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Rezension:
Clara Pinto Correia, Stumme Boten

Von Peter Koj

Als die portugiesische Fassung der Secondary Messengers - so der Titel der englischen Originalausgabe - vor fünf Jahren erschien, konnte sie an die Erfolge von Clara Pinto Correias Erstlingen Auf Wiedersehen Princesa und Das Alphabet der Frauen (beide bei dtv) nicht anschließen. Zu verwirrt waren Kritik und Lesepublikum. Doch die 250. Wiederkehr des Jahrestages des Lissabonner Erdbebens in Verbindung mit den neuerlichen Katastrophen wie dem Tsunami im letzten Dezember und den Erdbeben dieses Jahres dürfte das Interesse an diesem Roman steigern. Ein ungewöhnliches Buch, ungewöhnlich wie die Autorin. Denn Clara Pinto Correia (Jahrgang 1960) ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Biologin, und als solche Professorin an der renommierten Harvard Universität.

Ihr Spezialgebiet ist die Embryologie, und bei den Recherchen zu ihrem aufsehenerregenden Werk über die Fortpflanzung The Ovary of Eve stieß sie in amerikanischen Archiven auf bisher wenig beachtete Populärschriften und Pamphlete (literatura de cordel), in denen von Monstern und Missgeburten berichtet wird. Und nun das Überraschende: Diese treten, je näher wir dem 1. November 1755 rücken, nicht nur mit immer größerer Häufigkeit auf, sondern auch immer näher zum portugiesischen Epizentrum. Noch im April 1755 wird von mehreren monströsen Missgeburten in Lissabon selbst berichtet. Dies hätten die Menschen als Zeichen, als "stumme Boten" des Erdbebens erkennen müssen.

Vor diesem Hintergrund spielt sich die eigentliche Handlung ab. Zwei Wissenschaftler an der Stanford Universität in Kalifornien arbeiten in einem Gemeinschaftsprojekt diese Pamphlete auf: der calvinistisch-puritanische Kunsthistoriker Chuck Sorensen aus Kansas (!) und die lebensfrohe katholische Biologin Ana Maria Silva Pereira. Doch die eigentliche "Hauptperson" ist das Lissabonner Erdbeben und seine "stummen Boten". Das ganz große Verdienst dieses Buches ist es nun, wie es der Autorin gelingt, die historischen Quellen, die ausführlich und drucktechnisch zur Haupthandlung abgesetzt zitiert werden, mit der Geschichte der beiden Wissenschaftler zu verweben.

Diese Quellen bestehen nicht nur aus Darstellungen von Monstern, sondern auch aus zeitgenössischen Berichten über das schreckliche Geschehen an Allerheiligen 1755. Es beginnt gleich auf den ersten Seiten mit Voltaires "Gedicht über das Erdbeben von Lissabon", aus dem Chuck Sorensen seiner portugiesischen Kollegin ganze Passagen aus dem Kopf vorträgt bis hin zu Augenzeugenberichten in Lissabon ansässiger Engländer protestantischen Glaubens, die sich wegen des für diesen Tag vom Inquisitionstribunal angesetzten Autodafés, bei denen es häufig zu Übergriffen auf Andersgläubige kam, an den Stadtrand verzogen hatten, wo sie eher überlebten als ihre katholischen Landsleute, die sich zumeist um diese Zeit (10 Uhr) in Kirchen versammelt hatten.

Diese parallelen Erzählstränge verweben sich im Laufe des Romans immer mehr und werden auf den letzten Seiten zu einem engen Geflecht, mit einem echten Knaller im allerletzten Satz. Doch der soll hier nicht verraten werden. Die Lektüre lohnt sich übrigens auch über die vielfältige Information hinaus, die uns der Roman über das Erdbeben liefert. Wir erfahren viel über den Gegensatz zwischen amerikanischem Konservativismus und quirliger portugiesischer Lebensart, wobei sicher nicht alle portugiesischen Biologinnen dem Bild von Ana Maria und ihrer unkonventionellen Moral und Lebensführung entsprechen (ob sich das enfant terrible Clara Pinto Correia mit ihr ein Denkmal setzen wollte?). Wir erfahren auch eine ganze Menge über die portugiesische Mentalität und Geschichte, insbesondere die Inquisition und das Marranentum.

Die deutsche Übersetzung aus dem englischen Original von Esther Kinsky ist 1999 im Eichborn-Verlag erschienen. Zur Struktur und den literarischen Qualitäten des Romans erfahren Sie mehr, wenn Sie den Artikel Motivos para ler "Os Mensageiros Secundários" de Clara Pinto Correia lesen, den Madalena Simões vom Hamburger Centro de Língua Portuguesa (Instituto Camões) für uns geschrieben hat, den wir aber aus Platzgründen nicht mehr in dieses Heft aufnehmen konnten.





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Portugal-Post Nr. 32 / 2005