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Offenbarung

Von Regina Correia *

In der nächtlichen Stille dieser vier Wände umfängt mich die Wüste. Die kleine große Wüste einer bei Afrika gelegenen Insel. Mit ihrem dem Traum, dem Kampf, der Reise unendlich weit geöffneten Raum. Wo ich den Stein feiere, das Salz und das Feuer. Den Wind. Auch das Meer. Die Ewigkeit. Das mir gemäße Paradies. Ich weiß, mein Ort ist die Wüste. Für immer. Fern von der erstickenden Welt. Vom beruflichen Stress, den hirnlosen Shoppingcentern, Hyper-, Super-, Makro- und Minimärkten, dem kopflosen Gerenne auf den Straßen, von allen Big Brothers und ihresgleichen, von einer gewissen versnobten Grobschlächtigkeit in den Gesten und in der Sprache, vom universellen Egoismus, vom Haben-Haben-Haben, auch wenn es nur vorgetäuscht ist. Oder vor allem, wenn es nur vorgetäuscht ist. Von der mit Millionen finanzierten entsetzlichen Ignoranz im Fernsehen. Von den durch so viel Blut befleckten, schmutzglänzenden Nachrichten. Von den Verschwörungen, dem Klatsch, der Heuchelei. Kurz, Lichtjahre entfernt von der mit immer mehr Ehren bedachten Entwürdigung.

Letztlich machen die winzig kleinen Dinge, das Detail und die Zurückhaltung den Unterschied. Verleihen dem riesenhaften Wandbild der aggressiven Monotonie der Tage auf dem Höhepunkt fehlenden Bewusstseins den Anstrich von Größe. Es ist vier Uhr fünf morgens am Morgen und nur die Stimme von Carlos Puebla mit "tu mano gloriosa y fuerte, comandante" geht durch diese vier Wände in Hamburg und wärmt mich mit der Erinnerung an Lachen und Tränen in einer von der pflichtschuldigen Verfolgung der Ideale bestimmten Zeit. Ach, aber es war einmal...

Deshalb weiß ich, dass mein Ort für immer die Wüste ist. Dort auf dieser bei Afrika gelegenen Insel, wo das Leben ein Geschenk ist. Wo ein jedes Nichts alles ist und sein wird. Auf diesem Land aus Stein, Salz, Meer und Wind ist der Himmel eine unentwegte Liebeserklärung. Nur das. Und so erleben wir den unbeschreibbaren Frieden des Sonnenuntergangs, wenn am feuergesäumten Horizont die Raben kreisend den Rückzug ankündigen.

Wir verstummen andächtig angesichts der tocatina, der Gruppen von Männern mit ihren Instrumenten, beim Klang der Morna, der sich wie ein Zauber über das "mar di lua tchêa", das Vollmondscheinmeer, ergießt. Wir verstummen andächtig angesichts des flüchtigen Fluges der riesigen Heuschrecken, die eher kleinen Vögeln gleichen, angesichts des sicheren, unerschrocken Herumspringens der Ziegen auf den Steinen, auf den Felsen, oder wenn sie anmutig die Gischt der Wellen am Strand trinken, der weiter als das Auge reicht, angesichts des weisen Esels, der geduldig Last und Herrn über jahrhundertealte Pfade trägt, angesichts des einfachen Grußes eines jeden Kindes, eines jeden Alten, als hörte man ihn ihm Gottes Stimme. Und als hätte ein Volk in jeder Düne, zwischen dem Meer und dem gelobten Land, in dem Milch und Honig über den mit Datteln bedeckten, vom herrlichen Licht der göttlichen Offenbarung gewärmten Sand fließen, ganz selbstverständlich eine Zuflucht gefunden.

Und so wurde aus dem beabsichtigten Reisebericht, der das Gewöhnliche und Pittoreske herausstreicht, eine Dankesgabe. Der Insel Boavista zudacht. Dem Paradies.


* Regina Correira ist Lehrerin für Portugiesisch an der Portugiesischen Schule in Hamburg und unser Mitglied. Sie hat neben zwei Romanen ("Enteados de Deus" - "Die Stiefkinder Gottes" und "Uma borboleta na cidade" - "Ein Schmetterling in der Stadt") einen Gedichtband ("Noite Andarilha"- "Wandernde Nacht") veröffentlicht, der ihre kapverdischen Erfahrungen widerspiegelt




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Portugal-Post Nr. 30 / 2005


Regina Correia




Eindrücke von Boavista








Fotos aus dem Archiv der Notícias do Sal,
Kap Verde