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Lissabon, die Pfähle und seine Wasser

Von João Vares *
Übersetzung: Luise Albers und Felix Jarck

Lissabon ist eine fließende Stadt, selbst wenn der Verkehr an seiner Oberfläche, die Bürokratie in seiner Verwaltung, das Leben in seinen Cafés oder eine bestimmte Melancholie in den Seelen der Lissabonner uns einen etwas anderen Eindruck vermitteln. Eine Stadt mit Hügeln, und gleichermaßen eine Stadt mit Wasserläufen.

Bei seiner Besiedlung während der phönizischen Epoche, und zu Beginn des römischen Zeitalters beschränkte sich die Stadt Lissabon auf die Niederlassung am Hügel der Festung São Jorge mit Anlegehafen auf dem heutigen Campo das Cebolas (Casa dos Bicos). Der Carmo-Hügel befand sich außerhalb der Stadtgrenzen, und zwischen diesem und dem von São Jorge flossen die Ausläufer der Bäche der heutigen Täler der Avenida da Liberdade-Rua das Portas de Santo Antão und der Avenida Almirante Reis. In römischer Zeit gibt es bereits Hinweise auf eine Besiedlung des Gebiets der Baixa (Ruinen in der Rua da Conceição). Diese war jedoch schwer zu besiedeln, weil sie Überschwemmungen ausgesetzt war und auch, weil der Boden wenig fest war. Da in der Tat das Gelände der Baixa Mündung von Wasserläufen war, wenn auch geringen Ausmaßes, kam es im Laufe der Jahrtausende zu einer Versandung von Materialien, wobei sich eine Erdschicht von einigen Metern über dem Felsboden bildete.

Bei der Eroberung Lissabons von den Mauren zeigte sich bereits eine Besiedlung dieses geographischen Gebietes (auch außerhalb der maurischen Stadtmauer), das nach und nach in das Straßennetz innerhalb des Geländes der neuen Stadtmauern einbezogen wurde. Die Stadt entwickelt sich schrittweise, wobei die verschiedenen Stadtgebiete je nach ihrer historischen Bedeutung unterschiedlich betroffen sind. Auf dem Gelände der Baixa siedelt sich mehr und mehr eine sesshafte Bevölkerung an, wobei sich sogar der Hof an der Ribeira niederlässt (Paço da Ribeira, der Uferpalast), auf dem ehemaligen Terreiro do Paço (Platz des Palastes), der heutigen Praça do Comércio.

Das Bauen in einem Anschwemmungsgebiet erfordert den Gebrauch besonderer Technologien, die zu jener Zeit gleichfalls beim Bau der Stadt Venedig angewendet wurden. Um das sichere Erdreich (die Felsenzone) erreichen zu können, benutzte man Pfähle aus frischem Pinienholz, die, wenn sie beständig in feuchter Umgebung stehen, ihre statischen Qualitäten über Jahrhunderte hinweg behalten. Nicht immer wurden solche Techniken im antiken Lissabonner Städtebau eingesetzt; man weiß von diversen Gebäuden, die auf den Ruinen anderer erbaut wurden oder schrittweise Erweiterungen kleinerer Bauten sind. Dieses Gebiet der Baixa, bis zur Zeit des Erdbebens niedriger als heute gelegen, war fortwährend Überschwemmungen ausgesetzt, bald vom Tejo bald von dem Santo Antão-Bach (Avenida Liberdade) oder dem Arroios-Bach (Almirante Reis).

Dadurch war dieses Gelände aus "gallertigem" Erdboden das große Opfer des Erdbebens, das die Stadt Lissabon im Jahre 1755 zerstörte. Im Plan des Wiederaufbaus wurden die Ruinen der alten Gebäude und Lissabonner Paläste als Anschwemmungsmaterial bezeichnet. Bei der kürzlichen Rekonstruktion der Casa dos Bicos fand man unter dem Pflaster vor dem Gebäude die alten Steine, die die beiden oberen Stockwerke der Fassade gebildet hatten! So konnte man das Erdniveau heben, mit dem Ziel, die Überschwemmungssituationen in der Stadt zu verringern.

Die Wasser, die sich unter den Wellen des "Mar Largo" auf dem Rossio ansammeln, müssen weiterhin frei unter dem neu zu bauenden Lissabon fließen können. Deshalb wurden mit dem neuen Bauplan, der keine Kellerlagen beinhaltet, alle Gebäude dieses Gebiets auf einem Wald von Pinienpfählen errichtet. Diese Pfahlstruktur funktioniert nur, wenn die Umwelt, in die sie eingefügt wurden, gleich bleibt. Dafür müssen sie stets eingetaucht bleiben, denn wenn dies nicht passiert, beginnt das Holz seinen gewöhnlichen Fäulnisprozess und verliert die Widerstandskraft gegen den Druck.

Diese Struktur, abgesehen davon, dass sie die äußeren Wände trägt, deren inneres Niveau sich unter dem Straßenniveau befindet, auf einem immer feuchten Gelände, stützt (in einigen Fällen stützte!) die Holzstruktur ("Käfigsystem") im Inneren der Gebäude und ihre Statik arbeitet unabhängig von der Steinfassade. Das Prinzip sollte das ermöglichen, im Falle einer neuen Erderschütterung, falls das Gebäude betroffen würde, dass nur die Fassade leiden würde, wobei die innere Struktur erhalten bliebe.

In diesem Punkt haben sich im 20.Jahrhundert mehrere Eingriffe ergeben, die die ganze Struktur der Baixa Pombalina in Gefahr bringen können. Mit der Renovierung diverser Gebäude und ihrer Anpassung an neue Funktionen wurde oftmals der ganze Kern der Gebäude neu rekonstruiert. Indem man die neuen Möglichkeiten der Technik nutzte, entschied man sich in einigen der Fälle dafür, dort ein unterirdisches Stockwerk zu bauen, hermetisch isoliert, um das Eindringen von Wasser zu verhindern. Dies führt dazu, dass in den Nachbargebäuden Umweltveränderungen an ihren Fundamenten festgestellt werden, die eine Senkung des Spiegels des Wassers, das die Holzpfähle umgibt, hervorrufen kann. Die Folgen, die sich daraus ergeben, sind nicht schwierig zu erraten!

Im Gebäude des BCP in der Rua dos Correeiros, kann man einmal in der Woche (Donnerstags) einen Raum besichtigen, wo man innerhalb eines überschwemmten Teils, einige der Pfähle sehen kann, die das Gebäude tragen. Wie kompliziert es ist, in diesem Stadtgebiet zu bauen, zeigt uns das Beispiel des Unfalls, der vor über drei Jahren beim Bau der U-Bahn-Linie unter (oder besser gesagt, vor,) der Praça do Comércio gegenüber vom Cais das Colunas geschah.

Dieser schöne Platz Lissabons, der sich in einer so fantastischen Weise zu den Wassern des Tejo hin öffnet, hat stark unter der Behandlung seiner Oberfläche gelitten. Als er noch Terreiro do Paço war und man ihn für öffentliche Veranstaltungen (wovon einige in trauriger Erinnerung sind!), Handel oder Freizeitvergnügungen nutzte, erhielt er mit dem Wiederaufbau der Stadt und dem Umzug der Ministerien des Königreiches in die ihn umgrenzenden Gebäude einen repräsentativen Charakter. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Vergnügungsplatz genutzt, verwandelt er sich nach und nach in einen tristen Parkplatz. Hat es jemals einen Parkplatz mit so schöner Aussicht gegeben?

Während der achtziger Jahre beginnt ein Geist der Bewunderung für die Stadt wiederzuerwachen, und man macht die ersten Schritte zur Verbesserung der Lebensqualität in ihr und der Wiederentdeckung ihrer Gebäude. Die Rückgabe dieses einzigartigen Platzes an den Lissabonner beginnt, die ersten Schritte zu tun mit dem Architekturwettbewerb, der die Verlegung des Parkplatzes in zwei unterirdische Stockwerke vorsieht, ebenso wie einen Straßenunterführung. Diese Unterkellerung soll gleichermaßen auf Pfählen gebaut werden, weil sich der Felsboden hier viel tiefer befindet. Das Wasser könnte ohne große Unterbrechung fließen und der Abstand, den man zu den Nachbarhäusern hält, brächte deren Pfähle nicht in Gefahr.

Inzwischen entwickelte sich dieser Plan und schloss auch die U-Bahn-Linie ein, und der Anfangsprozess musste ebenfalls geändert werden, um das Umweltrisiko der Veränderung des Wasserspiegels auszuschließen. Dieser wird zum tieferen Teil des Flussbettes des Tejo geführt, bereits auf Felsboden, um den freien unterirdischen Wasserfluss zu garantieren. Alles verlief gut bis zum 9.6.2000. Aus einem Grund, für den es verschiedene Erklärungen geben wird, begann plötzlich Wasser und Schlamm in den im Bau befindlichen Tunnel einzudringen, nahe der Torre da Bolsa, im Ostflügel des Platzes, was eine Senkung der Böden hervorrief, die an ihrem kritischen Punkt 60 cm pro Stunde erreichte! Die Bauarbeiten werden sofort unterbrochen, und der bereits gebaute Tunnel wird geflutet, um seinen Einsturz zu verhindern. Man fürchtet um die Sicherheit des Tunnels und des Festungsturms des Ostflügels, wegen des Einflusses, die dieser Erdrutsch auf ihre Pfahlstruktur haben würde. Es gibt verschiedene Beschuldigen und Meinungen über die Risiken, in denen sich dieser oder jener Punkt des Platzes befand, oder auch nicht.

Die Praça do Comércio, inzwischen nicht mehr Parkplatz für die benachbarten Ministerien, wurde dem Fußgänger zurückgegeben, der sie inzwischen auf die verschiedenste Weise zu nutzen sucht. Eine Nutzungsmöglichkeit der ebenerdigen Geschosse der den Platz umgebenden Gebäude (einige werden als Garagen der Ministerien genutzt!), ist eine der neuen Etappen, um dahin zurückzukommen, diesen wunderschöne Platz zu erleben. Der Cais das Colunas, als "Lagerplatz" während der Bauarbeiten, wird erst in einigen Jahren an seinen Platz zurückkehren (oder etwas versetzt in Richtung des Flusses). Wie wird der Ensombrado1 sich entschließen, vorher zurückzukehren?

Zur Vergrößerung der Karte klicken Sie bitte auf die Abbildung


* PHG-Mitglied João Vares ist Architekt mit einem Büro in Hamburg

1 Gemeint ist D. Sebastião, "o Príncipe das Sombras", auch "o Encoberto" oder "o Desejado" genannt: es ist der junge König, der aus der Schlacht von Alcácer Quibir (Marokko) nicht gefallen ist, aber auf dessen Rückkehr die Portugiesen seitdem warten, damit er sie aus ihrem Elend befreit.




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Portugal-Post Nr. 24 / 2003


Praça do Comércio, Lissabon