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Aus dem Herzen des Minho im Norden Portugals ins Herz von Deutschlands Norden

Von Regina Correia *
Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann

Das 17 km von Braga und 76 km von Porto entfernte Thermalbad Caldelas liegt zwischen dem Rio Cávado und dem Rio Homem im Bezirk Amares mitten im Herzen des Minho und nur einen Katzensprung vom Nationalpark Gerês entfernt, der uns mit der Friedlichkeit und Schönheit seiner Vegetation und seinem heilkräftigen Wasser eine Oase der Ruhe beschert.

In diesem Thermalbad sah eines Tages ein fünfjähriger Junge, wie der Priester seiner Gemeinde, in einen langen schwarzen Umhang gehüllt, mit der Linken das Heilige Sakrament an die Brust drückend, in der Rechten einen Beutel mit Lebensmitteln, auf einem baumlosen Pfad zur Hütte eines Sterbenden eilte, und er empfand in diesem Augenblick, dass es im Leben nichts Schöneres gibt, als mit andern Menschen zu teilen, mit allen Menschen, vor allem mit den Armen, ganz real, aber auch im Sinne des Sakraments der Kommunion. Eine geraume Zeit später, als es auf Weihnachten zuging, fragte ebendieser Priester im Katechismusunterricht die Kinder, wer noch vor dem heiligen Gabriel den Namen Jesus gewählt habe, und aus dem Mund des kleinen Eurico kam prompt die Antwort: "Die Propheten". "Eines Tages wirst du mit mir zusammenarbeiten", prophezeite ihm der Gemeindepfarrer. Zu Hause angekommen, wollte der Junge wissen, was der Pfarrer damit gemeint habe. "Eines Tages wirst du Priester sein", erklärte die Mutter.

Vor genau 50 Jahren erfüllte sich die Prophezeiung. Padre Eurico Azevedo, seit 1971 Leiter der katholischen portugiesischen Mission in Hamburg, wurde am 15. August 1955 in Braga zum Priester geweiht.

Eurico José de Azevedo wurde am 6. Juni 1930 in Caldelas geboren. Nach der Grundschule, die er in seinem Heimatort besuchte, tritt der Junge auf Anraten des Gemeindepfarrers von Caldelas in das Seminar der Spiritaner in Régua ein. Im Jahr darauf ist die Stadt Braga sein Ziel, genauer gesagt, das Seminar der Spiritaner in Fraião, wo er das Lyzeum absolviert. Im Anschluss daran ging er zu einem zweijährigen Philosophiekurs nach Viana do Castelo, nach dessen Beendigung er von den Dozenten ausgewählt wurde, Theologie an der Gregorianischen Universität in Rom zu studieren. Das war im Jahr 1952. Schon als Theologe widmet er jedes Wochenende den Armen, die der Zweite Weltkrieg in die Vororte der großen Stadt verschlagen hatte. Eben gerade fünfundzwanzig Jahre alt geworden, wird er dann 1955 am 15. August, zu Mariä Himmelfahrt, in der Kathedrale von Braga zum Priester geweiht. Er kehrt für ein weiteres Jahr als Priester nach Rom zurück, wo der ehemalige Erzbischof von Hamburg, Ludwig Averkamp, und auch der ehemalige Leiter der Pastoralen Dienststelle dieser Stadt, Alois Jansen, zu den Kollegen gehörten, mit denen er sich in der Umgebung der italienischen Hauptstadt zum Fußballspielen traf.

Die Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist gibt es seit 1867 in Portugal. Ab 1952/3 hat sie ihr Hauptseminar (Philosophie und Theologie) von Viana do Castelo in ein majestätisches, eigens zu diesem Zwecke erbautes Haus in Torre d'Aguilha bei Carcavelos verlegt. Ebendort begann Padre Eurico Azevedo nach abgeschlossenem Studium und nach seiner Rückkehr aus Rom im Oktober 1956 mit seiner Lehrtätigkeit in den Fächern Theologie, Pastorale, Exegese und Geschichte der Philosophie. Doch wie schon zuvor in Rom widmete er auch hier seine Freizeit und die Wochenenden den Armen, den Kranken, den Kindern und Jugendlichen und legte den Grundstein für eine großartige katholische Gemeinschaft, die einige Jahre später der Erzbischof von Lissabon offiziell zur Gemeinde, nämlich der von Tires, erklärte.

In Torre d'Aguilha traf der junge Priester auf diejenigen, die er "die Ärmsten der Armen" der Region nannte, und war erschüttert. Es waren Menschen, die an Tuberkulose litten, viele von ihnen gehörten einer geheimen Zelle der Kommunistischen Partei an, lebten in unwürdigen Verhältnissen und ohne jede Hilfe. Wenn er die zukünftigen Priester in Theorie unterrichtet und mit ihnen in der Messe das Sakrament des Abendmahls gefeiert hatte, ging er hinaus zu den ganz konkreten Menschen, um das Sakrament Fleisch werden zu lassen und die Lehre in die Tat umzusetzen. Er organisierte Hilfsdienste für Arme und Kranke; in der heute restaurierten Kapelle bekamen die Kinder, bevor sie in die Schule gingen, ein Frühstück, das heißt, so viel Brot und Milch, wie sie wollten. Er nahm Kontakt zur Schule auf, und schon bald kamen die ersten Kinder in den Katechismusunterricht, und die Halbwüchsigen taten sich unter seiner Anleitung zu Kirchenjugendgruppen zusammen, die Theater spielten oder über den Wert des Lernens, der beruflichen Ausbildung und Freizeitvergnügungen diskutierten. Alle, Einheimische wie Immigranten, Christen wie Atheisten, Junge wie Alte machten diese Arbeit zu ihrer eigenen, teilten sie untereinander auf und übernahmen Verantwortung.

Aber Anfang der sechziger Jahre musste er von Tires Abschied nehmen, denn er wurde ins Seminar von Braga berufen, wo er sich dann um die religiöse Erziehung der Seminaristen des Lyzeumskurses kümmerte, Griechisch unterrichtete und die Oberaufsicht über die Finanzen des Hauses innehatte. Hier wie schon in Torre d'Aguilha und in Rom weigerte sich Padre Eurico, Gebet und Lehre als etwas Abstraktes zu leben. Also versuchte er, als Priester sein Leben konkret gemäß dem Gebet und der Lehre zu gestalten. Daher nahm er die Einladung Dom Antónios, des Erzbischofs von Braga an, in seiner Freizeit das Amt eines Assistenten für die Katholische Aktion im ländlichen Bereich des Erzbistums zu übernehmen. Es waren die neun schönsten Jahre seines Lebens, "etwas ganz besonders Kostbares". Er leitete bis zu 750 Gruppen junger Menschen an, die sich um ihrer eigenen Ausbildung und um Verbesserungen im ländlichen Bereich willen zusammentaten. Das wirkte wie ein Lebensimpuls für den ländlichen Minho, dem nicht nur seine Rückständigkeit, sondern auch eine massenhafte, ungeordnete Emigration zum Verhängnis zu werden drohte. Noch heute bildet er mit seinen damaligen Mitarbeitern eine große, glückliche Familie und trifft sich in jedem Urlaub mit den fünfunddreißig "jungen" Diözesanleitern, die ihn damals begleitet haben.

Zudem brauchten die Familien Hilfe, es mußte bedacht werden, in welch problematischer Situation ein Großteil der Bevölkerung lebte, geprägt vor allem von Analphabetismus, Unwissenheit und nicht einmal einem Minimum an Sorge um Gesundheit und Hygiene. Hierzu bildete Padre Eurico Azevedo Leiter aus, die ihrerseits Multiplikatoren darin schulten, Aufgaben auf Gemeinschaftsebene, wie die Alphabetisierung von Frauen, zu übernehmen oder aber ihnen einfach nur beizubringen, wie man Fenster mit Gardinen versieht, einen Tisch deckt und neue Kochrezepte ausprobiert, so dass sie nicht von den Ausländerinnen ausgestochen wurden, die ihren emigrierten Männern den Hof machten.

In den sechziger Jahren schwand das Interesse am Priesterberuf, was zu einem deutlichen Rückgang der Seminaristenzahl führte. Zudem hängten viele Priester ihre Soutane an den Nagel oder heirateten. Vor diesem Hintergrund kehrte Padre Eurico Azevedo im Jahr 1969/70 als Dozent für Kirchenlehre für junge Priester in das Seminar in Torre d'Aguilha zurück, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Er vertrat die Meinung, dass es unabdingbar sei, die Seminaristen aktiv in die Pastorale in der der Kongregation anvertrauten Gemeinde mit einzubeziehen. Seine Vorgesetzten waren damit nicht einverstanden, und da er sein Leben sinnvoll nutzen wollte, erbot er sich, drei Jahre für die Emigrantenpastorale zu arbeiten. Zu diesem Beschluss trug auch die Tatsache bei, dass er als "Kommunist" angesehen und angegriffen wurde, weil er dafür eintrat, die Kirche in Angola auf die Unabhängigkeit vorzubereiten, die er nicht nur für wünschenswert, sondern auch für unvermeidlich hielt. Interessanterweise wurde Padre Azevedo bis zum Jahr 1962, als er begann, für die Acção Católica zu arbeiten, in der Kartei der PIDE, der politischen Polizei des Salazarregimes, als "sehr intelligent und fromm" bezeichnet, doch von da an als "gefährlicher Priester, weil er sozial ist und viele, sogar internationale Kontakte hat."

Aus diesem Grunde und weil er das umsetzen wollte, woran er glaubte, bat Padre Eurico Azevedo seine Vorgesetzten, ihn für drei Jahre nach Hamburg gehen zu lassen, in die Stadt in Deutschlands Norden, in der er 1971 auf Betreiben von Padre Lourenço, Dom Aurélios Bruder, ankam. Drei Jahre später sollten ihm die Fakten recht geben.

Denn Portugal hatte inzwischen den 25. April, die Nelkenrevolution, erlebt, die der 48 Jahre währenden faschistischen Diktatur und dem seit 1961 andauernden Kolonialkrieg ein Ende bereitete, was letztlich zur Unabhängigkeit der überseeischen Territorien Portugals führte. Die Tatsachen zeigten, dass er Recht gehabt hatte, doch die Menschen, selbst jene, die ihm nahe standen, sahen das nicht so. Daher kehrte Padre Eurico Azevedo nicht, wie anfangs geplant, in sein Heimatland zurück, sondern widmete sich fortan - und dies seit nunmehr 34 Jahren - ganz der portugiesischen Gemeinde in Hamburg.

In diesen Jahren war Padre Eurico Azevedo als Leiter der Missão Católica Portuguesa in Hamburg, deren erste Adresse An der Alster, später Holzdamm war und heute Danzigerstraße heißt, in drei Arbeitsbereichen tätig: im liturgisch-pastoralen, im sozialen und im kulturellen Bereich. Wie bereits in Rom, in Torre d'Aguilha und in Braga wollte er es nicht bei Theorien und dem Gebet als etwas Abstraktem belassen, sondern das Gebet und die pastoralen Theorien lebendig umsetzen.

Im seelsorgerischen Bereich waren ihm fünf Gemeinden bis hinauf nach Kiel unterstellt: Hamburg, Harburg, Glinde, Wahlstedt und Lübeck, wo er insbesondere den Katechismusunterricht und die erste Kommunion bis hin zur Firmung organisierte. Hierzu sei angemerkt, dass die Gemeinden von Glinde, Hamburg und Harburg autonom sind und auf die Mitarbeit eines gewählten Beirates zählen können, der die Aktivitäten in Zusammenhang mit dem Katechismusunterricht, den religiösen Festen, wie auch dem Weihnachtsbasar und der Heiligen Messe unterstützt. Padre Azevedo ist zudem die Gründung der Gemeinden von Bremen und Hannover zu verdanken, wo allerdings heute nach dem Tod ihrer Gemeindepfarrer deren Stellen vakant sind.

Im sozialen Bereich hat vor allem die Caritas bei all ihren Projekten auf ihn als Mittler und auf seine ständige, tatkräftige Unterstützung zählen können, unter anderem bei Deutschkursen für Ausländer, Kursen mit Berufsabschluss für Erzieherinnen, Hauswirtschaftlerinnen, Krankenpflegerinnen sowie bei Computerkursen.

Im kulturellen Bereich unterstützt er die Aktivitäten der Missão Católica, die er ja leitet. Hierbei kann gar nicht oft genug herausgestrichen werden, welch entscheidende und verdienstvolle Rolle im Bereich Bildung und Erziehung Padre Eurico Azevedo zukommt, denn allein auf seine Initiative hin und im Kampf gegen alles und alle, sogar gegen das Desinteresse der portugiesischen Behörden im Bildungsbereich, wurde im Schuljahr 1972/73 portugiesischer Unterricht ins Leben gerufen, um den Kindern der im Ausland arbeitenden Portugiesen bei einer möglichen Rückkehr in die Heimat bessere Arbeits- und Integrationschancen zu verschaffen. Seine Schule, die bis zu 650 Schüler, niemals aber weniger als 400 gezählt hat, erlebte im Schuljahr 2003/2004 ihre letzten Tage, was nicht auf die Initiative von Padre Azevedo zurückzuführen war, sondern auf eine "inkonsequente" Haltung der Leiter der katholischen Schulen, denen er die Zukunft seiner Schule in der Hoffnung auf größere Stabilität anvertraut hatte. Neben den Kursen in den Fächern Portugiesische Sprache und Portugiesische Kultur für die Kinder portugiesischer Arbeitnehmer vom ersten bis zum neunten Schuljahr wurden in dieser Schule außerdem Alphabetisierungskurse und andere Kurse für Erwachsene angeboten.

Im sozio-kulturellen Bereich wird dieser Spiritaner-Missonar nicht müde, Kirchenprojekte in Afrika, in Brasilien, in Bosnien, in Timor zu unterstützen, sowie in diversen Katastrophengebieten der Welt, insbesondere das Projekt Arco Verde in Brasilien, die Ärzte ohne Grenzen, die Yanomami-Indianer und die Casa do Gaiato, wofür er alljährlich einen Weihnachtsbasar organisiert, auf dem niemals weniger als 20.000 Euro für diese und andere Projekte zusammenkommen. Innerhalb der Missão Católica Portuguesa unterstützt er zudem die Jugendgruppen, die Frauen-, Näh- und Folkloregruppen, Volksfeste, kurzum, alles, was zum menschlichen, religiösen und sozialen Zusammenhalt der portugiesischen Gemeinde und deren Einbindung in ihr deutsches Umfeld beiträgt.

Padre Eurico Azevedo ist ein Mann mit wachem, jungem Geist, dessen Tür stets allen Menschen offen steht, der niemals fragt, ob jemand katholisch ist oder nicht, ob er überhaupt einer Religionsgemeinschaft angehört oder welches seine politische Orientierung ist. "Ist es ein Mensch, ist er Fleisch Gottes", sagt er immer. Er liebt Fußball, Theater und Literatur. Er kennt alle Gemeindemitglieder bei Namen, die Vornamen aller Kinder, weiß über die Familien Bescheid und aus welchem Dorf sie kommen. "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper/Mens sana in corpore sano" ist sein Leitspruch, und daher schwimmt er zweimal in der Woche mindestens zwei Kilometer - man muss seinen Körper fit halten, damit der Geist klar und wach bleibt! Man kennt ihn mit harter Stimme und harter Geste, wenn es darum geht, geradlinig die von ihm als wesentlich angesehenen Ziele einer Aufwertung der portugiesischen Gemeinde, vor allem der Kinder und Jugendlichen, zu erreichen. Zugleich aber weiß man, dass er ein butterweiches Herz hat und ein ruhiges Wort findet, wenn ein Sturm in der Luft liegt oder Bangigkeit und Sorge.

Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem wir uns von diesem Mann verabschieden müssen, der sein ganzes Leben den Mitmenschen, vor allem denen in der Emigration, gewidmet und unsere Gemeinschaft im Norden Deutschlands in charismatischer Weise menschlich und sozio-kulturell geprägt hat. Von diesem Mann voller starker Überzeugungen, der jetzt nach Portugal zurückkehrt, verabschieden wir uns mit einem Fest am 14. August dieses Jahres 2005. Zu diesem Fest lädt er niemanden persönlich ein, da er alle einladen möchte. Padre Eurico Azevedo hat im Laufe seiner Tätigkeit für die portugiesische Gemeinschaft als Leiter der Missão Católica Portuguesa in Hamburg das Rentenalter erreicht. Wir können ihm jetzt nur noch viele Lebensjahre wünschen, viel Gesundheit und weiterhin so viel Energie, damit er sein Apostolat für den Menschen in Christo weiterführt in dieser düsteren und an Idealen armen Zeit, in der wir leben.

Sie fehlen uns schon jetzt. Auf ein Wiedersehen!


* Lehrerin und Schriftstellerin, die schon mehrfach Artikel für unsere Zeitschrift beigesteuert hat. Sie hat viele Jahre an der Missão Católica unterrichtet und kennt somit den Pater so gut wie kaum jemand sonst




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Portugal-Post Nr. 31 / 2005


Padre Eurico Azevedo