Di-di-di da-da-da di-di-dit
oder Comunicaçores
Von Reiner Drees
Nein, hier folgt kein Beitrag für den jüngsten Nachwuchs der PHG-Mitglieder und es ist auch
keine Neuauflage eines Musiktitels der früheren Gruppe Trio um Stefan Remmler (Da-da-da).
Im Gegenteil: Nur die Älteren unter den Leserinnen und Lesern können vielleicht etwas mehr
damit anfangen. Doch davon später.
Vielleicht sollte ich diesen Artikel überschreiben mit Comunicaçores? Ob ich meine
Wortschöpfung schützen lassen sollte, weiß ich nicht, aber ich finde, sie kennzeichnet
am besten die Rolle, die die Azoren durch die Jahrhunderte hindurch für Kommunikation und Verkehr
gespielt haben und z.T. immer noch spielen. In Anbetracht der vorherrschenden Winde und der
zeitgenössischen Navigationstechnik bildeten die Azoren im Zeitalter der Entdeckungen einen
ausgezeichneten Stützpunkt. Man konnte Frischwasser und Brennholz, später wohl auch
Proviant aufnehmen, aber auch Informationen austauschen. Die Azoren blieben bis in die
Dampfschiffära Bunkerstation für den Seeverkehr (alles, was nicht Ladung darstellt,
sondern für Antrieb oder als Proviant geladen wird, wird gebunkert). Und nicht vergessen
werden darf, dass inzwischen jährlich rund 5.000 Segler auf ihrem Weg über den Atlantik den
Hafen von Horta auf Faial anlaufen und wie ihre Vorgänger aus den frühen Zeiten der Seefahrt
Frischwasser und Proviant - inzwischen auch Diesel - aufnehmen und Nachrichten und Erfahrungen austauschen.
Um die vorletzte Jahrhundertwende stieg Faial zum Zentrum der telegrafischen Kommunikation zwischen
Europa und Amerika auf, nachdem das erste Unterwasserkabel vom portugiesischen Festland bis nach Horta
verlegt wurde; 1893 startete der Betrieb. 1900 folgte das damals modernste Kabel, das von der deutschen
Nordseeinsel Borkum bis nach Horta reichte und 500 Wörter pro Minute übertragen konnte.
Im gleichen Jahr wurde ein Kabel nach Nova Scotia in Kanada verlegt. Wegen des sprunghaft ansteigenden
Telegrafenverkehrs war Horta mit 15 Kabelsträngen in alle Welt das internationale Zentrum des
Nachrichtenaustausches. Nach dem Zweiten Weltkrieg sank die Bedeutung, weil die Telegrafie durch
Funktechnik und Luftpost, später auch Telefonie und heutzutage durch elektronische Mail
abgelöst wurde.
Kurz nach der Telegrafie kam der Luftverkehr. 1919 landete das erste Wasserflugzeug im Hafen von Horta
- die meisten späteren Transatlantikflüge bis zum Zweiten Weltkrieg gingen über Faial.
Erst 1938 gab es den ersten Direktflug Berlin - New York, was das Ende der Wasserflugzeugära
einläutete. Aber die Zukunft steht schon wieder vor der Tür der Azoren:
Die Europäische Raumfahrt-Agentur ESA plant auf Santa Maria den Bau einer Kontrollstation
für die Überwachung eigener Weltraumraketen sowie zur Sammlung der Telemetriedaten des
europäischen Navigationssystems Galileo. Bis Ende 2008 sollen 4 Satelliten im Orbit
verankert sein (Testphase). Ohne die Azoren und ihre Bedeutung für die moderne Kommunikation
stünden wir heute nicht an diesem Punkt. Comunicaçores, eben!
Jetzt komme ich endlich auch zur Erläuterung der Überschrift: Der amerikanische Erfinder
Samuel Morse entwickelte ab 1837 den ersten brauchbaren elektromagnetischen Schreibtelegrafen.
Später entwickelte er eine einfache Strich-Punkt-Schrift, das Morse-Alphabet, mit der die
Zeichen auf ein Papierband geschrieben werden konnten. Akustisch wurden die Zeichen durch kurze
(Punkt) oder lange (Strich) Impulse übermittelt. Bei den Funkern setzte sich schnell das
phonetische Pendant durch: di für kurz und da für lang.
Makaber genug, dauerte es etliche Jahre, bis sich innerhalb der Schifffahrt ein einheitliches
Notsignal durchsetzte. Grund war die Konkurrenz zweier führender Telegrafie-Unternehmen,
der britischen Marconi-Gesellschaft und der deutschen Telefunken. Als sich die Delegierten aus
27 Staaten vor genau hundert Jahren, am 3. Oktober 1906, zur Internationalen Funkkonferenz in
Berlin trafen, haben sie mit der Etablierung der Tonfolge "··· - - - ···" als internationales
Notrufsignal eine Legende geschaffen. Seither ist das SOS-Morsesignal zum Inbegriff des Notrufs
an sich geworden. Dass sich die deutsche Delegation mit ihrem Vorschlag in Berlin durchsetzte,
war vor allem auf die Einprägsamkeit dieses Signals zurückzuführen. Auch bei
schlechten Funkbedingungen und mit technisch minderwertiger Ausrüstung ließ sich das
prägnante di-di-di-da-da-da-di-di-dit gut aus dem Rauschen im Äther herausfiltern.
Zudem kommt diese Tonfolge in normalem Text selten vor. Die Buchstaben SOS stehen also nicht
für Wortanfänge; eine Bedeutung Save-our-Souls wurde nachträglich
hineininterpretiert.
Nach der Einführung des Sprechfunks mit dem Notruf Mayday (abgeleitet vom
französischen m'aidez) verlor das Morsen und damit auch das SOS-Signal für
Luft- und Schifffahrt zunehmend an Bedeutung. Auf See aber ist es erst seit 1999 offiziell
außer Dienst. Seitdem müssen alle Schiffe mit bezahlter Crew mit dem digitalen
Funksystem GMDSS (Global Maritime Distress and Safety System) ausgerüstet sein.
Warum das alles so ausführlich und was hat das mit den Azoren zu tun? Es war bei den Azoren,
als am 10. Juni 1909 das Passagierschiff Slavonia als erstes Schiff einen SOS-Ruf
absetzte. Die Historie besagt, dass die Gäste der ersten Klasse den Kapitän
bedrängt hatten, nahe an den Azoren vorbeizufahren, damit sie etwas von den Inseln sehen
konnten. Der Kapitän kam dem Wunsch der Passagiere nach, übersah bei dichtem Nebel
die Insel Flores und rammte sie in voller Fahrt. Der Funker sendete SOS. Zwei Schiffe,
die den Notruf empfangen hatten, kamen zu Hilfe. Die Passagiere konnten gerettet werden.
Das Schiff selbst sank ein paar Tage später im Meer.
Mein Azoren-Reiseführer erwähnte noch weitere Seenotfälle. Einer davon, der
Schiffbruch des Tankers Papadiamandes am 22.12.1965 vor der Küste von Flores,
zwei Tage vor Weihnachten also, hat bei mir ganz persönliche Erinnerungen wieder wachgerufen:
Mein Vater war damals Kapitän des Schiffes, das dem Havaristen, der SOS gesendet hatte,
zu Hilfe eilte und mit seiner Crew in einer spektakulären Aktion die Besatzung des in schwerer
Brandung gestrandeten Schiffes barg. Und eine der vorerst letzten Strandungen, die noch nicht im
Reiseführer steht, war die der knapp 16.000 tons großen CP Valour, die am
09.12.05 bei Faial aufgelaufen war und nach vergeblichen Rettungsversuchen erst Ende September
2006 von vier Schleppern ins offene Meer gezogen werden konnte, wo sie wegen der zahlreichen
Lecks sank. Wegen ihrer gefährlichen Ladung, u.a. 300 tons hochgiftige Chemikalien, hatte
Flores kurz vor einer Umweltkatastrophe gestanden.
Dass die Azoren in jüngster Zeit womöglich auch als "Umschlagplatz" für CIA-Gefangene
genutzt wurden (Portugal-Post 37), wäre allerdings trauriger Anlass genug, erneut einen
Notruf abzusetzen.
Ausschnitt aus der Hamburger Morgenpost vom 27.12.1965 (natürlich müsste es Santa Cruz das Flores heißen,
wohin die Schiffbrüchigen gebracht wurden)
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Portugal-Post Nr. 38 / 2007
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