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Rem Koolhaas' barocker Minimalismus oder wie zwei Hamburger zu Schweizern wurden
Die neue Casa da Música in Porto

Von Maralde Meyer-Minnemann

Als ich im Flugzeug zwischen Frankfurt und Porto in der Zeit auf den Artikel mit der Überschrift "Kometeneinschlag im Hühnerhof" stoße und das Foto eines futuristischen Polyeders hinter Ödland, verfallenen Mauern und kleinen Häusern sehe, ist mir klar: Auch wenn diese Reise wieder einmal nur eine Stippvisite ist, dieses Gebäude muss ich mir ansehen. Die Casa da Música in Porto. Nicht nur, weil ich Musik liebe, sondern weil zu den Dingen im Leben, die mich glücklich machen, das Anschauen, Erleben und Genießen von Architektur gehört. Vor ein paar Jahren erst war ich an einem Tag mit einem Mietwagen fast 300 Kilometer von Gijón nach Bilbao und wieder zurück gefahren, um mir das Guggenheim Museum von Frank Ghery anzusehen. Jetzt war ich auf dem Weg zur neusten Attraktion für Architekturinteressierte, die allerdings erst nach meiner Abreise eingeweiht werden sollte. Ein Konzert auf der Baustelle hatte es bereits gegeben, entnahm ich dem Artikel1. Aber vielleicht konnte man das Gebäude ja besichtigen...

In Porto angekommen, finde ich dann heraus, dass die Casa da Música nicht im Hühnerhof, sondern an der Rotunda da Boavista, gebaut wurde, dort wo früher das Straßenbahndepot lag (Straßenbahnfahren ist übrigens noch eine meiner Leidenschaften). Die Schienen, auf denen ich einst die Avenida da Boavista vom Castelo do Queijo hinauf und wieder hinunter gefahren war, gibt es nicht mehr. Also nehmen wir den Bus. Wir, mein Bruder Gerold und ich. Er muss hier erwähnt werden, weil ich ohne ihn die Casa da Música nicht von innen gesehen hätte!

Kommt man durch den Park an der Rotunda da Boavista auf das Gebäude zu, leuchtet es hell durch die Blätter, steht man dann vor ihm, ist man geblendet und staunt. Die Häuser ringsum wirken bunt und winzig, der Bau aus weißem Beton ist riesig und erscheint zugleich leicht durch die unten nach innen abgeschrägten Wände. Ein etwas schiefer, eckiger Fesselballon, der auch wieder abheben könnte.

Am 1. September 1998 hatte Kulturminister Carilho verkündet, dass in dem für das Jahr 2001 zusammen mit Rotterdam zur Kulturhauptstadt Europas gewählten Porto als besondere Attraktion die Casa da Música errichtet werden solle. Das Projekt, von dem es hieß, es wolle die "normalerweise konservative Musikszene entstauben", wurde in Angriff genommen, ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, der den portugiesischen Rechnungshof auf den Plan rief, und schließlich der niederländische Architekt Rem Koolhaas mit dem Bau beauftragt.

Der Konzertsaal wurde nicht 2001, sondern erst vier Jahre später fertig. Die ursprünglichen Kosten von 40 Millionen belaufen sich inzwischen auf 100 Millionen. Aber darüber wird man in Zukunft nicht mehr sprechen. Das erste Konzerthaus, das je in Portugal gebaut wurde, Rem Koolhaas' Meisterwerk, wird vielleicht sogar den Bilbao-Effekt haben, rechnet man doch schon heute mit 150.000 Touristen, die nur wegen der Casa da Música nach Porto kommen werden.

Ich stehe noch staunend da, als mein Bruder längst die Metalltreppe zum Eingang hinaufstiegen ist. Und drinnen angekommen, staune ich weiter über ein Treppenhaus, wie ich noch nie eines gesehen habe. Vom Schauen ganz absorbiert, verliere ich meinen Bruder aus den Augen, der sich derweil still einer Besuchergruppe angeschlossen hat. Aber als ein freundliches junges Mädchen mich mit den Worten aufhält "Sie dürfen da nicht weitergehen", rettet er mich, indem er in schönstem Portugiesisch mit erkennbarem Akzent freundlich bestimmt erklärt, "Wir gehören zu der Gruppe", und gleich mögliche Einwände mit dem Hinweis entkräftet, "Sonst wären wir doch nicht hier". Und so kommen wir, mein Bruder, meine uralte Nikon F3 und ich mit einer Gruppe schwyzerdeutsch redenden Architekturstudenten in den Genuss einer Führung durch die Casa da Música.

Treppen gibt es. Schön beleuchtete steile, enge, hinter grauen Türen Treppenhäuser, Rolltreppen, weite Treppenfluchten. Stumpfe, spitze Winkel, viel Grau, Metall, von unten beleuchtete Glasfußböden, kaum Farbe. Fenster, durch die die Stadt hereinkommt. Manchmal leicht verzerrt, unterwasserähnlich durch gewelltes Acryl. Und aus diesem verwinkelten Polyeder herausgeschnitten, liegt in der Mitte, von Süden nach Norden ausgerichtet, der große Konzertsaal. 1.238 Menschen haben Platz in dieser Schuhschachtel, die an beiden Stirnseiten durchsichtige, gewellte doppelte Wände aus Acryl haben. Sonst sind die Wände des großen Konzertsaales mit goldenen Wellen versehen, eine Anspielung auf die barocke talha dourada der Kirchen. Allerdings gibt es einige Öffnungen in den Seitenwänden, die ebenfalls mit dem gewellten Acrylglas versehen sind. An einer Wand überrascht eine reich verzierte Orgel.

Riesige Rollos können den Raum vollkommen verdunkeln. Als wir in ihn hineinsehen, probt dort in hellem Tageslicht, bei halb herabgelassenem Rollo unhörbar ein Orchester. Wir stiefeln über Kabel, gehen durch Türen, Flure, finden uns in einem violetten Raum für Kinder wieder, in dem sie während des Konzertes ihre Eltern sehen und etwas über Musik erfahren können, die gerade gespielt wird. Wir steigen Treppen hinauf in den VIP-Raum im obersten Stockwerk, der zur Straße hin mit bis auf den Boden reichenden Fenstern und sonst mit blau-weißen Azulejo-Painéís versehen ist. Von einer spitz zulaufenden, ebenfalls mit Azulejos verkleideten Terrasse aus kann man über die Stadt blicken. Überall wird gebohrt, gehämmert, gesägt. Eine Gruppe wichtig dreinblickender Herren in dunklen Anzügen schreitet ernst durch die Räume, hält beratschlagend inne, und wir warten, bis sie mit ihrer Besichtigung fertig sind, bevor wir unsere fortsetzen. Wir steigen labyrinthische Treppen wieder herunter zu den Verwaltungsräumen, den Künstlergarderoben, den Übungsräumen, der Kantine. Meine Kondition lässt zu wünschen übrig! Und dann öffnet sich eine Tür und wir stehen wieder im gleißenden Sonnenlicht. Die Architektengruppe sammelt sich um den jungen Guide, mein Bruder und ich setzen uns diskret wieder ab.

Übermorgen, zur Eröffnung, erfahre ich aus der Zeitung, spielt unter anderem Lou Reed. Dann bin ich längst wieder in Hamburg. Aber wenn ich wieder nach Porto komme, möchte ich unbedingt ein Konzert in der Casa da Música hören, deren Akustik nachgesagt wird, sie sei eine der besten, die je in Europa erreicht wurde. Und außerdem könnte ich mir noch einmal alles anschauen!


1 Für Portugal-Post-Leser mit Internet-Anschluss hier der Ort, an dem der wortgewaltige Artikel von Hanno Rauterberg zu finden ist http://zeus.zeit.de/text/2005/15/Casa_da_Musica).




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Portugal-Post Nr. 31 / 2005


Die Casa da Música in Porto




Auch in den Innenräumen begegnen sich Moderne und Tradition: Licht dringt durch die Glasfassade auf Azulejos




Vor den älteren Häusern Portos wirkt die Eingangstreppe wie eine Gangway zu einem Raumschiff




Treppenhäuser, Treppenfluchten...




...viel Grau, viel Metall, kaum Farbe...




...stumpfe, spitze Winkel




gewellte doppelte Wände aus Acryl




Fenster, durch die die Stadt hereinkommt




Schauen Sie sich dazu auch die ausführlichere Diashow an