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Paradise Revisited: A Costa Vicentina

Von Peter Koj
Zuerst erschienen in der Zeitschrift tranvia, Heft 52 (März 99)

 Als sich bald nach der „Nelkenrevolution“ mein Freund Graham L., Englischdozent an der Universidade de Lisboa, als „Salazarist“ outete, war das natürlich mit angelsächsischer Provokation gemeint: er wollte mir, dem Neuankömmling, und meiner Begeisterung für die Ideale des 25 de Abril einen kleinen Dämpfer verpassen. Selbstverständlich war Graham nicht für die Wiedereinführung eines rechtsautoritären Regimes mit Geheimpolizei, Zensur, Kolonialkrieg etc. Doch hatte er sich inzwischen sehr an den Puppenstubencharakter des Musterländles am Rande Europas gewöhnt, das sich in anachronistischer Selbstherrlichkeit nach außen abkapselte („Orgulhosamente sós“). Grahams Befürchtungen, daß diese Idylle  -  so trügerisch sie auch sein mochte  -  durch Portugals Öffnung und das ungehemmte Eindringen der „Errungenschaften“ der westlichen Konsumgesellschaft nicht lange Bestand haben würde, bewahrheiteten sich leider sehr rasch.

 Besonders deutlich war dies im Immobiliengeschäft, wo mit einem erschreckendem Mangel an Sensibilität die schönsten Ecken Portugals, bes. an der Küste, zugebaut wurden. Nicht daß es im alten Regime nicht schon Bausünden gegeben hätte (z.B. das Edifício Gandarinha in Cascais). Aber nun schossen die mamarrachos (seelenlose Klötze) wie Pilze aus dem Boden, die landschaftliche Schönheit und gewachsenen Infrastrukturen gleichermaßen brutal mißachtend. Besonders im Algarve zerstörte die unheilige Allianz von ausländischem Kapital und bestechlichen Kommunalpolitikern die einstmals „schönste Strandküste Europas“. Selbst einem neo-kapitalistischen Premier wie Cavaco Silva wurde es irgendwann zu bunt, und er erließ einen Baustopp für den Algarve. Leider zu spät: Bauruinen, leerstehende Bettenburgen und Scharen von Billig-Touristen (vor allem aus England) prägen nun das Gesicht des Algarve.

 Um das ursprüngliche Portugal „mit der Seele zu suchen“, war der Portugalfreund gezwungen, sich mehr und mehr in das dünn besiedelte Hinterland zurückzuziehen, wo er noch auf  autochthone Lebensformen stieß (z.B. Rio de Onor, Pitões das Júnias, die Dörfer des Alentejo) oder auf eine intakte Landschaft wie im einzigen portugiesischen Nationalpark (Peneda-Gerês) und den Parques, bzw Reservas Naturais (Montesinho, Serra da Estrela, Serras de Aire e Candeeiros, Serra de S. Mamede). An der Küste selbst galt Anfang der 80er Jahre nur noch die Costa Vicentina als letztes Paradies.

 Dies hatte verschiedene Gründe. Die Costa Vicentina, d.i. die alentejanische Küste von Sines bis Sagres, galt als wenig attraktiv für den Massentourismus wegen der Rauheit ihrer Landschaft (Steilküste), den niedrigen Wassertemperaturen (sommerliche Höchsttemperaturen um 18º), der Unzugänglichkeit der versteckt liegenden kleinen Badebuchten, der Armut der Bevölkerung, wie z.B. die Algenfischer von Azenha do Mar. Auch besaßen die wenigen, kleinen Badeorte, die es an diesem Küstenstreifen gibt (Porto Covo, Vila Nova de Milfontes, Zambujeira do Mar, Odeceixe, Arrifana, Carrapateira), nur eine rudimentäre touristische Infrastruktur. Und so wälzten sich Jahr für Jahr die Autoschlangen auf der N 120 vorbei an diesem Paradies, in Richtung Algarve.

 Die paradiesischen Zustände herrschten noch vor, als ich im Frühjahr 1983 mit zwei Kollegen der Deutschen Schule Lissabon zu einer dreitätigen Wanderung von Porto Covo nach Arrifana aufbrach. Es waren drei Tage ungetrübten Naturgenusses ohne Hotelanlagen, Golfplätze, Supermärkte, Autoverkehr. Dafür, soweit das Auge reichte, eine wild zerklüftete Steilküste, zumeist aus dunklem Schiefer, zu deren Füßen das Meer schäumend tobte, gelegentlich kleine Sandstrände aussparend, die häufig nur bei Ebbe frei lagen. Auf dem Hochplateau Sandboden oder Dünen mit einer kargen Kriechvegetation (vegetação rasteira) von verschiedenen Ginstern (giesta, tojo), Heide (urze), Zistrosen (esteva) und chorões, die an Portugals Küsten so häufig anzutreffenden Sukkulenten. Etwas weiter im Landesinneren dann Kleinfelderwirtschaft zwischen verstreuten Kiefern-, Pinien- oder Mimosenhainen, versprengte Höfe oder kleine Ansammlungen bescheidener Häuschen, weiß gekalkt und mit den typischen blauen Randstreifen.

 Die starken Bilder dieser Wanderung ließen mich nicht mehr los, begleiteten mich nach Beendigung meiner Lissabonner Lehrtätigkeit bis ins ferne Hamburg. Doch wann immer sich eine Gelegenheit ergab, zog es mich wieder an die Costa Vicentina, am liebsten mit dem Fahrrad. Das Fahrrad hinderte mich zwar daran, die damals an der Steilkante auf unwegsamem Gelände zurückgelegte Wanderrroute zu wiederholen; doch ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, über gestampfte Wege zu abgegelegenen Badebuchten oder landschaftlich besonders reizvollen Punkten der Küste zu gelangen. Auf diesen Radtouren mußte ich von Mal zu Mal feststellen, daß die Costa Vicentina sich immer mehr zum Objekt der Begierde von Baulöwen, Tourismusmanagern und Großagrariern „mauserte“.

 Der erste „Sündenfall“ hatte sich schon zum Zeitpunkt meiner Fußwanderung ereignet gehabt. Sousa Cintra, den meisten als langjähriger Präsident von Sporting Lissabon bekannt und einer der reichsten Männer Portugals, hatte in einer Talmulde zwischen Arrifana und Monte Clérigo bereits sein riesiges Urbanisationsprojekt Vale da Telha gestartet, mit Villen (moradias), aber auch mit klotzigen Hochhäusern. Sousa Cintra stammt selbst von der Costa Vicentina (Vila do Bispo), und allgemein wurde sein Projekt als erstes Überschwappen der sich im Algarve allmählich erschöpfenden Bauwelle gesehen.

 Die Costa Vicentina  -  ein zweiter Algarve? Dieses damals drohende Horrorszenarium wurde vor allem deshalb nicht Wirklichkeit, weil die traditionell kommunistisch regierten Rathäuser des Alentejo nicht mitmachten. Ja, sie gaben sogar die von der Zentralregierung überstellten Mittel zweckgebunden aus, z.B. zum Bau von Klärwerken (während in PS- oder PSD-regierten Kommunen die trampa noch immer und gegen herrschende EU-Normen ins offene Meer geleitet wird!). Dafür gestattete man zwei Gewerkschaften, Campingplätze an der Costa Vicentina einzurichten: der kommunistischen CGTP in Vila Nova de Milfontes (Campiférias) und der Sitava (Sindicato da Aviação e Aeroportos) an der Praia do Malhão, ungefähr 8 km nördlich von Vila Nova.

 Der 1987 eingerichtete Camping-Platz der Sitava wurde allerdings Anfang der 90er Jahre zu einer großen Tourismusanlage ausgebaut (92 Appartements, Restaurant, Supermarkt, Tennisplätze, Mehrzweckhalle, Diskothek etc). Es waren die Jahre, in denen die Südostküste noch den prekären Status eines Landschaftsschutzgebietes (Área de Paisagem Protegida) besaß. Es hatte einen schönen, langen Namen und eine entsprechend schöne, lange Abkürzung (APPSACV  -  Área de Paisagem Protegida do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina); doch dies schützte sie keineswegswegs vor zerstörerischen Übergriffen ähnlich wie andere Landschaftsschutzgebiete Portugals. Die ungebremste Bautätigkeit in der APPSC (Área de Paisagem Protegida Sintra/Cascais) ist dafür ein anschauliches Beispiel, und das sich unerbittlich in die Südostflanke des Arrabida-Gebirges hineinfressende Zementwerk zeigt, daß selbst der Status eines Naturparks keine Sicherheit bietet.

 Auch den Verantwortlichen für die Schaffung des Landschaftsschutzgebietes blies damals der unternehmerische Wind kräftig ins Gesicht: Luís Palma, nicht nur Mitbegründer der APPSACV sondern auch der Reserva Natural da Serra da Malcata, die dem Druck der Zellulosehersteller (Eucalyptus statt Luchs!) zum Opfer fiel, hatte zwar die Wissenschaftler der portugiesischen Universitäten hinter sich. Es gelang ihm auch, den damaligen Umweltminister Macário Correia (PSD) dazu zu bewegen, eine Reihe umweltfeindlicher Projekte zu kippen. Doch schließlich wurde Luís Palma ein Opfer des Bürgermeisters von Odemira, Justino Santos, der in ihm ein Hindernis sah für die Odefruta, ein landwirtschaftliches  Großprojekt des französischen Millionärs und Onassis-Witwers Thierry Roussel. 

Mit diesem Projekt verlor die Costa Vicentina endgültig und auf eine bis dahin nicht gekannte Radikalität ihre Unschuld. Das endgültiges Scheitern des Projekts bereits nach wenigen Jahren bewirkte jedoch ein Umdenken der Politiker und so etwas wie eine Wende zum Guten. Es ist gleichzeitig ein Lehrstück, wie skrupellose Unternehmer bestehende Umweltschutzauflagen aushebeln können, wenn ihr Tun vom politischen Willen der Mächtigen des Landes gedeckt wird. Von Anfang an hatten Landwirtschafts- und Umweltexperten gewarnt; ein letztes Fanal war der Artikel des Präsidenten der Liga para a Protecção da Natureza, Miguel de Magalhães Ramalho im Expresso vom 24.8.91 («Literal alentejano: a última oportunidade»). Doch da war es schon zu spät.

 Mit einer Finanzhilfe der Regierung Cavaco Silva von umgerechnet  25 Millionen DM (davon 16 Mill. aus EU-Mitteln) hatte der Sr. milhões aus Frankreich ein Jahr vorher 600 Hektar Land bei Brejão, mitten im Landschaftsschutzgebiet, aufgekauft und für intensive Landwirtschaft planiert und präpariert. Unter massivem Einsatz von Plastikbahnen, Plastikgewächshäusern, sowie hochtoxischen Düngemitteln und Insektiziden (u.a. Senfgas) wurden Gemüse und Früchte (vor allem Erdbeeren) für französische und englische Supermärkte produziert. Die rücksichtslosen Anbaumethoden des M. Roussel waren ebenso landschaftszerstörend wie menschenfeindlich. Was kümmerte es ihn, wenn den armen Algenfischern vom benachbarten Azenha do Mar die Haare ausfielen, wenn sie unter dem als Wasserfall an der Steilküste austretenden Grundwasser, das nun durch die Gifte der Odefruta verseucht war, wie gewohnt ihre Dusche nahmen?

 Und als im April 1991 vierzehn Arbeiter der Plantage mit Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußten, wurden einfach Arbeiter aus Marokko eingeflogen, die für einen Monatslohn von umgerechnet DM 200,- ihre Gesundheit aufs Spiel setzten. Anfang 1993 zeichneten sich erste wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens ab und Mitte des Jahres war die «Salada Roussel» (Anspielung auf die Salada russa, ein Gericht aus einem Gemisch verschiedener Gemüsesorten, umgangssprachlich aber gleichzeitig ein Ausdruck für eine chaotische Situation) perfekt: 8 Mill. DM Schulden, 610 Arbeitslose mit mehrmonatigen Lohnforderungen (salários em atraso) und eine Landschaft wie nach einem Atombombenkrieg («um cenário pós-nuclear», Público vom 10.5.95).   

 Der große Katzenjammer, der damals das Land und seine Regierenden ergriff, hatte zumindest einen Vorteil: er beschleunigte die sich seit Jahren hinziehenden Verhandlungen, der Costa Vicentina den Status eines Parque Natural zu verleihen, der ein Unternehmen wie die Odefruta nicht zugelassen hätte. Ende 1995 war es dann endlich so weit: ein 2 km breiter Küstenstreifen, von S. Torpes (bei Sines) bis zum bereits im Barlavento algarvio liegenden Burgau (Bezirk Vila do Bispo) reichend, erhöhte mit seinen 74.786 ha die Gesamtfläche aller Portugiesischen Naturparks auf stolze 6% der Gesamtfläche des Landes. Und weitere 22.000 Portugiesen konnten nun nicht mehr bauen, Industrie ansiedeln oder Landwirtschaft betreiben wie sie wollten.

 Als ich weitere 3 Jahre später, im Oktober 1998, mal wieder die Wanderstiefel schnürte, trieb mich die Neugierde, was ich an Portugals Südwestküste antreffen würde: Paradise Lost oder Paradise Regained, d.h. die Beantwortung der Fragen: War die Einführung des Statuts als Naturpark für die Costa Vicentina noch zur rechten Zeit gekommen? Was war unter dem neo-liberalen Regime von Cavaco Silva inzwischen zerstört worden und was war vom Paradies Anfang der 80er Jahre geblieben? Wie würde die Bevölkerung mit den strengen Auflagen der Parkverwaltung fertig werden und inwieweit hat sie die neuen Lebensbedingungen angenommen?

 Für die Beantwortung der letzten Frage hätte es eines längeren Aufenthaltes mit der Möglichkeit bedurft, einen repräsentativen Personenkreis zu befragen. Da ich für meine Wanderung nur 9 Tage zur Verfügung hatte und zudem die Costa Azul (Tróia ® Sines), mit gut 70 km Portugals längster durchgehender Sandstrand, sozusagen als Aufgalopp eingeplant  hatte, blieben mir für die Strecke Sines ® Sagres ganze 6 Tage, ein Zeitraum, der allenfalls dazu reichte, um landschaftliche oder bauliche Veränderungen entlang der Küste in Augenschein zu nehmen. Und hier hat sich  -  soviel sei vorweggenommen  -  nicht sehr viel verändert. Man kann sagen, daß die Costa Vicentina mit einem blauen Auge davongekommen ist.

 Dabei fängt alles ganz fürchterlich an  -  sofern man den Naturpark von Norden nach Süden durchwandert. Der Einstieg liegt an der Praia de S. Torpes, unweit eines riesigen Kohlekraftwerkes, das sein verschmutztes Kühlwasser direkt ins Meer einleitet. Noch kilometerweit Richtung Süden ist der ansonsten hellgelbe Sand grau gefärbt. Eine ständige Bedrohung der Strände stellt natürlich auch der in unmittelbarer Nähe liegende Ölindustriehafen von Sines dar. Diese riesige Anlage scheint nach jahrzehntelangen Bauarbeiten nun seine volle Kapazität erreicht zu haben, und die dort anlandenden Tanker bringen natürlich einen bestimmten Grad von Verschmutzung mit sich, wenn sie nicht sogar ihre leeren Tanks vor der Küste waschen oder bei einer Havarie Öl verlieren wie im Jahre 1989 die Marão, was damals an der gesamten Costa Vicentina eine schwere Ölpest verursachte.

 Zudem hatte man inzwischen von S. Torpes eine Küstenstraße nach Porto Covo gelegt, mitten durch eine ursprüngliche Dünenlandschaft. Früher mußten die Autofahrer nur ein paar Kilometer weiter der N120 folgen, bevor sie rechts die Zufahrtsstraße nach Porto Covo einschlugen. Eine Straße, so überflüssig wie ein Kropf und mit dem sich an ihrem Rand achtlos ausgekippten Müll (lixo) oder Bauschutt (entulho) eine schwere Hypothek für das ökologische Gleichgewicht des jungen Naturparks. Diese Küstenstraße war eine der wenigen Bausünden, auf die ich gegenüber meiner Wanderung von 1983 stieß. Allenfalls ließe sich in diesem Zusammenhang noch der Windpark südlich von Carrapateira nennen und  -  kurz vor dem Ziel  -  eine Militäranlage der portugiesischen Luftwaffe in unmittelbarer Nähe der Torre de Aspa, mit 156m der höchste geodesische Punkt an Portugals südwestlicher Spitze.

 Ansonsten nichts, was die rauhe Schönheit des Küstenstrichs beeinträchtigen könnte. Vale da Telha steht zwar noch in alter Häßlichkeit dar, soll aber „entschärft“ werden. Sousa Cintra wird man dazu nicht mehr heranziehen können: der alte Fuchs hat sich durch Weiterverkauf  längst aus dem Staube gemacht. An der Praia do Monte Clérigo sind einige der klandestinen Wochenendhäuser abgerissen worden, und wer neu baut, kann dieses nur noch in dem vom Bügermeisteramt (câmara) vorgegebenen Rahmen, d.h. nur noch in erschlossenem Baugebiet und nicht höher als 2 bis 3 Stockwerke. Während man also den Bauboom und damit die Bodenspekulation offensichtlich administrativ im Griff hat (jedenfalls bis zur nächsten Begehrlichkeit), ist man bei der landwirtschaftlichen Nutzung offensichtlich großzügiger.    

So traf ich auf riesige Kartoffeläcker, die durch Rodung der ursprünglichen Vegetation bis hart an die Steilkante vorgetrieben worden waren. Damit ist natürlich dem Eindringen erodierenden Regenwassers und dem Abbrechen der Steilkante Tür und Tor geöffnet. Auch an der Costa Vicentina trifft man immer wieder auf Kantenabbrüche, die auf die Zerstörung der Vegetation, vor allem durch Autofahrer, zurückgehen. Die allgemeine Klage, daß Portugal immer kleiner wird (Portugal encolhe-se), hat also durchaus auch für die alentejanische Küste Gültigkeit.

 Der Kampf, ob es gelingen wird, die Costa Vicentina als Naturpark wiederherzustellen bzw zu erhalten, wird weniger im Rahmen eines (naturgemäß restriktiven) Gesetzeswerkes entschieden werden, sondern letztlich im Kopf und im Herzen der Portugiesen. Doch hier fehlt es weitgehend an der nötigen Sensibilität für die Erhaltungswürdigkeit von landschaftlicher Schönheit und Unversehrtheit. Jahrhundertelange Unterdrückung  -  einst durch Inquistion, absolute Monarchie und Adel/Großgrundbesitz, in diesem Jahrhundert durch die longa noite do fascismo des Salazar-Regimes  -  fordert eher den Widerstand des Portugiesen heraus, wenn von „von oben“ über ihn entschieden wird und vermeintliche Einschnitte in seine Lebensqualität vorgenommen werden.

 So trifft man schon jetzt auf die üblichen Akte von Vandalismus, die wir auch von anderen Naturparks und Landschaftsschutzgebieten kennen. Hauptangriffspunkt sind vor allem die von der Parkverwaltung aufgestellten Schilder, daß bestimmte Dinge (Autofahren, Zelten, Feuer machen, Schutt abladen u.ä.) verboten sind, vor allem wenn gleichzeitig auf das entsprechende Gesetz hingewiesen und Strafe angedroht wird. So fand ich südlich vom Cabo Sardão (mit über 50m die höchste Stelle der Steilküste) folgendes Schild am Boden liegen: Proibido a circulação de veiculos (sic) nas dunas. Sujeito a coima  -  Dec. lei 218/95. Daneben im weichen Sand breite Reifenspuren, die geradewegs in die Dünen führten.                  

 Statt Repression wären Aufklärung und positive Bestätigung vonnöten, wie sie z.B. das Schild auf dem Weg zur Praia de Odeceixe vermittelt: Obrigado por não ter deitado lixo nem entulho. C.M. de Aljezur.  Dieses Schild war weder abgebrochen, noch lag in seiner näheren Umgebung irgendwelcher Müll. Überhaupt scheint mir das Hauptproblem darin zu liegen, die Bevölkerung für das Unästhetische und Umweltschädliche von wildem Deponieren von Müll- und Bauschutt zu sensibilisieren. Dies bedarf sicher eines langen Aufklärungs- und Erziehungsprozesses. Aber es kann nicht sein, daß ein ganzes Volk mit Hinweis auf seinen traditionellen Hang zum desleixo sich in alle Ewigkeit mit seiner Rolle als Müllmonster abfindet.  

 Die Wirtin der Pension Onda Azul in Zambujeira do Mar hat in 13jährigem Deutschlandaufenthalt offensichtlich bereits eine andere Mentalität gewonnen. Angesprochen auf die unglaubliche Verschmutzung des herrlichen canavial zwischen Zambujeira und der 4km nördlich gelegenen Fischersiedlung, schnaubte sie nur verächtlich: Eles (!) não têm cultura. Ein besonders abstoßendes Beispiel für Vermüllung an der Costa Vicenta ist das bereits mehrfach erwähnte Fischerdorf Azenha do Mar. Die Armut seiner Bewohner kann kein hinlänglicher Grund dafür sein, daß diese ihre Ortschaft trotz atemberaubend schöner Lage im Laufe der Zeit in eine Müllhalde verwandelt haben.

 Die Câmara hat den Fischern nun eine blitzblanke neue Siedlung danebengesetzt, wobei die alte nach wie vor benutzt wird. Sie wirkt aber noch grauslicher als vor 15 Jahren, weil jetzt inzwischen vor jeder Hütte ein still vor sich hinrostendes Auto steht. Sebastião Salgado würde hier so manch lohnendes Motiv finden, auch wenn die klassische Algenfischerei der Leute von Azenha do Mar im Aussterben begriffen ist. Einen jungen Fischer konnte ich noch bei seiner halsbrecherischen Tätigkeit beobachten, wie er das schwere Algenpaket auf dem Kopf an einer 30m hohen Steilwand über ein klappriges Holzspalier nach oben balanzierte.

 Die alentejanischen Câmaras versuchen den Vermüllungstendenzen entgegenzuwirken, indem sie überall Müllcontainer aufstellen oder Müllbeutel verteilen. Doch was nützen die schönsten Container, wenn der Müll danebengeworden wird, und was die schönsten Müllbeutel, wenn sie nicht abgeholt werden oder in leerem Zustand achtlos im Gebüsch landen und somit selbst zum Müll werden. Gleichzeitig wird versucht, mit Aktionen wie „Coastwatch“ der GEOTA (Grupo de Estudos de Ordenamento do Território e Ambiente) die Küstenbevölkerung auf  die Zerstörung ihrer Umwelt aufmerksam zu machen.

 Letztlich werden der Naturpark und die damit verbundenen ökologischen Auflagen aber erst dann von der Bevölkerung getragen werden, wenn sie selbst an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden und durch sie auch ein ökonomischer Anreiz geschaffen wird. Dies ist nach Lage der Dinge eigentlich nur im Rahmen eines „sanften“ Tourismus und seiner Zubringergewerbe (Gastronomie, artesanales Handwerk etc) möglich. Leider hat Portugal nach dem 25 de Abril die historische Chance verpaßt, das sanfte Touristikland Europas zu werden. Die äußeren Bedingungen hierfür wären ideal gewesen. Statt dessen hat man, besonders unter der Regie des damaligen Tourismusministers Nandim de Carvalho, all die Fehler der Italiener und Spanier (sog. Torremolinisierung) wiederholt.

 In Erwartung zahlungskräftiger Hotelgäste und Golf-Touristen wurden Wanderer als caracois belächelt und alternativer Tourismus als turismo de pé descalço verunglimpft. Doch inzwischen ist die Stimmung in Portugal umgeschlagen. Man weiß jetzt um die negativen Folgen des sogenannten turismo de qualidade und propagiert nun einen sanften Tourismus, der auch die bisher weniger frequentierten Gebiete und Privatanbieter einbezieht. Seit einigen Jahren gibt es offiziell schon den turismo de habitação und seit neustem hat nun auch der eco-turismo seinen staatlichen Segen. Anstoß dazu gab der Premierminister António Guterres selbst, der im letzten August nach einer Bootsfahrt zur Eröffnung des Parque Natural do Douro Internacional so beeindruckt war, daß er seinen Staatssekretär für Tourismus beauftragte, zusammen mit dem Instituto da Conservação da Natureza ein Programm auszuarbeiten.

 Das Ergebnis liegt nun vor: in verschiedenen Naturparks und im Gerês sollen 43 Schutzhäuschen (casas-abrigo) und 18 centros de acolhimento der Waldhüter (guardas florestais) und Landstraßenwärter (cantoneiros) als Unterkünfte für Wanderer und Naturfreunde hergerichtet werden. Hoffentlich heizt dies die Aktivitäten der bereits vorhandenen privaten Anbieter von sog. Ökotouren (zumeist in deutscher Hand!) nicht zusätzlich an. Denn die von ihnen verwendeten Fortbewegungsmittel  -  vom Pferd über das Mountain Bike zum Motorboot und Geländewagen (auf portugiesisch todo-o-terreno, ein Name, der Schlimmstes befürchten läßt!)  -  widersprechen allen Prinzipien des Landschaftsschutzes. Es wäre ein Aberwitz, wenn im Namen der Natur Portugals letztes Küstenparadies zerstört würde.   





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Portugal-Post Nr. 7 / 1999

















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