.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Frühes Weltbürgertum: das römische Lissabon

Von José d'Encarnação *

Es wird darüber diskutiert, ob die Wohnsiedlung von Lissabon schon zu Cäsars Zeiten römisches Gemeinderecht erhielt oder unter Kaiser Augustus. Sie soll den vorrömischen Namen Olisipo getragen haben, dem der Beiname Felicitas Iulia hinzugefügt wurde, so wie Ebora (Évora) sich Liberalitas Iulia nannte und eine andere Stadt, Beja, dessen früheren Namen wir nicht kennen, sich die Bezeichnung Pax Iulia zulegte. "Glück", "Freiheit", "Friede" - drei stark politisch geprägte Begriffe, jedoch angemessen für denjenigen, der sich als "Retter" einer gefährdeten Region darstellen wollte.

Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass Olisipo eine wichtige kosmopolitische Gemeinde war, und ihre Bewohner, eingetragene Bürger des Galeria-Stammes (der Lieblingsstamm sowohl Cäsars als auch von Augustus), widmeten sich, wie es nicht anders sein konnte, dem Handel und Gewerbe. Wein und Olivenöl müssen zweifellos die hauptsächlichen Exportgüter gewesen sein. Der Wein wurde wohl hauptsächlich in der Gegend von Arruda dos Vinhos erzeugt (dessen Name direkt von "Route der Weine" abgeleitet werden kann), von Torres Vedras und in der des Ribatejo. Das Olivenöl von Santarém bis Cascais, wie die unzähligen römischen Ölmühlen beweisen, die in diesem Landstrich identifiziert worden sind.

Wir sind noch weit davon entfernt, all die Monumente zu kennen, die Olisipo besessen haben muss. Zuerst weil das Erdbeben von 1755 viele dieser Zeugnisse für immer zerstört hat; dann weil die Stadt immer wieder besetzt wurde und die einen Gebäude mit den Steinen der anderen erbaut wurden... Aber wir kennen das Theater, heute noch teilweise unter dem Häusermeer begraben, das sich am Hang unterhalb des Castelo S. Jorge ausdehnt, in einer ausgezeichneten Lage über der Tejomündung. Und die Ausgrabungen neueren Datums, die anlässlich der Expo'98 zum Ausbau des U-Bahnnetzes unternommen wurden, legten am Rossio die spina frei, d.h. die mittlere Mauer der Rennbahn - eines Hippodroms.

Ich sprach von Weltbürgertum. Davon zeugen die Inschriften, die gefunden wurden. Der Handel war in Händen mächtiger Reeder, Freigelassener, welche die klassischen Götter verehrten oder solche orientalischer Herkunft: Cibele, die große Göttermutter, Isis, Apollo, Äskulap, den Gott der Medizin. Aber im Umland hielten sich vorrömische, bodenständige Kulte von Göttern mit solch seltsamen Namen wie Triborunis oder Aracus Arantoniceus...

Und dieser Symbiose von Kulten entsprach auch der Leichtigkeit, mit der die Siedler sich an die dort schon vorher sesshaften Völker kulturell anpassten, denn die lateinische Namensgebung vereint sich häufig im selben Schriftstück mit den typisch lusitanischen Namen, womit die Römer Zeugnis einer weisen Religionsfreiheit ablegten, die schließlich auf wunderbare Weise ihren höheren politischen und ökonomischen Interessen dienten.


* Ordentlicher Professor an der Universität Coimbra, wohnhaft in Cascais, Archäologe mit dem Spezialgebiet römische Inschriften




| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 23 / 2003


José d'Encarnação




Ausgrabungsstätte am Römischen Theater in Lissabon