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Comércio é comércio ... ou não?
Über den Schmuggel an Portugals nördlicher Grenze

Von Heinrich Schmalstieg*

In Deutschland wird jemand als Schmuggler bezeichnet, der am Zoll vorbei Waren in einen anderen Wirtschaftsraum verbringt. In Portugal nannte man lange Zeit diese Leute nicht contrabandistas, Schmuggler, sondern mercantilistas, Geschäftsleute. Geschäft ist Geschäft ... oder nicht?

Wir leben im Norden Portugals, wo in der Vergangenheit nach Aussagen der Bevölkerung 30% direkt vom Schmuggel lebten und weitere 40% indirekt daran beteiligt waren. Schmuggler genießen bis heute in Nordportugal keinen schlechten Ruf. Man kennt sehr viele Anekdoten über Schmuggler und über die grüne Grenze. Noch heute werden diese gern erzählt und man verweist auf einzelne Gehöfte, die früher den Schmugglern als Unterschlupf dienten. Aber als wir von unseren Absichten erzählten, für eine Zeitschrift in Deutschland zu recherchieren, wurden selbst heute noch viele Portugiesen stumm.

In der Zeit des spanischen Bürgerkrieges wurden neben Waffen und Kaffee auch Geflügel und Rinder über den Rio Minho nach Galizien verbracht. Wem der Verlauf des Bürgerkrieges bekannt ist, wird sich nicht wundern, dass nicht nur viele Widerstandskämpfer über diese grüne Grenze ihr Leben retteten, sondern auch verpflegt wurden. Die Nordportugiesen waren nicht eben reich und die Feldarbeit war schwer. Einen Sozialstaat, wie man ihn heute kennt, gab es nicht. Es gab sieben offizielle Grenzübergänge, welche ab 6:00 Uhr morgens bis 22:00 Uhr geöffnet waren. Der Schmuggel war ein einträchtiger Nebenerwerb. Viele kleine Hühnerfarmen entstanden in dieser Zeit und viele Schweinehälften und Würste kamen so nach Galizien.

Noch bis kurz vor der Zeit der Integration Portugals in die Europäische Gemeinschaft sah man auf der N13 (der Nationalstraße in Richtung Valença do Minho) zwischen Cerveira und Valença regelmäßig abends Lastkraftwagen stehen, welche über Nacht ihre Ware (überwiegend Fleisch, Kaffee und Tee) nach Galizien brachten. Im Gegenzuge warteten in Tui und Porrinho Spanier, die Schnaps, Werkzeuge, Maschinenteile und Zigaretten nach Portugal verbrachten. Es gibt viele Geschichten darüber, die besagen, dass die Schmuggler genau wussten, wann die Marinha oder die Guarda fiscal des Nachts bei ihren Kontrollgängen auf Toilette mussten. Es gibt auch viele Gerüchte, dass es nicht zum Schaden der Grenzer war, zu bestimmten Zeiten die Notdurft zu verrichten.

Ich war in dieser Zeit für ein deutsches Unternehmen in Nordportugal tätig. Häufig musste ich die Grenze passieren und zumeist war dies anfänglich - zumal an den Markttagen in Valença - mit langen Warteschlangen vor der Eiffelbrücke zwischen Tui und Valença verbunden. Wie gesagt, nur anfänglich. Dann zeigte man mir die "alten" Wege über Dörfer und Feldwege, wo man direkt als drittes Fahrzeug an der Grenze herauskommt. Was scherte mich damals der kilometerlange Fahrzeugstau vor der Grenze?

Vor dem Beitritt in die EG kauften die Portugiesen viele Lebensmittel in Spanien. Sie waren dort erheblich billiger. Im Dorf wurden Bestelllisten aufgenommen und oft fuhr ich los, um das Notwendige für uns und die Nachbarschaft in Galizien zu besorgen. Die Prozedur war fast immer die gleiche. Nach dem Einkauf war der Kofferraum voll mit Waren und an der Grenze in Galizien wurden wir aufgefordert, den Kofferraum zu öffnen. Dem spanischen Zöllner wurde ein Ausweis der portugiesischen GNR - natürlich mit dem Daumen auf dem Lichtbild - vorgehalten, er nahm sich ein paar wenige Waren und entließ uns mit den lauten Worten, dass alles in Ordnung sei. 200 Meter später wiederholte sich die Prozedur auf portugiesischer Seite. Trotz dieser Art von inoffiziellem Zoll lohnten sich die Einkauffahrten.

Ausländische Unternehmen in Portugal, welche unter anderen ausländische Beschäftigte mit ausländischen Verträgen beschäftigten, unterlagen den Devisenbestimmungen Portugals. In Portugal konnten diese Unternehmen nur auf ein bestimmtes Kontingent von Devisen zurückgreifen. Für die Ausstattung der Mitarbeiter für Reisen in die Heimatländer reichte es zumeist nicht. Es ist mir bekannt, dass einige Mitarbeiter dieser Unternehmen bei den portugiesischen Emigranten einen regen Devisenhandel betrieben. Man bot in den Cafés in kleineren Ortschaften tagesaktuell aus der Zeitung den Mittelkurs zwischen dem offiziellen An- und Verkaufswert von Pfund, Franc, DM und Franken. Der Emigrant freute sich, dass er ein wenig mehr erhalten hatte als bei der Bank und die ausländischen Unternehmen freuten sich über die "stille Reserve".

Persönlich kennen wir als grenznahe Bewohner viele kleine Begebenheiten an der Grenze. Ich erinnere mich, dass ich bei einem meiner ersten Besuche in Portugal zur anstehenden Hochzeit meiner Schwägerin fuhr. Vieles hatte ich von den Emigranten in Hamburg gehört, wie man sich an der Grenze verhalten solle, wenn man den Kofferraum voller Geschenke für die Familie hätte. So erzählte man uns seinerzeit, dass ein Geldschein im Pass bei der Grenzkontrolle "Flügel" bekommen und "Wunder" bei der Zollkontrolle auslösen könne. Wir taten also 50,-- DM in den Pass und wollten die Grenze bei Vilar Formoso passieren. Der Kofferraum und die Hinterbank des Fahrzeuges waren voll. An der Grenze wurden wir von einem alten Zöllner nach den Papieren gefragt. Er liess sich den Kofferraum öffnen und bat mich als Fahrer dann in sein Büro. Voller Mischgefühle folgte ich ihm. Im Büro erklärte er mir, dass er selbst eine Tochter in Frankreich habe und sie auch jedes Mal für die Nachbarn und die Familie etwas mitbringen würde. Wenn ein Kollege von ihm den Geldschein in meinem Pass entdeckt hätte, hätte dieser mich sicherlich wegen Bestechlichkeit angezeigt. Der ältere Zöllner gab mir die Telefon-Nr. von einem Café in seiner Ortschaft und sagte mir, dass ich beim nächsten Mal dort fragen solle, wann er denn Dienst habe. Die 50,-- DM durfte ich behalten und er wünschte uns viel Spass bei der Hochzeit.

Ein anderes Mal wollte ich zu Weihnachten mit einem VW-Transporter nach Deutschland fahren. Wegen des zu erwartenden Schnees in den spanischen Bergen lud ich mir zwei grosse Säcke mit Sand und Steinen für die Stabilität des Fahrzeuges auf die Ladefläche. An der spanischen Grenze angekommen, musste ich feststellen, dass ein mir völlig unbekannter neuer Zöllner in diesen Tagen dort stationiert war. Er fragte, was ich den Säcken hätte und ich antwortete wahrheitsgemäß: "Sand und Steine!" Mit einem kleinen Stöckchen stach er in einen der Säcke, stieß auf etwas Hartes und befahl, dass der Sack zur Inspektion ausgeladen und in das Zollhäuschen verbracht werden sollte. Ich weiß nicht mehr, was der Sack gewogen haben mag, vielleicht 100 bis 150 Kilo. Es hat mich sehr viel Zeit und Kraft gekostet, den Sack in sein Büro zu ziehen. Dort sollte ich ihn auf einer Metallplatte ausschütten. Gesagt, getan. Der Zöllner durchsuchte den Inhalt und fand nichts Außergewöhnliches. Dies machte ihn misstrauisch und er vermutete einen Trick. Ergo ging er mit mir zum Fahrzeug und fragte nach dem Inhalt des zweiten Sackes. Wiederum antwortete ich ihm wahrheitsgemäß: "Sand und Steine!" Wiederum stieß er mit seinem Stöckchen hinein, stieß auf etwas Hartes und befahl auch den zweiten Sack in sein Büro. Meine Stimmung lässt sich an dieser Stelle nur schwer beschreiben; aber Befehl ist Befehl. Also wurde auch der zweite Sack in sein Büro geschleppt. Wiederum musste der Sack ausgeschüttet werden und gerade als mir klar wurde, dass ich den ganzen Dreck irgendwann wieder zusammenpacken musste, läutete plötzlich sein Telefon. Ich konnte noch gerade fragen, ob alles OK sei, als er nickte und sich zum Telefonieren zum Fenster umdrehte. So schnell ich konnte, verließ ich sein Büro und "vergaß" völlig den Inhalt meiner beiden Säcke. Auf der Rückfahrt nach Portugal mit dem gleichen Fahrzeug habe ich dann einen riesigen Umweg gemacht, um ja nicht aus Versehen auf den gleichen Zöllner zu stossen.

Auch heute noch lebt der Schmuggel. Allein die Ware hat sich geändert. Halblegal werden heute Benzin (in Galicien 1,05 Euro; in Portugal 1,37 Euro); Zigaretten (in Galicien ab 1,75 Euro pro Schachtel und in Portugal ab 2,75 Euro für die gleiche Marke); Gas für den Haushalt (in Galicien etwa 12,-- Euro und in Portugal etwa 18,-- Euro) oder Handwerkzeugsmaschinen nach Portugal verschoben und nach wie vor kaufen die Spanier Kaffee und Anziehsachen in Portugal.

Um den Rahmen an dieser Stelle nicht zu sprengen, habe ich mich hier auf die Beschreibung einer Auswahl selbst erlebter Anekdoten beschränkt. Es gibt noch viele, viele andere Anekdoten, die einem hier als grenznahem Bewohner bekannt sind. Vieles, was wir hier erlebten, wird den in Deutschland lebenden portugiesischen Emigranten vertraut und bekannt vorkommen. Sie werden es so oder vielleicht in abgewandelter Form ebenfalls kennen gelernt haben.


* PHG-Mitglied Heiner Schmalstieg und seine Frau Conceição sind die ehemaligen Betreiber des Cafés Ribatejo (damals noch Cantinho de Silves) in der Bahrenfelder Straße. Seit ein paar Jahren haben sie sich in D. Conceiçãos Heimat Valença (Minho) niedergelassen (nachzulesen in Portugal-Post 35, S. 34)




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Portugal-Post Nr. 36 / 2006


Schmuggler in der Serra do Gerês
(Foto aus den 50er Jahren von
Domingos Dias Martins)