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Kristalline Leidenschaften. Zu Al Bertos Gedichtband Salsugem

Von Ferdinand Blume-Werry

Ich falle mit der Tür ins Haus. Al Berto (1948-1997) ist mein Lieblingsdichter unter den portugiesischen Lyrikern. Was heißt es schon, wenn er zu den bedeutendsten Dichtern der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Solche hier und da zu lesenden Aussagen führen nicht dazu, dass auch nur ein Buch mehr von ihm gelesen wird. Genau das liegt mir aber am Herzen, und ich will gern sagen, warum das so ist. - Al Berto ist ein Meister der Metapher und ein Magier der vielschichtigen Bezüge. Seinen Texten sieht man an, dass sie durchgearbeitet wurden, und alles, wovon sie berichten, ist durchlebt und eben auch durchdacht. Hier schreibt ein wacher und seine Erlebnisse reflektierender Mensch, der dafür wunderbare Bilder findet. Mag sein, dass solches auch auf Texte anderer Dichter zutrifft; was aber ist das Besondere an denen Al Bertos, die uns sehr feinsinnig in das unerschöpfliche Thema der Liebe verstricken?

Anhand zweier Begriffe, die sich durch das gesamte Werk ziehen, lässt sich aufrollen, was Al Bertos Lyrik auszeichnet. Immer wieder - schon im Frühwerk ab der Mitte der 1970er Jahre - lesen wir von o corpo und von a escrita. Beide Begriffe können als poetologische Eckpfeiler gelten, zwischen denen sich das dichterische Universum Al Bertos entfaltet. Diese Entfaltung geschieht in ständig neuen Momentaufnahmen, Berichten und Erzählungen sowie Variationen derselben, anfangs sehr konkret und später zunehmend chiffriert. Es geht um den physischen Körper und in diesem Zusammenhang um physische Liebe sowie um ihren fortschreitenden Verlust, der nur - kraft der Erinnerung - durch das Schreiben aufgefangen werden kann. Beides, sowohl der Körper als auch das Schreiben, werden dabei räumlich gesehen, indem sie gleichsam zu Projektionsflächen anderer sinnlicher Erfahrungen werden.

Sehr deutlich wird das beispielsweise in dem Gedicht "2" des poetologischen Gedichtzyklus Doze Moradas de Silêncio aus den Jahren 1978/79, in dem der Schreibprozess in seinen verschiedenen Phasen reflektiert wird. Dort heißt es: a escrita é a minha primeira morada de silêncio / a segunda irrompe do corpo movendo-se por trás das palavras. Hier wird das Schreiben zunächst mit einer "Wohnstatt der Stille" gleichgesetzt, eine Metapher für das Zurückgezogensein während des Schreibens. Der Körper hingegen - quasi als Reservoir der Erinnerungen für das Schreiben - "bewegt sich hinter den Wörtern" als ein zweiter bewohnter Raum. Das Schreiben selbst wird hier körperlich gesehen, in früheren Texten wird es regelrecht als eine physische Verausgabung beschrieben. Aus dieser Körperhaftigkeit des Schreibens heraus erklären sich dann auch Bilder wie das Töten der Wörter für den Prozess der teilweisen Tilgung des Geschriebenen beim späteren Durchlesen der Texte, so in dem Gedicht "10" dieses Zyklus. Aber auch das Bild der "anderen Körper" (outros corpos), das bei Al Berto eine Metapher für Erinnerungen ist, die jene "Stille dieser Wohnstatt ... durchqueren". Auch sie tragen eine physische Komponente, wenn von ihnen gesagt wird, dass sie "aus Salz" (de salsugem) sind, womit eben jene kristalline Essenz gemeint ist, die übrig bleibt, wenn das Meerwasser verdunstet ist.

Mit diesen Erinnerungskristallen konfrontiert uns Al Berto in seinem Band Salsugem, der nun schon seit über einem Jahr in der zweisprachigen, im Elfenbein Verlag Berlin erschienenen Ausgabe vorliegt. Sven Limbeck hat diese schwierigen, aber wunderbaren Texte nicht nur kenntnisreich, sondern sehr sensibel ins Deutsche übertragen. Der Band, zugleich der dritte der zweisprachigen Werkausgabe, ist mit wichtigen Anmerkungen und einem Nachwort des Übersetzers versehen. Es ist zu wünschen, dass es dem Verlag damit gelingt, die einzigartige Lyrik Al Bertos, der 1988 mit dem Preis des portugiesischen PEN-Clubs ausgezeichnet wurde, für das deutsche Publikum zu erschließen. Diese Gedichte berichten nicht nur von Leidenschaften, sie fassen sie in unvergängliche Bilder und das in einer leidenschaftlichen Sprache, die voller Poesie und Rhythmik steckt.

Al Berto: Salsugem - Salz. Gedichte. Elfenbein Verlag. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Sven Limbeck. Berlin 2003. 173 Seiten





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Portugal-Post Nr. 28 / 2004