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Portugal: Europa liegt am Meer

Von Barbara Mesquita *

Mag sein, dass Portugal zu Europa gehört. Dass es inzwischen auch zu Europa gehört. Aber in erster Linie ist es dem Atlantik verhaftet, jenem Meer, das jahrhundertelang seine Geschichte, seine Mythen, das Leben seiner Menschen, sein Licht, seine Farben und seine Musik geprägt hat.

Hier, vom südwestlichsten Zipfel der alten Welt, stachen Ende des 15. Jahrhunderts die großen Entdecker in See und gründeten ein Weltreich, das von Angola bis Brasilien, vom indischen Goa bis zum chinesischen Macau reichte. Der Handel mit Gold und Sklaven, Gewürzen und Porzellan machte Lissabon im 16. Jahrhundert zu einer der reichsten Städte der Welt. Menschen aus aller Herren Länder waren hier zu Hause.

Ein wenig ist das heute wieder so. In den Straßencafés am Rossio, dem frischrenovierten Platz im Zentrum der Lissabonner Unterstadt, sitzen neben Portugiesen und Touristen elegant gekleidete angolanische Geschäftsleute, palavern Moslems aus Guinea-Bissau in ihren westafrikanischen Trachten, verkaufen Chinesen und Inder billiges Plastikspielzeug. Den Kaffee serviert ein Kellner aus Brasilien, die Putzfrau kommt von den Kapverdischen Inseln. Und seit ein paar Jahren strömen auch Menschen aus Osteuropa, vor allem aus Moldawien, Rumänien und der Ukraine, in großer Zahl nach Portugal, das bis vor kurzem noch Auswanderungsland war. Die Portugiesen sehen sich zwar selbst gern als Volk der "sanften Sitten", das weder Rassismus noch Fremdenfeindlichkeit kennt. Doch das ist eine Sichtweise, die besonders afrikanische Immigranten nicht immer teilen. Trotzdem, das Mit- und Nebeneinander der Kulturen und der Hautfarben hat hier Tradition, die portugiesische Sprache verbindet, und man kommt miteinander aus.

Auch könnte es scheinen, als wäre der Reichtum in das nach dem Niedergang seines Kolonialreiches lange Zeit bitterarme Land zurückgekehrt. Keiner weiß allerdings so genau, woher dieser Wohlstand stammen könnte, und in Wirklichkeit steckt die Wirtschaft in einer tiefen Krise. Bezeichnend dafür war die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent durch die im März des Jahres 2001 neuangetretene Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Durão Barroso. Zwar ist durch den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1986 viel Geld ins Land geflossen. Vor allem die marode Infrastruktur wurde von Grund auf saniert, allerorten sind neue Straßen entstanden, die einen Bauboom nach sich gezogen haben. Doch klafft die Schere zwischen Arm und Reich inzwischen in keinem Land der Union weiter auseinander als hier. Wer also kann sich all die überteuerten Eigentumswohnungen in den hässlichen Kästen leisten, die im Großraum Lissabon, wo über ein Drittel der Portugiesen leben, aus dem Boden schießen? Wer hat all die nagelneuen Luxusautos bezahlt, die in dem Land mit der höchsten Verkehrstotenrate Europas herumbrausen? Im Zweifelsfall die Banken, denn seit neuestem lebt man in dem einst so bescheidenen und tiefreligiösen Portugal gerne auf Pump, und zu der hier seit eh und je herrschenden Korruption hat sich das Spekulantentum im großen Stil gesellt.

Der Konsumrausch ist eines der auffälligsten Symptome des rasanten Wandels, den Portugal in den vergangenen 25 Jahren erlebt hat. Selbst mittelgroße Kleinstädte wie Braga verfügen inzwischen über gigantische Shopping-Malls, von Einkaufstempeln wie dem Colombo in der Hauptstadt Lissabon mit eigenen Straßen und Plätzen ganz zu schweigen. Der Modernisierungsprozess hat das Land, das die rund zehn Millionen Portugiesen gerne auch als "Garten am Meer" bezeichnen, so radikal umgekrempelt hat wie wohl kaum ein anderes in Europa.

Heute sind es mehr und mehr der allgemeine Betonboom und die Vorgaben der Europäischen Union, die das Aussehen dieses Gartens prägen. Brüssel hat das ehemalige Agrarland Portugal zum Ferienpark Europas auserkoren, und angeblich braucht niemand in der Gemeinschaft die Produkte der ohnehin wenig rentablen portugiesischen Landwirtschaft. Es gibt schon genügend Tomaten und Olivenöl aus Griechenland, Italien und dem ungeliebten Nachbarland Spanien. Der Tourismus ist es, der in Portugal künftig noch mehr Menschen zu Lohn und Brot verhelfen soll. Bereits heute macht er acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Und so entsteht entlang dem dichtbesiedelten Küstenstreifen ein Golfplatz nach dem anderen. In erster Linie im Algarve, dem besonders trockenen Zentrum der Tourismusindustrie im Süden des Landes, wo es aber nicht annähernd genügend Wasser für derartige Anlagen gibt. Doch auch für dieses Problem wurde mit dem Bau des ebenso gigantischen wie umstrittenen Alqueva-Staudammes im Grenzgebiet zu Spanien, der zur Zerstörung eines der letzten Naturreservate der iberischen Halbinsel führt, scheinbar eine Lösung gefunden.

Trotzdem, alles in allem ist man in Portugal zufrieden mit der Annäherung an Europa, zu der man keine Alternative sah und sieht. Bis in die 70er Jahre stand das Land unter der Knute einer der hartnäckigsten Gewaltherrschaften des vergangenen Jahrhunderts, die es in einer vorsintflutlichen Rückständigkeit verkommen ließ. Diktator António Oliveira Salazar schottete seinen Staat nach außen hin völlig ab; das Volk sollte möglichst arm, dumm und streng katholisch gehalten werden. Und zuletzt auch noch als Kanonenfutter im Kolonialkrieg dienen. In den sechziger und siebziger Jahren emigrierten deshalb Hunderttausende Portugiesen ins Ausland, um vor der bitteren Armut in der Heimat, dem Waffendienst in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau und vor der gefürchteten Geheimpolizei zu fliehen. Am 25. April 1974 war dann der Zapfenstreich für fünfzig Jahre Diktatur. Mit der sogenannten "Nelkenrevolution" legten regimekritische Offiziere in einem unblutigen Aufstand den Grundstein für die heutige Demokratie und das moderne Portugal.

Manche von denen, die die Zeit des Aufbruchs erlebt haben, erinnern sich mit Wehmut daran zurück. Mit Politik wollen die meisten Portugiesen allerdings heute wie gestern nichts zu tun haben. Die da oben stecken sich ja doch nur alles in die eigene Tasche, denken viele, daran hat auch Europa nichts geändert. Und leider haben sie damit oft recht. Tagtäglich berichten die Medien von neuen Korruptionsaffären. Also schaltet man am besten gleich auf einen anderen Kanal um und schaut sich eine der zahllosen brasilianischen Dauerserien an, die ebenfalls ein Symptom des Umbruchs sind. Sie haben, seit sie in den Siebzigern auf den Bildschirm kamen, nicht nur die Sprache nachhaltig beeinflusst, sondern auch Kleidung und Denken der Portugiesen. Ein erzkonservativer Menschenschlag, der noch vor fünfundzwanzig Jahren überwiegend in Schwarz gekleidet ging, hat sich zu einem modernen Völkchen gemausert, dessen Jugend die neue Freizügigkeit im Sommer in knappen Hüllen zur Schau trägt. Man ist zwar immer noch katholisch, man pilgert vielleicht auch sogar einmal nach Fátima, dem berühmten Wallfahrtsort, aber ganz so verbissen wie die Großeltern sieht man das Leben nicht mehr. Auch Portugal ist im dritten Jahrtausend angekommen.

Oder vielleicht doch noch nicht so ganz? Nein, zum Glück nicht. Diese Effizienz, die sie dort in den Ländern an den Tag legen, in denen man immerzu nur arbeitet, weil es für alles andere sowieso zu kalt ist, in Deutschland zum Beispiel, die ist schön und gut. Man beneidet auch ihre Ergebnisse, aber sie in Portugal nachahmen? Lieber nicht. Schließlich ist da ja noch das Meer, der Atlantik, der so wunderbar zum Träumen einlädt. Und beim Träumen kommt unweigerlich das urportugiesischste aller Gefühle auf, die saudade, jene Mischung aus Fernweh, Heimweh, Sehnsucht und Melancholie, die einfach nicht hineinpassen will in diese Welt.


* PHG-Mitglied Barbara Mesquita ist akkreditierte Dolmetscherin und Übersetzerin für Portugiesisch und Spanisch. Daneben ist sie als freie Journalistin tätig. Den vorliegenden Artikel drucken wir mit freundlicher Genehmigung der Evangelischen Militärseelsorge ab, in deren Magazin JS vom November 2002 dieser Artikel zuerst erschien.




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Portugal-Post Nr. 25 / 2004


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