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Wohin damit?
Abfallbeseitigung in Portugal

Von Henrietta Bilawer *

Im Schlaraffenland flogen den Bewohnern die gebratenen Tauben in den Mund. Im Paradies naschten Adam und Eva dies und das. Was mit den abgenagten Knochen und dem Apfelkitsch geschah, ist nicht überliefert. Die Pforten zu idealen Welten sind verschlossen, wir müssen unseren Müll selbst wegräumen. Vor allem den, von dem frühere Generationen nicht einmal träumten: Papier, Glas, Kunststoffe, Industriemüll, toxischer Schrott aus Autos, Fotolabors oder Büromaschinen, Krankenhausabfälle - die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Parallel zum wachsenden Wohlstand nimmt auch dessen Ausschuss zu. Laut Statistik produziert eine portugiesische Durchschnittsfamilie per anno 1.200 Kilo Müll. Der Kreis Lagoa ist der größte Abfallproduzent in der Algarve mit 14,3 Millionen Tonnen jährlich. Der Transport jeder Tonne zur Halde des Westalgarve kostet den Steuerzahler etwa 60 Euro. In den vergangenen Jahren wuchs der Müllberg selbst im Winter - das lässt Böses erahnen für die Werte des Sommers. Wenn Urlaubsorte wie Carvoeiro oder Armação de Pêra zwischen März und August Heerscharen von Touristen beherbergen, verdreifacht sich der Abfallberg der Stadt wie auch in anderen Algarveorten. Abfallcontainer laufen über, Unrat landet an Straßenrändern, auf Wald und Feld.

Auch die Müllverwerter stoßen zeitweise an die Grenzen ihrer Kapazität: Absicht oder "Unfall", wie Verantwortliche stets beteuern - das Ergebnis stinkt zum Himmel. Besonders betroffen von übelriechendem Schmutz waren in diesem Sommer die Strände von Manta Rota und Altura im Ostalgarve, Carvoeiro, die Strände von Burgau, Praia do Vau und Praia dos Pescadores in Albufeira. Im Naturschutzgebiet Ria Formosa tauchten tote Fische auf, dem Campingplatz auf der Ilha de Faro drohte die Schließung.

Doch nicht nur im Sommer verselbstständigt sich das Abfallproblem. Im vergangenen Herbst beschwerten sich die Anwohner von Porto de Lagos zwischen Portimão und der zentralen Müllkippe: Besonders nachts werde der Gestank unerträglich, beschrieb Anwohner Pedro Guerreiro das zwei Monate andauernde Szenario. "Und morgens klebten draußen auf allem schwarze Partikel. Es brannte in den Augen und im Hals." Der Rat der Stadt Portimão ordnete die Reinigung der Häuser an und verlangte Aufklärung vom Müllkippen-Betreiber Algar. Mehr als das Wort "Panne" und die Beteuerung, in zwei Jahren werde man "alles im Griff" haben, kam dabei nicht heraus.

Die Umweltschutzorganisation Quercus verglich die eingesammelte Müllmenge mit dem, was auf den Recyclinghöfen der portugiesischen Gesellschaft Grüner Punkt, der Sociedade Ponto Verde (SPV), abgeliefert wurde, und entdeckte, dass Glas, Papier und Kunststoffverpackungen, von 400.000 Bürgern in 22 Bezirken per Mülltrennung entsorgt, nicht zur Wiederaufbereitung geschickt wurden, sondern auf der Kippe landeten. Die SPV bestätigt den Trend zum Ex und Hopp: Zwischen Januar und Juli sank etwa die Menge zum Recycling abgelieferter Metallverpackungen aus Industriebetrieben im Vergleich zu 2002 auf ein Hundertstel. Das Quantum abgegebener Verpackungen aus Einkaufszentren erhöhte sich hingegen leicht. Die Quercus erinnert an eine EU-Direktive, die den Mitgliedsländern für 2005 ein Recycling-Level von einem Viertel aller Verpackungen vorschreibt. In der Tat wurden 2002 in Portugal nur 14 Prozent erreicht.

Die Grüne-Punkt-Gesellschaft SPV recycelt jährlich 116.000 Tonnen Altmaterial. Zwei von drei Portugiesen interessieren sich nicht für die Mülltrennung, obwohl es im Lande anderthalb mal so viele ecopontos genannte Müllcontainer-Gruppen gibt wie Multibanco-Automaten. Umweltbewusst sind vor allem Frauen im Alter von 25 bis 64 Jahren, die in Städten leben und über einen gehobenen sozialen Status verfügen. Portugal präsentiert EU-weit eine der schlechtesten Recycling-Bilanzen.

Bisher existiert der Umweltschutz im Abfallbereich eher als Phänomen, immer dann, wenn eine Gemeinde mal wieder mobil macht. "Innovativ und einmalig im Lande" hieß es bei der Vorstellung der Ilhas Ecológicas - ökologischer Inseln, in Portimão die poetische Bezeichnung für Metallsäulen auf unterirdischen Sammelgruben, in denen seit Juni der Müll gleich in der Stadt unter der Erde verschwindet. Die farblich je nach Bestimmung für Glas, Papier, Verpackungen oder organischen Müll gekennzeichneten Säulen, die 112 ecopontos im gesamten Bezirk ersetzen sollen, begrüßen jeden Altgut-Lieferanten mit einem elektronischen Dankeswort für die Teilnahme an der Aktion Saubere Stadt. Für die Zukunft plant das Unternehmen ein Chip-System: Nur mit der entsprechenden Karte soll sich dann der städtische Mülleimer dem Verbraucher öffnen und dabei registrieren, wer wie viel Unrat versenkt. Dann soll die Müllentsorgung nach dem Verursacherprinzip berechnet werden.

Mitte Oktober wurden in Sintra bei Lissabon die Straßengräben rund um den Ort von 4.000 Kubikmetern Sperrmüll und Bauschutt befreit. Tage später durften Passanten allerdings die Freude einiger Zeitgenossen erleben, die nun wieder viel Platz für ihren Schrott vorfanden. Bei einer ähnlichen Aktion in Almancil im vergangenen März rief die zuständige Stadtverwaltung von Loulé nicht nur die Bürger zur ordnungsgemäßen Entfernung sperriger Abfälle auf. Die Unternehmervereinigung der Region wurde gebeten, für die Sperrmüllsammlung Lastwagen zur Verfügung zu stellen, Personal zu rekrutieren und mit Geld und Lebensmittelspenden deren Arbeit zu honorieren. Der Stadt selbst fehlten zur guten Absicht alle Mittel. Unterwasserarchäologen der Universität des Algarve trafen sich am 18. Oktober in Sagres, um Müll vom Meeresboden zu fischen und gegen die private Schrott-Verklappung zu protestieren.

Manchmal wird eben tief gegraben, um Aufschluss über das Verhältnis des Menschen zu seinen unsauberen Hinterlassenschaften zu bekommen. Bei Ausgrabungen in römischen Häusern entdeckten Altertumsforscher rund um die antiken Kochstellen Erstaunliches. Abfälle wurden oft einfach auf dem gestampften Lehmboden festgetreten. In einem solchen Boden fanden Archäologen fast 14.000 Knochen, Gräten, Schuppen und Schalen von Säugetieren, Fischen, Vögeln, Eiern und Schnecken, berichtet der Historiker Günther Thüry in seiner Studie zu Abfallprodukten der Antike, Müll und Marmorsäulen. Damit der Dreck nicht so auffiel, waren in den Speisesälen der Herrenhäuser kunstvolle Bildchen von kahl gefressenen Weintraubenstielen, abgenagten Knochen und ausgelutschten Muschelschalen ein beliebtes Motiv für die Mosaikfußböden.

Lange galten die Römer wegen ihrer Thermen und der Erfindung der Cloaca maxima als Pioniere der Reinlichkeit. Beliebt und keinesfalls verboten war im alten Rom aber auch, den Müll einfach aus dem Fenster zu werfen. Überliefert ist, dass nach einem Stadtrundgang Dreck und Unrat am Gewand des Kaisers Caligula klebten, weil Stadtverwalter Vespasian wieder einmal nicht für die Straßensäuberung gesorgt hatte. Der Imperator befahl seinen Soldaten, eimerweise Müll von der Straße zu schöpfen und Vespasian über die Toga zu schütten. Die Anwohner des Lissabonner Stadtteils Alcântara unterhalb der Brücke 25 de Abril kennen das Gefühl seit über dreißig Jahren.

Zunächst befürchteten die Menschen, die Lärmbelastung sei die schlimmste Begleiterscheinung des Viaduktes über den Tejo. Doch sie lernten, mit vom Himmel fallenden Coladosen, Essensresten, Flaschen, Plastiktüten, Nägeln und Altpapier zu leben. Einige der vier Millionen Autofahrer, die täglich die Brücke befahren, beseitigen Unrat aus ihrem Gefährt zweifelsfrei durchs Autofenster. Selbst in modernen Zeiten scheint das Waten durch Abfall eben nicht ausgeschlossen. In Torres Vedras nördlich von Lissabon wurden die Bürger gebeten, ihren Abfall im Haus zu halten, da die Müllkippe von den Behörden vorübergehend geschlossen wurde - Misswirtschaft hatte die Halde zur Gesundheitsgefahr für das Umland werden lassen. In vierzehn Gemeinden schimmelten die Sekundärrohstoffe tagelang daheim vor sich hin.


* Redakteurin der deutschen Zeitschrift "Entdecken Sie Algarve"
Tel. 00351 282 341 059
Fax 00351 282 341 022
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eMail der Redakteurin: henrietta@editurismo.com

Der Artikel stammt aus der ESA-Ausgabe vom November 2003.






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Portugal-Post Nr. 37 / 2007


"Ökologische Inseln" werden in Portugal die Tonnen zur Mülltrennung genannt





























































































































Entdecken Sie Algarve 11/2003