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Mísia in Hamburg

In den World-Music-Charts vom Mai 98 finden sich gleich zwei portugiesische Sängerinnen: Teresa Salgueiro mit "Madredeus" an 3. Stelle und Mísia an 5. Stelle. Wann hat es so etwas zuletzt gegeben? Zu dem kommerziellen Erfolg haben sicher die eindrucksvollen Konzerte der beiden Sängerinnen in Hamburg und anderen deutschen Städten beigetragen. Zum Mísia-Konzert im Curio-Haus am 28. April haben uns gleich zwei PHG-Mitglieder ihre Eindrücke übermittelt, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.


Mísia - um milagre

Von Horst Köpke

Die Griechen hatten's gut, sie hatten Götter, die sich nicht zu fein waren, zu uns Menschen herabzusteigen, wovon Paris ein Lied singen konnte, wie man weiß. Aber Menschheit, tröste Dich: es gibt sie noch, diese Göttinnen, zumindest eine, und wir hatten das Glück, ihrer teilhaftig zu werden!

Der Ort, an dem dies geschah, schien zunächst höchst ungeeignet für eine solche Erscheinung. Der Saal strahlte den Charme eines Wartesaals 3. Klasse aus und war außerdem nicht nur bis zum letzten Sitzplatz gefüllt, sondern ebenso viele Menschen drängten sich hinter den Stühlen und auf der umlaufenden Empore.

Zudem steigerte sich der Lärmpegel mit dem Verstreichen des für 20.00 Uhr angesetzten Beginns der Veranstaltung dergestalt, dass man um den ordnungsgemäßen Ablauf bangen konnte. Ganz Ungeduldige meinten gegen 20.20 Uhr durch aufforderndes Klatschen etwas bewirken zu können. Aber das konnten keine Portugiesen gewesen sein, für die Pünktlichkeit nicht die Höflichkeit der Könige ist, sondern bestenfalls von Lehrern und Priestern erwartet wird.

Doch endlich ging das Licht im Saal aus und auf der Bühne erschienen drei Herren in Schwarz, die man mit erleichtertem Klatschen begrüßte. Die portugiesische Gitarre und die beiden Violas stimmten das ungeduldige Publikum dann sogleich versöhnlich und verbreiteten eine sich entspannende Atmosphäre. Aber alle spürten, dass das ja nur eine Einstimmung war auf etwas, das da noch kommen sollte.

Und in der Tat öffnete sich plötzlich der hintere Vorhang und herein schwebte eine kleine schlanke Gestalt, bis zu den Knöcheln in ein eng anliegendes weißes Gewand gekleidet, den Kopf bedeckt von einem schwarzen Spitzenschleier, trat ans Mikrophon, legte den Kopf zurück, schloss die Augen und schwieg. Keine Hand rührte sich. Alles erstarrte.

Die Instrumente girrten weiter, glitten ins Moll hinein, und plötzlich erhob sich ein Gesang, der sogleich den bis zum Rand mit Menschen gefüllten banalen Raum in eine dem Hier und Jetzt entrückte Sphäre entführte. Man mochte weder seinen Augen noch Ohren trauen. Das blasse, ovale, vom schwarzen Schleier umrahmte Gesicht, die geschlossenen Augen, die vor der Brust gekreuzten Arme, die ganz versammelte weiße Gestalt, diese Stimme, etwas rauchig in der Tiefe, sinnlich-weich wie ein Streicheln, dann plötzlich scharf und schneidend, fast ein Schrei wie um Vergebung, dann auch in der Höhe ein Verschleifen, ein Ersterben im Pianissimo - wo hat man das je gehört, und gesehen?

Der Schlussakkord verklingt, betroffene Stille, und dann bricht da etwas los, das mehr ist als Applaus: es ist die Lösung aus einem Zauber, einer Verzauberung, der sich niemand entziehen konnte. Das "obrigada", das "danke", begleitet von einem fast schüchternen Lächeln - ihr hätte man es sagen sollen, die dieses Wunder bewirkt hat.

Was bleibt da noch zu sagen...? Sie entledigte sich des weißen Gewandes, darunter trug sie das traditionelle schwarze Kleid, schlug den schwarzen Schleier zurück, es erschien ein Bubikopf, an Mireille Mathieu erinnernd, schwarze Fransen über der Stirn, aber es blieb bei ihrem entrücktem Gesicht, das, kaum dass die Musik wieder einsetzte, jenen madonnenhaften Ausdruck annahm, so als sei sich nicht von dieser Welt.

Diese hochgespannte Stimmung hielt während des ganzen Konzerts trotz eines instrumentalen Zwischenspiels an, und erst am Schluss, bei der letzten Zugabe, zeigte diese begnadete Künstlerin, dass sie auch der heiteren Muse dienen kann. Von dieser Seite hätte man sie sicher gerne noch ausgiebiger gehört; vielleicht weiß sie gar nicht, dass ihr Charme ebenso verzaubert wie ihre fast religiöse Versenkung in das Mysterium des Fado. Bei ihr wird er ein Bekenntnis zur unauflöslichen Tragik der menschlichen Existenz, der dieser portugiesischen Volkskunst universellen Ausdruck verschafft.

Ihr ist hiermit nach Amália eine neue Priesterin erstanden. Obrigado, Mísia.


Não Quero Cantar Amores - Unkonventioneller Fado im Curiohaus

Von Elke Bubrowski

Mísia, die als die "neue Stimme Portugals" vermarktete Fado-Sängerin, begeisterte trotz erbärmlicher Aufführungsbedingungen am 28. April ein sehr heterogenes Hamburger Publikum. Am Ende kam es zu Beifallsstürmen und drei Zugaben, obwohl zu diesem Zeitpunkt weniger Sauerstoff in der Luft war als im schäbigsten Lissabonner Nachtlokal, der Heimat des Fado.

Fado in Hamburg - das war bislang Insider-Kultur einer kleinen lusophilen Szene und beschränkte sich wesentlich auf gelegentliche events in einigen portugiesischen Restaurants, oft unter massiver Beteiligung der PHG. Mit Mísia ist der Fado nun nicht nur stadtbekannt, sondern auch bühnenreif, konzertant und inhaltlich ambitioniert geworden. Mísias erstes Auftreten in Hamburg überraschte auch Fado-erfahrene Portugiesen: die Virtuosität der Musiker, ganz besonders Custódio Castelas auf der portugiesischen Gitarre, die Stimme Mísias, die Selbstbewusstsein und Kraft ausstrahlt, sowie die unkonventionellen Musikarrangements und last not least die Texte.

Hatte Mísias Auftreten äußerlich anfangs noch deutlich Züge der weltweit erfolgreichen portugiesischen Kultgruppe Madredeus, nämlich sakrale Schlichtheit in schwarz und lang durchgehaltene einfache Posen, so gewann sie beim Singen schnell an Individualität. Dazu trug weniger das - zugegeben eindrucksvoll glitzernde - Rubinarmband und das auf Maske stilisiert geschminkte Gesicht bei. Vielmehr überzeugte vor allem ein Konzert-Fado, der sich vorsichtig aber deutlich von den klassischen Vorgaben entfernt, ohne den wesentlichen sound zu verlieren. Neben der erweiterten Gitarrenbesetzung (portugiesische Gitarre, viola, d.h. spanische Gitarre, und Bassgitarre) kamen Akkordeon und Geige zum Einsatz, womit der bekannte Sing-Sang musikalisch relativiert und überschritten wird.

Dem korrespondiert der Vortrag ambitionierter Texte, die meist von bekannten portugiesischen Gegenwartsautoren stammen, so auch der im Titel zitierte Satz von Agustina Bessa Luís: "Não quero cantar amores" - es geht also nicht um den schönen Vortrag von Klischees oder schon Bekanntem (jedenfalls weitgehend). Hilfreich und sympathisch waren Mísias Übersetzungen und Kommentare zu "ihren" Texten, respektvoll und fast andächtig vorgetragen - und unbedingt nötig für sprachlich nicht so versierte Zuhörer. Nicht nur mit ihrer Musik und mit dieser Haltung setzt sich Mísia (und ihre Gruppe) angenehm ab von der inhaltlichen Leere der tonangebenden internationalen musikalischen Pop-Produktion.





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Portugal-Post Nr. 2 / 1998


Mísia







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