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Die feindlichen Brüder

Von Peter Koj

Wenn die Portugiesen von ihren iberischen Nachbarn reden, nennen sie gelegentlich diese in korrektem Spanisch nuestros hermanos, unsere Brüder. Und in der Tat sind Portugiesen und Spanier in mancherlei Hinsicht Brüder: sie bewohnen dieselbe Halbinsel, sie sprechen sehr ähnliche Sprachen und ihre Geschichte hat viele Berührungspunkte, angefangen von Portugals Schlachten gegen die verschiedenen spanischen Königreiche (Kastilien, Leon etc.) über die 60 Jahre, in denen spanische Könige in Portugal regierten (1580-1640), bis hin zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts und dem Eintritt in die Europäische Union zum selben Zeitpunkt (1.1.1986).

Dieser gemeinsame Eintritt hat allerdings noch nicht zur Bildung eines iberischen Blocks geführt nach der Art der Benelux-Länder oder Skandinaviens. Und ich bezweifle, dass es jemals zu solch einem Bündnis kommen wird. Nach wie vor wiegen die vielen Jahrhunderte schwer, in denen man sich den Rücken zukehrte. Ebenso wie die Erinnerungen an Portugals Gloria wie in dem Sieg über die Kastilier in Aljubarrota (1385), dem wir nicht nur das prachtvollste Kloster Portugals verdanken (Batalha), sondern auch die erste portugiesische Volksheldin, die Bäckerin von Aljubarrota, die mit ihrer Brotschaufel gleich mehreren kastilischen Soldaten den Garaus machte.

Wenn die Portugiesen von nuestros hermanos sprechen, so geschieht dies immer mit einer Prise Ironie und sogar Furcht. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich die Unterschiede zwischen dem mächtigen Spanien und dem kleinen "Garten am Meeresrand" (Camões) vor Augen hält. Es sind in der Tat ungleiche Brüder. So wie ein großer Bruder gibt sich Spanien hochnäsig und wenig interessiert am kleinen Bruder, während dieser sehr empfindlich auf jede Art von Übergriff reagiert. Das beginnt mit den Schnitzern und Ungeschicklichkeiten, die von der portugiesischen Presse sofort begierig aufgegriffen werden. So berichtete die Tageszeitung Público, dass ein spanischer Lastwagen am 9.12.2003 von 13:22 bis 14:08 Uhr die Rua António Maria Cardoso vor dem Teatro São Luís blockierte und vier Straßenbahnen der Linie 28 zum Halten brachte. Die Zeitschrift Visão geißelt den Verkauf eines spanischen Schlüsselanhängers, auf dem Spanien die ganze Halbinsel einnimmt, und eine Annonce aus der spanischen Zeitung El Pais, die mit der Silhouette der Vasco da Gama Brücke für den Erwerb von staatlichen Wertbriefen wirbt.

Und wo wir gerade von dieser renommierten Zeitung sprechen, so wird diese von dem nicht minder renommierten portugiesischen Kulturblatt Jornal das Letras aufs Korn genommen. In einem Artikel mit der Überschrift "Existiert Portugal?" (15.3.1995) ist die tägliche Wetterkarte der Halbinsel wiedergegeben, auf der man Portugal einfach geschwärzt hat, als wäre es "eine geographische Falltür", "ein schwarzes Loch auf dem Planeten, vielleicht ein Höllenschlund, vielleicht ein Land, vielleicht eine Nebelspalte ...". Aber wenn umgekehrt die spanische Zeitschrift ABC in ihrer Beilage vom 21. April 1991Werbung mit einem Satellitenfoto der Halbinsel macht, in der man Portugal nicht herausgeschnitten hat, dann empört sich der Expresso und bezichtigt die Spanier "expansionistischer Tendenzen" (4.5.1991). Wie man's macht, ist es verkehrt ...

Ständig geht die Angst um, vom spanischen Nachbarn vereinnahmt zu werden, vor allem bei solch üblen Ausrutschern wie dem von Microsoft, die in der 2005er Ausgabe ihrer Enzyklopädie Encarta ausgerechnet das Wahrzeichen der militärischen Überlegenheit der Portugiesen über die Spanier, das Kloster von Batalha, als ein "erstaunliches Beispiel für die gotische Architektur Spaniens" ausgab. Der Fehler wurde inzwischen behoben. Aber die Portugiesen erinnern sich noch voll Bitterkeit an den Auftritt der Spanier auf der EXPO '98, nicht nur wegen der positiven Darstellung des Königs Filipe I von Portugal (Philipp II von Spanien), die ahnungslosen Ausländern den Eindruck vermitteln könnte, dass Lissabon immer eine spanische Stadt gewesen sei, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch die Titelseite des spanischen Programms, auf dem unmissverständlich prangte EXPO '98 Lisboa ESPAÑA.

Viele Portugiesen schmerzte es auch zu sehen, dass die Statue ihres Nationaldichters Luís Vaz de Camões während der Bauarbeiten auf dem nach ihm benannten Platz im Gebäude einer spanischen Baufirma an der Avenidade da Liberdade aufgestellt war (das war 2000 und inzwischen steht er wieder auf seinem angestammten Sockel am Chiado). Oder zu sehen wie sich spanische Schweine an den Eicheln der alentejanischen Eichenhaine gütlich tun, um dann später gewinnbringend als echte spanische pata negra verkauft zu werden.

Sehr viel tiefer sitzt der Stachel im portugiesischen Fleisch, wenn die Spanier bei großen historischen Ereignissen sich als sehr viel geschickter darin erweisen, sich diese an ihre Fahnenstange zu heften. So geschehen bei den Entdeckerfeierlichkeiten von 1992, wo die Portugiesen, die wahren Pioniere der Entdeckungen vor Kolumbus, sich mit einem bescheidenen Platz begnügten. So empörte sich Guilherme de Melo: "Wir, die Pioniere, wir, die wir vorzeichneten, wohin die Entdeckung ferner Horizonte zu gehen habe, die wir Schiffe bauten, Routen absteckten ..., wir segeln jetzt im Schlepptau der Spanier, halten uns am Rande (sind Randerscheinungen), und dazu feiern wir sie noch mit Fanfaren und Raketen" (Diário de Notícias, 4.8.1991). Dasselbe geschah dieses Jahr bei den Feiern zum 500jährigen Geburtsjahr von Francisco Xavier. Natürlich ist er in Navarra (in der Nähe von Pamplona) geboren. Aber dieser "Apostel Indiens" hat Asien im Auftrag von D. João III christianisiert. Aber wieder einmal "geriet Portugal aus bürokratischen Gründen, Finanzproblemen und mangelnder politischer Willenskraft in Verzug" (Expresso, 6.3.2004) ... und wurde von den Spaniern abgehängt.

Andere Streitpunkte, weniger historischer Art, aber von größter Bedeutung für das Zusammenleben der iberischen Brüder, sind die Energie- und Wirtschaftsprobleme. Portugal fühlt sich durch die spanischen Atomkraftwerke bedroht, besonders durch das von Almaraz, in der Nähe von Cáceres, keine 100 Kilometer von der portugiesischen Grenze entfernt. Es gehört zu den unsichersten Anlagen Europas mit sechs Mängeln auf einer Liste von dreizehn (Untersuchung von 2003). Anlass zur Sorge bieten auch die Umleitungen der portugiesisch-spanischen Flüsse. Im letzten Jahr gab Spanien grünes Licht für die Abzweigung von 67 bis 77 Millionen Kubikmeter Wasser vom Tajo (Tejo) in den Segura. Die Umleitung dieser Wassermengen, obwohl im Vertrag von Albufeira vereinbart, bedeutet eine starke Belastung für die portugiesischen Gewässer vor allem in Jahren der Trockenheit, wie wir sie gerade in den letzten Jahren immer wieder erleben mussten.

Auch das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beiden Nationen ist erheblich. Während die Spanier gute Geschäfte in Portugal machen (zitiert seien nur das Kaufhaus Corte Inglés in der Nähe des Parque Eduardo VII und die starke spanische Präsenz an der Avenida da Liberdade), gibt es mit Ausnahme des einen oder anderen Melonenexporteurs wenig portugiesische Kaufleute im Nachbarland. Die portugiesischen Zeitungen wissen ansonsten nur von traurigen Fällen von portugiesischen Billiglohnarbeitern und Prostituierten in Spanien zu berichten. Der Spanier Federico González, der einige Jahre für eine multinationale Firma in Lissabon tätig war, hat 2004 ein Buch veröffentlicht, das in portugiesischen Kreisen auf großes Interesse gestoßen ist: Reflexões de um espanhol em Portugal (Ed. Dom Quixote). Er zählt übrigens 3.000 spanische Unternehmen, die in Portugal tätig sind gegenüber nur 300 portugiesischen in Spanien.

Die Unternehmer auf beiden Seiten der raia, der spanisch-portugiesischen Grenze, haben noch nicht begriffen, dass im Konzert der anderen europäischen Länder die iberische Stimme nur dann zu hören sein wird, wenn die beiden Brüder sich zusammentun. Solch eine iberische Vision hat bereits der Nobelpreisträger José Saramago, der mit der Spanierin Pilar verheiratet ist und auf Lanzarote lebt ... zwangsläufig (aber das ist eine andere Geschichte!). In seinem Roman Das steinerne Floß (1986) geht es nicht um eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern um menschliche Solidarität zwischen den beiden Völkern, deren Schicksal auf einmal eng miteinander verknüpft ist, weil sich die Halbinsel an den Pyrenäen wie durch einen Reißverschluss vom restlichen europäischen Kontinent getrennt hat und nun in den Atlantik hinaustreibt ...





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Portugal-Post Nr. 36 / 2006