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Deutsche Kaufleute in Lissabon, 1700 - 1850. Ein Projekt

Von Thomas Denk *

Spuren der Geschichte bleiben so lange gegenwärtig, wie sie gelesen werden können. Schlägt man beispielsweise unbedarft das Telephonbuch Lissabons an den richtigen Stellen auf, stößt man auf deutsche Familiennamen in portugiesischen Nachnamenkombinationen, die man zweifelsohne als Produkte der deutschen Einwanderung nach Portugal der letzten Jahrzehnte klassifizieren möchte. Diese Einschätzung wäre jedoch nur zum Teil richtig. Namen wie Moller, Stockler, Poppe, Jansen, Metzener, Hintze, Frick, Burmester oder Borchers reichen in Portugal bis in das 18. Jahrhundert zurück, in eine Zeit, als sich deutsche Kaufleute in Lissabon in Hoffnung auf kommerziellen Gewinn ansiedelten und sich dort oft dauerhaft verwurzelten. Nach mehreren Generationen gingen diese deutschen Kaufmannsfamilien durch Heirat in der portugiesischen Gesellschaft auf, ihre Mitglieder verloren das Gefühl der Zugehörigkeit zur dortigen deutschen Kolonie. Neue Namen ersetzten sukzessive die vorhergehenden, die deutsche Kolonie in Lissabon fächerte sich im Lauf der Zeit immer mehr auf, berufspezifisch und kulturell. Dennoch blieb und bleibt ein fester Kern bestehen, der immer noch dem eigentlichen Ursprung der deutschen Gemeinschaft Rechnung trägt: dem Handel.

Die Geschichtsforschung hat sich, besonders in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, intensiv mit einigen Aspekten der luso-deutschen Handelsgeschichte beschäftigt. Im Zentrum des Interesses stand zum einen die herausragende Rolle der Augsburger und Nürnberger Handelshäuser im Zeitalter der Entdeckungen. Zum anderen war es die hansische Portugalfahrt von der Blütezeit der Hanse im Spätmittelalter bis zum formellen Ende des Hansebundes im 17. Jahrhundert, die immer wieder Beachtung fand. Die historisch überaus spannende Phase des Übergangs vom Merkantilismus zum Freihandel im 18. und 19. Jahrhundert wurde dagegen in der Perspektive der Historiographie der deutsch-portugiesischen Beziehungen vernachlässigt, obwohl gerade dieser Zeitraum in vielen Punkten konstitutiv für unsere heutige europäische Zivilgesellschaft und Staatenwelt gewesen ist: Es entstand das moderne Bürgertum und die bürgerliche Familie. Die kapitalistische Industrialisierung begann ihren Siegeszug in den europäischen Ländern. Liberale und nationale Ideen formten das frühneuzeitliche Europa um in seine heutige Gestalt. Das hier vorgestellte Projekt des Autors, das als Promotionsvorhaben an der Fakultät für Geschichts- und Geowissenschaften der Universität Bamberg entwickelt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Forschungslücke zu schließen.

Betrachtet man die zuerst aufgrund des portugiesischen Salzes und später durch die exotische Produktpalette der Entdeckungsfahrten zunächst florierenden luso-hanseatischen Handelsbeziehungen seit dem Spätmittelalter, lässt sich im 17. Jahrhundert ein durch unterschiedliche Faktoren bewirkter Niedergang feststellen. Nach der auszehrenden Zeit der spanischen Okkupation und dem schmerzlichen Verlust der ostasiatischen Kolonien an die Holländer kämpfte Portugal in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit einer hoffnungsarmen wirtschaftlichen Krise. Nach den Goldfunden in Brasilien in den 1690er Jahren fand es sich plötzlich wieder im Mittelpunkt der europäischen Handelsinteressen. Der in kurzer Zeit durch die Goldexporte wiedererlangte Reichtum ermöglichte nicht nur die berühmte Blüte des portugiesischen Hofstaats unter D. João V., sondern lockte auch zahlreiche ausländische Kaufleute in die Handelsmetropole Lissabon. Darunter befanden sich auch viele Deutsche, die entweder selbst Hanseaten waren oder aus dem Hinterland kamen und über den Weg der drei großen Hansestädte ihre Unternehmungen in Portugal etablierten.

Bei dem hier vorgestellten Projekt soll es weniger um eine mengenmäßige Erfassung des wirtschaftlichen Austauschs zwischen den Hansestädten und Portugal gehen. Vielmehr stehen die qualitativen Aspekte der Wirtschaftsbeziehungen im Vordergrund. So konzentriert sich das Vorhaben einerseits auf die Untersuchung der - in den hanseatischen Archiven erfreulich gut dokumentierten - konsularischen Korrespondenz zwischen Portugal und den "drei großen Schwestern" Hamburg, Bremen und Lübeck (und Preußen), andererseits auf das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der deutschen Kaufmannskolonie in Lissabon selbst.

Zunächst gilt es, die Herkunft der einzelnen deutschen Kaufleute festzustellen und Näheres über die Stellung der jeweiligen Familien in ihren Heimatstädten zu erfahren. Auch die Motive der Übersiedlung nach Lissabon, bestimmt durch die Art der Handlung der Familie, die Geschäftserwartungen im Gastland und das Ausmaß der Fluktuation innerhalb der Kaufmannskolonie gehören in diesen Fragenkreis. Weiterhin wird nach dem Besitz der Kaufleute in Lissabon (Geschäftshäuser, Wohngebäude, Liegenschaften etc.) zu fragen sein, genauso, welche Ämter sie innehatten, welche politische Reputation sie einnahmen, wo also ihr Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie in Portugal war.

Die Jahre zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress gelten durch die sie prägenden Umwälzungsprozesse gemeinhin als hervorragender Untersuchungszeitraum für den Funktionswandel sozialer Eliten. Der Übergang sozialer Gruppen von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Klassengesellschaft kann durch die Herkunft der deutschen Kaufleute und ihre spezifische Situation im portugiesischen Gastland aus einer ungewöhnlichen Perspektive dargestellt werden. Die kulturanthropologische Methodik zur Erforschung sozialer Netzwerke, in diesem Fall also der sozialen Verflechtung der deutschen Familien untereinander sowie mit portugiesischen Familien vor Ort wird hier gewinnbringend Anwendung finden.

Der relativ lange Betrachtungszeitraum ermöglicht ferner die Beobachtung mehrer Generationen in Portugal ansässiger deutscher Familien. Es soll nach den Bedingungen der sozialen Reproduktion, den Strategien des sozialen Aufstiegs, dem eventuellen Wechsel der Konfessionszugehörigkeit, der Beibehaltung kaufmännischer Traditionen bzw. der Entwicklung alternativer Berufskarrieren innerhalb der jeweiligen Familien gefragt werden.

Nicht zuletzt spielt auch die Frage nach Organisation und Formen der gemeinschaftlichen Repräsentation der Kaufleute eine wesentliche Rolle. Seit dem Mittelalter besteht eine Bruderschaft der deutschen Kaufleute, benannt nach dem Hl. Bartholomäus. Diese Korporation stellte bis in das 20. Jahrhundert hinein einen Sammelpunkt und Schutzbereich der deutschen Kolonie in der Hauptstadt Portugals dar, der ihr gesellschaftliches Leben nicht unbeträchtlich beeinflusste. Unabhängig von ihr durfte in dem katholischen Portugal 1761 eine protestantische Kirchengemeinde - die hanseatischen Kaufleute waren natürlich zum überwiegenden Teil Protestanten - gegründet werden; zu Anfang des 19. Jahrhunderts kam ein deutscher protestantischer Friedhof hinzu. Angesichts dieser Institutionen wird von Bedeutung sein, inwiefern die in ihnen eingebundenen Akteure ihre "deutsche" kulturelle Identität zu wahren versuchten, so zum Beispiel in der Pflege der deutschen Sprache über Generationen hinweg, bzw. wo die Grenzen dieser kulturellen Isolation durch den Kontakt zur portugiesischen Gesellschaft zu verschwimmen begannen.

Archivalische Quellen zu diesem Thema sind - trotz gegenteiliger Einschätzung mancher deutscher Wirtschaftshistoriker - vorhanden und aussagekräftig, wenn auch zugegeben werden muss, dass sie zum einen erst nach dem Erdbeben in Portugal 1755 richtig zu fließen beginnen, und sie zum anderen in den Archiven respektive Archivbeständen so verstreut liegen, dass schon allein das Auffinden der Archivalien einen großen Arbeitsaufwand erfordert. Das Staatsarchiv Torre do Tombo sowie die Biblioteca Nacional mit der dort aufbewahrten Colecção Pombalina werden die Hauptfundorte diesbezüglicher Quellen sein. Nicht zu vernachlässigen sind hierbei zwei Organisationen in Lissabon, welche auf wundersame Weise den Lauf der Zeiten überlebt haben und über Archive verfügen, die den hier dargestellten Sachverhalt wesentlich zu erhellen vermögen. Es handelt sich dabei einerseits um das außerordentlich gut geordnete Archiv der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon (DEKL), welches neben den komplett vorhanden Kirchenbüchern (seit 1761) auch über eine genealogische Sammlung ("Stiftung Katzenstein") verfügt. Zum anderen existiert seit etwa 800 Jahren die "Bartholomäusbruderschaft der Deutschen in Lissabon", die wohl älteste noch existierende Hilfsvereinigung Auslandsdeutscher der Welt. Die Bruderschaft hat vor kurzem beschlossen, ihre reichhaltigen Dokumentenbestände zu ordnen, zu konservieren und alsbald den interessierten Forschern zur Verfügung zu stellen, ein Anliegen, das sich um die Geschichte der deutschen Kolonie in Lissabon verdient machen wird, zumal dieses Archiv keineswegs nur den hier betrachteten Zeitraum umfassen wird, sondern über viele Epochen der Geschichte der Deutschen in Lissabon Aufschluss zu geben vermag.

Dieses Projekt umfasst nur einen kleinen Teil der Geschichte der luso-deutschen Beziehungen. Darüber hinaus gibt es noch vieles zu entdecken, was etwa die Verbindungen der Hansestädte zu Portugal begreiflicher macht. So soll dieser Beitrag nicht nur informieren, sondern auch durchaus zu weiteren Forschungen anregen.
eMail: denkthomas@yahoo.com
(Über jeglichen Hinweis auf Quellen zum Thema würde sich der Autor sehr freuen!)


* Thomas Denk bereitet eine Dissertation zu dem Thema vor "Die deutsche Kaufmannskolonie in Lissabon und die Beziehungen der Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck zu Portugal im "langen" 18. Jahrhundert". Er lebt in Pocking und Lissabon, wo er augenblicklich mit der Ordnung und Inventarisierung des Archivs der Bartholomäus-Brüderschaft beschäftigt ist.




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Portugal-Post Nr. 27 / 2004


Thomas Denk