode dar. Sie sind innerhalb der
weitgehenden Agrarflächen des alentejanischen flachwelligen Hügellandes (planície
ondulada) die einzigen großräumigen Rückzugsgebiete der hier ursprünglich
ansässigen Lebewelt. Dieses Biotopgefüge wird durch den Stausee weitgehend
vernichtet. – Wohl entsteht durch den Stausee ein neuer Lebensraum, in dem sich aber,
wie alle bisherigen Erfahrungen zeigen, nur eine artenarme Lebensgemeinschaft
entwickelt, in der wenig anspruchsvolle, nicht spezialisierte Arten (Ubiquisten)
dominieren. – Mit der durch den Alquevadamm angestauten Wassermenge ist zwar der
Wasserbedarf zunächst gedeckt; allerdings verringert sich im Laufe der Zeit das
nutzbare Volumen kontinuierlich: dafür sorgen nicht nur die zur Regenzeit
eingeschwemmten beträchtlichen Schlamm-, Sand- und Kiesmassen, sondern
besonders die Tatsache, dass an der Oberfläche eines Stausees erheblich mehr
Wasser verdunstet als aus dem fließenden Gewässer einschließlich der
Landschaft, die der See unter sich begraben hat. Besonders hoch ist der
Verdunstungsverlust auf den bewässerten Flächen und über den Blattmassen der
Nutzpflanzen, denen meist die verdunstungshemmenden Mechanismen der
wildwachsenden Pflanzen fehlen. – Der vermehrte Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden auf den bewässerten
Flächen führt zu einer enormen Belastung des Grund- und Stauwassers. Das mit
Salzen angereicherte Irrigationswasser bewirkt im Laufe der Zeit eine
schleichende Versalzung der Böden. – Anlagen von derartig gigantischem Ausmaß erfordern auch eine Neuordnung
der Infrastruktur des betroffenen Raumes. Großzügiger Straßenbau führt zum
Verlust und zur Fragmentierung zahlreicher Lebensräume. Die Zehntausende von
Hektar umfassenden bewässerten Flächen werden einer flurbereinigungsartigen
Erschließung unterzogen, wobei alle Strukturen der bisherigen traditionell
betriebenen Bewirtschaftung beseitigt werden, wie Steinriegel, Parzellenmauern,
Ziehbrunnen, Quellaustritte, Macchia-Fragmente u.ä. Diese Kleinstrukturen waren
wichtige Zentren vernetzter Biotopsysteme. Sie sind Hindernisse für einen voll
mechanisierten Landwirtschaftsbetrieb, der den Böden maximale Leistungen
abringen soll, um die Wachstumsrate der europäischen Überproduktion zu fördern.
Wie man sich ausgeräumte, zur reinen Produktionsfläche degradierte Landschaft
vorzustellen hat, kann man in der Umgebung von Beja studieren. Das gesamte Projekt, so es schon verwirklicht werden
musste, hätte man in bescheideneren Dimensionen oder auf mehrere Bauten
verteilt dezentralisieren und mit einer gewissen Rücksicht auf ökologische
Voraussetzungen gestalten können. Aber Portugal scheint immer noch unter dem
Komplex zu leiden, bis vor kurzem ökonomisches Schlusslicht Europas gewesen zu
sein. Seit die Geldquellen der EU sprudeln, neigt das Land dazu, ohne Rücksicht
auf ökologische Belange mit Mammutprojekten zeigen zu wollen, dass es sich
technisch auf der Höhe der Zeit befindet. Der Musterknabe der EU hat inzwischen
alle Fehler der klassischen Industriestaaten wiederholt und große Teile seiner
Landesnatur so weit ruiniert, dass die EU-Gelder immer mehr zur Beseitigung
EU-mitfinanzierter Umweltschäden benötigt werden. Wenn auch die Betreiber der
Energiewirtschaft und Latifundienbesitzer dies verständlicherweise anders
sehen: Alqueva ist der bisher folgenschwerste Schlag gegen ein Fließgewässersystem
solcher Ursprünglichkeit und gegen die biologische und kleinstrukturierte
Vielfalt einer alten Kulturlandschaft in Portugal. * PHG-Mitglied Rudolf Malkmus ist den Lesern und Leserinnen der Portugal-Post
durch seinen mehrteiligen Wanderbericht „A doença da serra“ bekannt. Rudolf
Malkmus ist Biologe (Spezialgebiet: Herpetologie) und lebt in Süddeutschland. Er ist durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetreten, u.a. das als Band 621 der Neuen Brehm-Bücherei erschienene „Die Amphibien und Reptilien Portugals, Madeiras und der Azoren“ Anm. der Red. |
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