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Lissabon - die weiße Stadt?
Eine kleine Einführung in die Farben Lissabons

Von Peter Koj

Eines der größten Missverständnisse über Portugals Metropole ist, dass sie eine "weiße Stadt" sei. Diesen Beinamen verdankt sie zum großen Teil dem gleichnamigen Film, der 1987 von dem Schweizer Regisseur Alain Tanner gedreht wurde, übrigens mit dem Schauspieler Bruno Ganz, ebenfalls Schweizer, in der Hauptrolle. Seitdem gibt es keinen Prospekt, vor allem auf dem touristischen Sektor, der sich nicht dieses ebenso praktischen und einprägsamen wie irreführenden Beinamens bedient. Und es nützt nichts, wenn Intellektuelle und Schriftsteller gegen diese terrible simplification wettern, so wie es der vielleicht beste Kenner der Stadt am Tejo, der Lissabonner Schriftsteller José Cardoso Pires getan hat, der in seinem "Lissabonner Logbuch" dem Filmemacher vorwirft blind zu sein, wenn er Lissabon "weiße Stadt" nennt ("Weiße Stadt, welche Blindheit des Filmmenschen Tanner!"1) Was den deutschen Verleger nicht daran hindert, diesen Gemeinplatz im Klappentext seiner Ausgabe der deutschen Übersetzung zu verwenden.

Lissabon ist nicht und war noch nie eine "weiße Stadt". Im Mittelalter und in den darauffolgenden Jahrhunderten zeigte es sich in einem sehr farbenfrohen Gewand, ähnlich wie die gotischen Kirchen und Kathedralen, die aufgrund einer irrigen Auffassung der Historiker und Restauratoren des 19. Jahrhunderts sich heutzutage von innen völlig weiß präsentieren. Aber bedingt durch die Unbilden des atlantischen Klimas und die rapide Verarmung des Landes in den letzten Jahrhunderten haben viele Lissabonner Gebäude ihr ursprüngliches Farbkleid verloren und mehr und mehr ein verwaschenes Grau angenommen, das von weitem im gleißenden Sonnenlicht wie weiß wirkt.

In letzter Zeit sind jedoch große Anstrengungen unternommen worden, die alten Farben wieder herzustellen. Alles begann im Jahre 1996 als im Rahmen von "Lissabon Europäische Kulturhauptstadt" das Projekt "Sieben Hügel" präsentiert wurde. Dieses schloss den Anstrich mit sehr lebhaften Farben von einer Reihe von Gebäuden zwischen dem Príncipe Real und dem Rato ein. Diese grellen Farben waren historisch zwar nicht korrekt, bewirkten jedoch, dass die Lissabonner aufgeweckt wurden und ihre Stadt mit ganz neuen Augen sahen, nämlich durch ein vielfarbiges Spektrum. Inzwischen ist es den Experten gelungen, anhand von Farbresten die chemische Zusammensetzung der Originalfarben verschiedener historischer Gebäude zu rekonstruieren, die sich nun wieder im alten Glanz präsentieren. Als Beispiel seien die den Terreiro do Paço (Praça do Comércio) umschließenden Gebäude und der Pena-Palast in Sintra genannt.

Aber welches sind die Farben Lissabons? Geben wir José Cardoso Pires noch einmal das Wort. Auf der bereits zitierten Seite sagt er folgendes: "Farbe. Von Lissabon kann man behaupten, dass sogar die Farbenblinden über seine Farbe streiten. Ein Byronianer2 auf Durchreise empfiehlt, zum Beispiel, vor allem das pombalinische Ocker. Das Grün, das Grün, hält dem gleich jemand entgegen, der den Terreiro do Paço vor Augen hat, "sogar das Pferd von Dom José wird, vom Meer angefressen, allmählich grün", sagte bereits Cecília Meireles. Oder das Weiß erinnert an den Schaum des Ozeans, an gekalkte Wände, das Mittelmeer, man spürt eine weiße Nostalgie..." schrieb Mary McCarthy."3

Das mit dem Grün auf dem Terreiro do Paço stimmt nun nicht mehr. Seit ein paar Jahren leuchtet er in gelben Farben. Aber auch diese Farbe ist nicht "korrekt", wenn wir Werner Herzog Glauben schenken. Laut Aussage dieses Lissabon-Fans herrschen drei Farbtöne vor: "Zartrosa mit einem Schuss Weinrot gemischt, Ockergelb mit einigen Tropfen Zitrone und, seltener, ein dezentes Lindengrün. Stadtkenner wollen wissen, dass diese drei Farben früher die vorherrschenden Klassen symbolisierten. Das Königshaus bemalte seine Besitzungen rosa, die Bischöfe die Kirchen und Klöster gelb, der Staat die Verwaltungsgebäude grün. So genau kann man das nicht wissen. Sicher ist nur, dass der Stadtarchitekt Pezarat 1865 begeistert von einer Reise nach Paris zurückkehrte und anordnete, dass Lissabon wie die eben von seinem französischen Kollegen Haussmann renovierte Seine-Stadt ein einheitliches Bild zeigen müsse und alle Gebäude rosa anzustreichen seien. Ein derartiges Diktat war den Lisboetas aber zu viel. Sie benützten weiter die drei Farben. Da sich bald darauf die Machtverhältnisse änderten und die Monarchie gestürzt wurde, kam es bald zu einer freudigen Farbenverwirrung. Ein Beispiel: Der Staat lässt seine mächtigen Verwaltungsgebäude und Ministerien am Terreiro do Paço häufig neu bemalen. Einmal grün, dann gelb, dann rosa. Momentan leuchten sie gelb. Die drei Farben sind nach langen tristen Jahren der abgewaschenen und verblichenen Hauswände wieder voll in Mode."4

Nun, lieber Leser, wenn Sie nächstes Mal durch Lissabon schlendern, achten Sie mal auf die neue Farbenpracht der "Königin des Tejo"


1 José Cardoso Pires, Lisboa. Livro de Bordo. Dom Quixote ed., p.41
2 Anhänger des englischen Dichters Lord Byron, der eine besondere Zuneigung für die Lissabon und seine Umgebung empfand, insbesondere Sintra , sein "heavenly Eden".
3 José Cardoso Pires, Lissabonner Logbuch. Übers. Von Maralde Meyer-Minnemann. München, Wien 1997, S.27
4 Werner Herzog, Literarische Streifzüge durch die Stadt. Books on Demand, 2002, S. 15




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Portugal-Post Nr. 24 / 2003