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LISSABONS METRO
Portugals größtes und schönstes Museum

Von Peter Koj

siehe auch: Dia-Show "Metro-Stationen in Lissabon"
http://www.metrolisboa.pt

Waren Sie schon in Portugals größtem, schönstem und ... billigstem Museum? Es genügt, sich eine Metro-Fahrkarte zu kaufen (kostet im Augenblick 280 Escudos!) und schon kann das Vergnügen losgehen. Angenommen Sie wohnen in der Cidade Nova, dann beginnen Sie Ihren "Museums"-Besuch am besten in der Metro-Station Alameda. Dies war eine der 11 ursprünglichen U-Bahnhöfe, die vor knapp 40 Jahren (Dezember 1959) eingeweiht wurden. Sie waren nach den Plänen des Architekten Keil do Amaral einheitlich gebaut und von seiner Frau, der Azulejokünstlerin Maria Keil diskret gefliest („Kunst am Bau“). Maria Keil stammt übrigens aus einer süddeutschen Familie, die schon anfangs des 19. Jahrhundert nach Portugal auswanderte (ein anderer berühmter Nachkomme ist Alfredo Keil, der Komponist der portugiesischen Nationalhymne, der 1907 in Hamburg verstarb).

Heute werden sie die Station Alameda kaum wiedererkennen. Nur an den Eingangstreppen hat man die ursprünglichen Fliesen belassen; doch wenn Sie ein paar Schritte weiter gehen, empfängt Sie eine neue Welt, besser gesagt: verschiedene neue Welten. Zuerst fühlen Sie sich in einen Wald versetzt dank der bronzenen Bäume von Alberto Carneiro, Portugals wichtigstem Vertreter der land art. Dann begegnen Sie Portugals Entdeckern (Vasco da Gama, Bartolomeu Dias) in der ganz besonderen Sicht von Costa Pinheiro. Und schließlich landen Sie vor zwei schön bemalten Marmorplatten von Noronha da Costa.

Auf den Gedanken, eine U-Bahnstation nicht nur künstlerisch auszuschmücken, sondern selbst zu einem Kunstgegenstand zu machen, brachte der bekannte Lissabonner Maler und Azulejo-Künstler Manuel Cargaleiro die Stadtverwaltung Mitte der 80er Jahre, als die neue Station Cidade Universitária gebaut werden sollte. Er hatte die kühne Idee, eine Gouache der in Frankreich lebenden Malerin Vieira da Silva (Le Métro) direkt in die Realität umzusetzen. Der Bahnhof wurde 1988 eröffnet, und alle Welt war so verblüfft und begeistert, daß die neuen Stationen, welche die NW-Linie (sie heißt jetzt Linha da Gaivota) erweitern sollten, nach dem gleichen Prinzip gestaltet wurden.

Dabei hielten sich die Künstler an die thematischen Vorgaben, welche die jeweilige Station ihnen bot. So wandeln die U-Bahnbenutzer des Bahnhofs Laranjeiras an den leuchtend orangenen Apfelsinen von Sá Nogueira vorbei, in Alto dos Moinhos begrüßen sie Júlio Pomars ländliche blau-weißen Azulejobilder, die sich an Camões, Bocage, Pessoa und Almada inspirieren und wenn sie im Bahnhof Jardim Zoológico aus der U-Bahn steigen, werden sie von Júlio Resendes wundersamer Tierschar empfangen. Bei der Gestaltung der Station Rato standen Motive des Künstlerpaares Vieira da Silva/Arpad Szènes Pate, die ganz in der Nähe, in der alten pombalinischen Seidenfabrik an der Praça das Amoreiras ein sehr schönes Museum gefunden haben, während Bartolomeu Cid dos Santos (Metro Entrecampos) sich durch die in unmittelbarer Nähe liegende Staatsbibliothek zu literarischen Themen inspirieren ließ.

Der absolute Höhepunkt dieser neuen Konzeption stellt jedoch die Linha do Oriente dar, die eigens zur Eröffnung der Expo ‘98 in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft oder besser: gegraben wurde. Zu der internationalen Hochachtung vor der technischen Meisterleistung dieses Unternehmens, welches das Vorurteil über die sogenannten obras de Santa Engrácia, d.h. die nie fertig werdenden Bauten ein für alle Mal widerlegt, gesellt sich die Begeisterung darüber, daß man etwas so Alltägliches und Banales wie es ein öffentliches Verkehrsmittel darstellt, zu einem künstlerischen "Genußartikel" umfunktioniert, der unser Bewußtsein erweitert und dieses Leben ein wenig bunter, abwechslungsreicher und damit lebenswerter macht.

Das gilt besonders für die Metro-Station Olaias. Wenn Sie hier einfahren, reiben Sie sich erst einmal die Augen, weil Sie sich in eine andere Welt versetzt fühlen. "Schuld" daran ist der Architekt Tomás Taveira, der mit seinen postmodernen Gebäuden das Stadtbild Lissabons nachhaltig geprägt hat (man spricht inzwischen sogar von taveirismo als neuem Stilbegriff). In Olaias vergessen Sie völlig, in einer U-Bahnstation zu sein. In einem überdimensionalen Raum wandeln Sie durch einen Wald von gigantischen postmodernen Säulen. Eine rostig wirkende Stahlkonstruktion von Rui Sanches fügt sich zwar reizvoll ein; man weiß aber nicht so recht wozu sie dient. Noch mehr gilt das für die Treppen von Pedro Cabrita Reis, die ins Nichts zu führen scheinen. Völlig abgefahren auch die Azulejos von Graça Pereira Coutinho, die menschliche Handabdrücke im Sand darstellen.

Interessant und reizvoll sind auch die anderen U-Bahnhöfe auf dieser Linie Bela Vista, Chelas, Olivais Sul, Cabo Ruivo und vor allem die Endstation Oriente, die einmal Teil eines Mega-Bahnhofs sein wird, der Sta Apolónia ersetzt und auch die Anbindung an die neue über die Ponte do 25 de Abril führende Eisenbahnlinie gestattet. Was der Besucher dieses wunderbaren Museums allerdings vermißt, ist ein kleiner Katalog oder Führer. Bis zu seinem Erscheinen hoffen wir, Ihnen mit diesem kurzen Beitrag zumindest eine kleine Einführung gegeben zu haben.





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Portugal-Post Nr. 7 / 1999


Foto: Walter Voigt




Foto: Walter Voigt




Chelas
Foto: Walter Voigt