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Eine portugiesische Deutsche, oder umgekehrt
Zum Tod von Ilse Losa (1913-2006)

Von Peter Koj

Am 6. Januar ist Ilse Losa, die Schriftstellerin aus Porto deutscher Abstammung, gestorben. Im Gegensatz zu vielen nach Portugal geflüchteten deutschen Naziverfolgten wie die Wohlwills und die Manns, war für Ilse Losa das Gastland nicht bloß eine Durchgangsstation, sondern wurde zu einer wirklichen zweiten Heimat. Ilse Lieblich wurde als Tochter einer jüdischen Familie in dem kleinen Dorf Buer bei Melle im Bezirk Osnabrück geboren. 1933, beim Machtantritt der Nazis, war sie in einem Krankenhaus in Hildesheim tätig. Später ging sie nach Berlin, um in einem Büro zu arbeiten. Als 1934 ein Brief von ihr abgefangen wurde, in dem sie das Hitlerregime kritisierte, wurde sie zur Gestapo vorgeladen. Der Offizier, der sie verhörte, konnte nicht glauben, dass solch ein blondes und blauäugiges Mädchen eine Jüdin sein sollte. Er forderte sie auf, fünf Tage später wiederzukommen, "wenn sie dann noch in Deutschland sei". Ilse Lieblich verstand den Wink und floh sofort nach Porto. Dort erwartete sie ihr Onkel, Dr. Rudolf Hirsch aus Hamburg, und ihr älterer Bruder Ernst (der jüngere Bruder, Fritz, folgte später). Ernst oder Ernest, wie er sich nach seiner Ausbürgerung nach Los Angeles nannte, besitzt die größte Kollektion portugiesischer Kunst in Kalifornien und ist nach wie vor ein großer amigo de Portugal (so der Titel eines Artikels in der Zeitung O Independente vom 4. Juni 1993).

Durch Ernst fand die junge Ilse Zutritt zu den Künstlerkreisen Portos, wo sie auch ihren späteren Ehemann, Arménio Losa, kennenlernte, der später einer der bekanntesten modernistischen Architekten Portugals wurde. Er war es auch, der sie dazu ermutigte, auf portugiesisch zu schreiben, und gleich ihr Erstling, der Roman Die Welt in der ich lebte (1949 veröffentlicht) wurde direkt auf portugiesisch verfasst. Und da auch ihr übriges Gesamtwerk auf portugiesisch ist, kann man sie zu Recht als portugiesische Schriftstellerin bezeichnen. Nicht irgendeine Schriftstellerin, sondern eine erstrangige, sowohl aufgrund ihrer "unübertrefflich nüchternen und transparenten Schreibweise" (wie sie ihr der Kritiker Óscar Lopes attestiert), als auch aufgrund des Umfangs ihres Werkes: neben Romanen und Erzählungen sind es unzählige Artikel, die in den großen portugiesischen Zeitungen erschienen. Sie wird zudem als die große Erneuerin der Kinderbuchliteratur angesehen, die bis dahin als mindere Gattung angesehen wurde, welche die Kinder nicht ernst nimmt.

Ilse Losa zeichnete sich auch als Übersetzerin aus, kurioserweise in beiden Richtungen: portugiesische Autoren wie Alves Redol und Manuel da Fonseca ins Deutsche und deutschsprachige Autoren wie Frisch, Brecht, Kästner, Anne Seghers und Anne Frank ins Portugiesische. Den deutschen Lesern können wir ihre beiden autobiographischen Romane wärmstens empfehlen. Im ersten, Die Welt in der ich lebte (in der Übersetzung von Maralde Meyer-Minnemann) stellt sie uns ihre Kindheit und Jugend vor bis zur überstürzten Flucht aus Berlin. Im zweiten, Unter fremden Himmeln (1962), von ihr selbst übersetzt, liefert sie ein wenig schmeichelhaftes Bild des salazaristischen Portugals und des "provinziellen Gaffertums" der "Unbesiegten Stadt" Porto am Ende der 40er Jahre. Nicht alle waren von ihrer kritischen Haltung angetan, aber Teresa Balté, die Frau einer anderen herausragenden Figur unter den deutschen Emigranten, des Hamburger Bildhauers und Malers Hein Semke, weist ihr eine "Position als Drehpunkt zwischen den beiden Welten und den beiden Kulturen" zu und fährt dann fort: "Es werden Fenster in die Mauern gebrochen, man schaut in beide Richtungen" (in: Letras & Letras 6, 1. Mai 1988, S.14).

Wer sich näher über diese große Gestalt und ihren Wanderungen zwischen den Welten informieren möchte, dem bietet sich das ausgezeichnete Bändchen von Adriana Nunes an, einer Brasilianerin aus Salvador da Bahia, die in Köln lebt (!), mit dem Titel Ilse Losa. Schriftstellerin zwischen zwei Welten (1999 bei der edition tranvía in Berlin erschienen).





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Portugal-Post Nr. 33 / 2006


Ilse Losa, Porto 1950




Ilse Losa, Zeichnung von Júlio Pomar, 1950




Ilse Losa mit Prof. Rainer Markgraf im Deutschen Konsulat in Porto 1991, anläßlich der Überreichung des Bundesverdienstkreuzes