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Sieben Wochen im Projekt Ntwanano1 in Maputo, Mosambik

Von Nele Herrmann *

Acht Uhr, Montagmorgen. Die Luft ist erfüllt von Geschnatter und Kindergeschrei. Wasserkanister und überdimensionale Brot-, Orangen- und Bananenkörbe werden hoch auf Köpfen balanciert. Ausgestreckte Arme zeigen mit spitzen Zeigefingern auf uns, und verwunderte Kindermünder formen: "Mulungo, mulungo!"2.

- "Cobrador, paragem!" Der henkerische Fahrer bremst scharf, wir bezahlen je 5000 Meticais, etwa 20 Cent, und springen in Polana Caniço aus dem wieder einmal hoffnungslos überfüllten, verschwitzten chapa3. In diesem Armenviertel, 10 Minuten vom Stadtzentrum entfernt, befindet sich der Hauptsitz des 1994 etablierten Projektes Ntwanano der NGO4 Kulima5, wo wir einen weiteren Tag in den inzwischen wohlbekannten Staubstraßen mit den Kindern besonders armer Familien verbringen werden.

Wir sind drei Studentinnen der University of Glasgow in Schottland, die erste Gruppe freiwilliger Helfer, die sieben Wochen in Polana Caniço verbringen, um den Kindern des Projektes unter anderem Englisch beizubringen, AIDS-Diskussionsrunden in kleinerem Rahmen für durchschnittlich 20 Teilnehmer zu organisieren und Kunst- und Nachhilfeunterricht in allen Fächer in Minigruppen von etwa je vier Schülern zu geben. Ntwanano hilft durch ein internationales Patensystem, einer Zahl von insgesamt mehr als 2.000 Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und zwanzig Jahren sowohl eine schulische Grundausbildung zu gewährleisten als auch Krankenhausbesuche und sozialen Beistand zu ermöglichen.

Wir machen unseren üblichen Weg durch das Viertel. Man kennt uns inzwischen, grüßt, lacht und geht wieder den eigenen Dingen nach. Kinder rasen wie wild um jede Ecke, treiben metallene Ringe mit Stöcken vor sich her, schieben selbstgemachte Autokonstruktionen durch den Sand, springen über kaputte Autoreifen und jagen einander in jener kindlich-unbesorgten Art und Weise, die hier sicherlich nur im Kindesalter existiert - und wenn der Magen nicht allzu heftig knurrt. Einige Windungen weiter im Inneren des Blechhauslabyrinths heißt uns der Hauptsitz des Projektes mit seiner kürzlich neu bemalten Wand willkommen. Wir haben die raue Außenseite des Gebäudes mit Hilfe der Kinder mit bunten Bildern verziert.

Drinnen herrscht eine recht düstere Atmosphäre; man ist erst vor wenigen Augenblicken aus den Betten gekrochen, die Sozialarbeiter hocken schweigend vor sich hin, nur in einer Ecke wird leise geredet: ein Kind des Projektes ist am Morgen gestorben, man weiß nicht genau, woran. Man nimmt die Neuigkeit mit still trauriger Gelassenheit. Wieder zeigt sich die Fragilität des Lebens und seine relative Wertlosigkeit in dieser Gesellschaft, in der der Tod viel gegenwärtiger und selbstverständlicher ist, als in unserer westlichen, ersten Welt. Am Nachmittag wird man der verbliebenen Familie kondolieren. Man wird den internationalen Paten, der das Kind unterstützte, unterrichten und hoffentlich Erlaubnis erhalten, einem anderen Kind die finanziellen Mittel zu geben. Als diese Formalitäten geklärt sind, wendet man sich noch kurz einem anderen Problem zu: Der Chef der Kulima ist nicht bereit, weitere finanzielle Mittel bereitzustellen, damit die Arbeiter Ntwananos die Vorräte der Flüssigkeit gegen den Matequenha-Wurm, der den Kindern die Füße zerfrisst, auffüllen können. Sein Argument ist, dass die Vorräte unverantwortlich schnell und unüberlegt verbraucht werden. Es ist offensichtlich, dass dieser Mann lange keinen ernsthaften Blick mehr auf die Lage im Viertel geworfen hat, denn die Matequenha-Situation ist mehr als prekär.

Ein ganz normaler Montagmorgen. Unsere Arbeit in Polana Caniço ist verdammt schwierig. Die Sozialarbeiter werden schlecht bezahlt6 und tun, milde ausgedrückt, verdammt wenig in den acht Stunden, die sie tagein tagaus im Zentrum verbringen. Interessierte Kinder trudeln über den ganzen Tag konstant im Zentrum ein, aber ihnen wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Wir versuchen, unsere Ideen zu vermitteln, Unterrichtsstunden durchzuziehen und den Sozialarbeitern vorzuleben, dass man die Dinge ändern, mehr für die Kinder tun, ihnen mehr beibringen und mehr Zuwendung und Liebe schenken kann. Doch im Endeffekt kann Änderung nicht von außen kommen. Sozusagen durchreisende Erstweltler können schlicht nur einen gedanklichen Anstoß geben und versuchen, die Menschen dazu zu animieren, ihr eigenes Schicksal und das Schicksal ihres Landes aktiv in die Hand zu nehmen. Dennoch ist es eindeutig unendlich wichtig, die Zusammenarbeit zu versuchen, denn allein die Anwesenheit von Menschen aus anderen Sphären bringt Belebung in dröge tägliche Routinen und gibt neue Stimuli.

Montagmorgen, die Woche beginnt. Und noch einmal werden wir versuchen, zumindest einige unserer Ideen in die Tat umzusetzen. Die ersten Kinder haben sich schon in Trauben um die wenigen freien Tische im Raum versammelt und kauern aufmerksam über ihren Schulheften. Mütter schreien draußen nach ihren Sprößlingen, drücken ihren Kindern kleinere Kinder auf den Arm, tragen ihnen auf, Haus und Hof zu fegen, und düsen ab, um Reis fürs Mittagessen zu besorgen. Alles wuselt, und das tägliche Chaos beginnt. Egal, wie groß unser Frust in dem Job werden kann, die Kinder haben verdient, dass man ihnen eine kleine Starthilfe auf dem Weg in eine äußerst ungewisse Zukunft gibt.

Zurück im stürmischen Schottland, beginnt die Aufarbeitung des Projektes und die Zukunft unserer Zusammenarbeit mit Kulima wird in Angriff genommen. Alea iacta est: Es wird weitergehen, und im nächsten Jahr wird eine zweite Gruppe Helfer nach Mosambik geschickt, um den Faden aufzunehmen und unsere gemeinsame Geschichte weiterzuspinnen. Diesmal allerdings werden wir uns ganz und gar auf HIV/AIDS-Aufklärung beschränken und ein spezialisiertes Team von 4 bis 6 Studenten gezielt für ihre Aufgabe vorbereiten. Unsere Kommilitonen werden ein vorstrukturiertes Projekt erarbeiten, das sie dann vor Ort mit Hilfe von Einheimischen, die mit der Materie vertraut sind, in die Tat umsetzen werden. Sie werden in allen sechs Vierteln Kulimas in Maputo tätig sein, so dass alle etwas von unserer Anwesenheit haben.

Dieses Jahr wurde der Kontakt etabliert, in den kommenden Jahren werden wir ihn ausbauen und unser Projekt festigen und detaillieren. Selbstverständlich hätten wir ohne die große Hilfe einiger Institutionen niemals so viel erreichen können, wie wir im Endeffekt erreicht haben: durch die finanzielle Spritze der Portugiesisch-Hanseatischen Gesellschaft war es uns möglich, fehlende Arbeitsmaterialien für die Kinder, Wandmalfarben und Medikamente gegen den weit verbreiteten Fußwurm Matequenha zu erstehen. Muito obrigado - Vielen Dank.


* Nele Herrmann ist Hamburgerin (Abiturjahrgang 1998 der Gelehrtenschule des Johanneums). Sie studiert Hispanistik an der Universität in Glasgow, wo sie als Mosambik-Koordinatorin für die "Student Volunteers Abroad" tätig ist. Der vorliegende Artikel wurde uns bereits im Sommer 2002 eingereicht, konnte aus Platzgründen aber bisher nicht veröffentlicht werden. Wir bitten die Verfasserin um Verständnis und hoffen, dass sie uns über das Projekt Ntwanano auf dem Laufenden hält.

1 Das Wort "ntwanano" bedeutet in Shangan, der verbreiteten Sprache in der Provinz Maputo, "Verständnis".
2 "Weiße, Weiße!"
3 Privater Minibus, das weitest verbreitete öffentliche Verkehrsmittel Mosambiks
4 Non-Governmental Organisation
5 In Bantusprachen, u.a. Shangan, bedeutet das Wort "kulima" "Agrarkultivierung". Die NGO Kulima begann mit reinen Agrarprojekten, um Menschen im mosambikanischen Hinterland zu helfen.
6 Ein normales monatliches Einkommen liegt bei kaum mehr als 1 000 000 Meticais, etwa 40$, was selbst in Mosambik recht wenig ist




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Portugal-Post Nr. 34 / 2006






Wandbemalung des Ntwanano Zentrums




Kinder des Projekts Ntwanano




Nachbarskind im Viertel Polana Caniço




Kinder neben der selbst bemalten Wand des Ntwanano Zentrums