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"Alle Löffel sind schon da..."
Na cozinha dos artistas - in the artist's kitchen - in der Küche der Künstler.

Von Renate Petriconi *

Kochbücher haben Konjunktur! Die Regale sind gefüllt mit bodenständigen in- und ausländischen Rezepten bis hin zu Kreationen von Meisterköchen, die sich in der Zubereitung mit den ausgefallensten Kredenzien überbieten, angerichtet zu kleinen Ess-Skulpturen, den Betrachter vor Erfurcht erschauern lassend.

Ende März 2007 stellte das Kultur-Zentrum (Centro Cultural São Lourenço) in Almancil an Portugals herrlicher Algarve-Küste ein "Kochbuch" ganz besonderer Art vor.

Das Kultur-Zentrum ist dem kunstinteressierten Portugalreisenden nicht zuletzt aus den einschlägigen Reiseführern wie Baedecker oder Michelin bekannt. Gegründet 1981 feiert es im vorigen Jahr sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Das französisch-deutsche Ehepaar Marie und Volker Huber erwarben unterhalb der mit Fliesen ausgekleideten kleinen Kirche São Lourenço - ein Juwel der Region - drei alte Gebäude. Mit großem Einfühlungsvermögen, sowohl für die vorhandene Topographie als auch für die Bausubstanz, wurden die Häuser durchgehend vereinigt und einem Galeriebetrieb für moderne Kunst nutzbar gemacht. Ein stimmungsvoller Skulpturengarten mit stets bewußt ländlich gehaltener Flora schließt sich an. Die Anlage mit ihren wechselnden Ausstellungsobjekten, geschickt platzierten portugiesischen Artefakten und Ruhenischen strahlt eine organische Einheit und unvergessliche Atmosphäre aus. Vorrangiges Ziel der Galerie war die Förderung nationaler junger Künstler. 1989 wurde mit den Werken von Antoni Tàpies die erste Ausstellung des spanischen Künstlers in Portugal organisiert. A.R. Pencks Werke und Skulpturen des ungarischen Bildhauers Pierre Szákály folgten 1994, und auch Volker Stelzmann zeigte seine Gemälde und Graphiken 2002. Über die Jahre 2000-2006 waren in einer Wanderausstellung durch Portugal die Vacas Loucas (Verrückten Kühe) de São Lourenço zu sehen. Verbindungen wechselten, heute werden vierzig nationale und internationale Künstler von der Galerie betreut.

Die Eröffnung eines solchen Betriebes war damals ein großes Abenteuer, und nur mit der Begeisterung für die Kunst zu verstehen. Die Fähigkeit, junge Talente zu tolerieren und gleichzeitig kritisch zu führen, hat an diesem Ort tiefe Spuren hinterlassen. Heute gehören die monatlichen Kammerkonzerte mit großzügiger Bewirtung zu etablierten Veranstaltungen im Algarve.

Zu den illustren Besuchern der Galerie zählten neben Schauspielern und Entertainern wie unter anderen Udo Jürgens und Dieter-Thomas Heck auch der Schriftsteller und Übersetzer Curt Meyer-Clason. Neben anderen Politikern gehörte der ehemalige portugiesische Präsident Mário Soares als leidenschaftlicher Sammler moderner Kunst zu den Stammgästen.

Der Versuch mit der Kunst vertraut zu werden beginnt bereits mit dem Kunsterziehungsunterricht in der Schule. Für einen Großteil bleibt dieses Thema damit zeitlebens abgeschlossen. Frau Hubers Anliegen war es, über das Medium "Kochbuch" einer breiteren Gesellschaft auch auf diese Weise einen Weg in die Kunst zu öffnen, Berührungsängste abzubauen.

Alle von der Galerie vertretenen portugiesischen und internationalen Künstler haben ihren Beitrag geleistet. Es ist ein loser Zusammenschluss von Arbeiten ganz unterschiedlicher Künstler, jeweils ein Psychogramm. Alle beteiligten Maler und Bildhauer gestalteten zum vorgegebenen Thema ein abgebildetes Kunstwerk und ergänzten es mit einem kulinarischen oder literarischen Rezept.

Wie zufällig gesammelte Arbeiten unterschiedlichster Charaktere ist das Kochbuch gehalten durch eine Spiralbindung, sich voneinander trennend, locker vereinigt, doch nicht durch feste Rückenbindung gefesselt.

Der Reigen beginnt mit einer Huhn à la Di Maggio-Kreation von David de Almeida. Der zu Späßen neigende Josá Alves bemüht für seine Steinsuppe die Legende des Bettelmönches. Die intermedial arbeitende Künstlerin Ana Andrá präsentiert zu ihrem Küchen-Stillleben eine Rebhuhnsuppe mit Kichererbsen und die Installationskünstlerin Cristina Ataíde belässt es bei einem Färberezept für Textilien. Landestypische Stockfisch-Rezepte gepaart mit abstrakter Malerei findet man bei Carlos Barão, Gervásio, Nuno Santiago sowie Bartolomeu dos Santos.

Der Belgier Jean-Marie Boomputte steuert neben einer humorvollen Tafelrunde in Öl ein Genter Fischrezept bei. Zu Saskia Bremers Uhr mit dem Namen 'Dinnertime' lädt eine deftige holländische Räucherwurst mit Grünkohl ein. Pedro Calapez, Maler von Zeugnissen einer verlorenen Wirklichkeit, füllt eine Gemüsemischung aus Pilzen, Zucchini und Lauch zu teigumschlossenen Pastetchen. Traditionell wird es bei dem mit Eisen und Schrott arbeitenden Philippe Claisse. Der bedeutendste zeitgenössische portugiesische Bildhauer João Cutileiro steuerte einen weiblichen Rückentorso von 1992 bei und hält ein vieldeutiges Rezept mit Schweineschwänzen in appetitanregender Koriandersauce für passend.

Ausschnitte aus Karsten Fuges Löffelbild 'Alle Löffel sind schon da...', einer Darstellung skurril-mystischer Wesen in Auseinandersetzung mit den Vertretern des Wiener phantastischen Realismus, eignete sich im Besonderen zur Gestaltung des Bucheinbandes. Günter Grass, über Jahre Freund des Hauses, Freizeitkoch, liefert in 'Ja doch, ich koche gerne...' mit nur wenigen, sprachlich ausgefeilten Sätzen eine Kostprobe seiner literarischen Kunst. '..Ich bitte längst tote Freunde, die mir seit Jahren fehlen, zu Tisch ...' ist eine ganz wundervolle posthume Hommage an seinen verstorbenen Freund, den Galeriebesitzer Volker Huber. Ähnliches las man jüngst bei 'Mit Gästen zu Tisch'. Josá de Guimarães erweist sich mit einem marinierten Rebhuhn als Feinschmecker, Ingo Kühl abenteuert hemingway-gleich auf der Hochsee, Helge Leiberg kreiert sein Menü 'Springinsfeld', der Maler Juan Martinez bemüht in Prosa Erasmus, Kafka, Nietzsche und Hannah Arendt. Der Bildhauer Shintaro Nakaoka, der 1997 erstmals nach Portugal kam, stellt seiner Figurengruppe 'Paz' sein Gericht 'Engel in der Kasserole' bei, das bevorzugt aus einem gemeinsamen Tontopf in der Tischmitte gegessen werden sollte. Igor Oleinikov bringt eine mit seinen und Volker Hubers Lieblingszutaten zusammengestellte Rote Beete-Ingwer-Suppe. Manolo Paz reicht vor seiner Skulptur 'Sobremesa' (Nachtisch) landestypische Sardinen, hier verfeinert in gefüllter Form. Pedro Cabrita Reis setzt sich für den unübertroffenen, sublimen Genuss einer 'Scheibe Brot mit Butter' ein und Alfredo Garcia Revuelta liefert trotz seiner mit Video-Film animierten Wüstenlandschaft 'Freir Huevos al Sol' eine marinierte Seebrasse, deren Zubereitung dann gleich seinen humorvollen Trickfilmen in vier Bildern erläutert wird. Georg Scheele stellt seinem kunstvollen Marmorzopf nur eine Heimwerkeranleitung bei, hingegen Volker Schnüttgen zu 3 Knoblauchzehen bei gratinierten Champignons rät. Der Russe Soren macht den Leser mit einem schwer nachzukochenden Oktopusrezept vertraut, und Glyn Uzzell präsentiert neben seinem impressionistisch beeinflussten Gemälde 'Hoje há Festa' eine kalorienreiche, auf der Zunge zergehende Mandel-Himbeer-Charlotte. Unter anderen beenden João Vieira und Edna Whyte den Reigen mit Wildrezepten.

Das Stöbern in der Küche der Künstler hat, wie es Marie Huber im Vorwort beruft, mehr als nur Spaß bereitet. Einerseits ist es ist ein Kochbuch, aber andererseits eine bibliophile Kostbarkeit, der eine überregionale Verbreitung zu wünschen bleibt.


* PHG-Mitglied Renate Petriconi lebt in Praia da Luz und hat unsere Leser bereits mit einer Reihe interessanter Beiträge vor allem aus dem kunsthistorischen Bereich verwöhnt. In der Portugal-Post 41, in der es um Kulturaktivitäten Deutscher in Portugal gehen soll, wird Renate Petriconi uns das Kulturzentrum in Almancil vorstellen.






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Portugal-Post Nr. 39 / 2007


na cozinha dos artistas - in the artist's kitchen - in der Küche der Künstler

Centro Cultural São Lourenço: na cozinha dos artistas - in the artist's kitchen - in der Küche der Künstler; 184 Seiten, durchgehend farbig, Spiralbindung, dreisprachig: portugiesisch, englisch, deutsch; ISBN 978-989-95328-0-9, EUR 40,- (zuzüglich Porto von: Centro Cultural São Lourenço, Apt. 3079, P-8136-901 Almancil, Tel: +351 289 395 475, Fax: +351 289 393 281, ccsl@iol.pt)