Paradise Revisited: A Costa VicentinaVon Peter KojZuerst erschienen in der Zeitschrift tranvia, Heft 52 (März 99)
Als sich bald nach der „Nelkenrevolution“ mein
Freund Graham L., Englischdozent an der Universidade de Lisboa, als „Salazarist“
outete, war das natürlich mit angelsächsischer Provokation gemeint: er wollte
mir, dem Neuankömmling, und meiner Begeisterung für die Ideale des 25
de Abril einen kleinen Dämpfer verpassen. Selbstverständlich war Graham nicht
für die Wiedereinführung eines rechtsautoritären Regimes mit Geheimpolizei,
Zensur, Kolonialkrieg etc. Doch hatte er sich inzwischen sehr an den
Puppenstubencharakter des Musterländles am Rande Europas gewöhnt, das sich in
anachronistischer Selbstherrlichkeit nach außen abkapselte („Orgulhosamente
sós“). Grahams Befürchtungen, daß diese Idylle - so trügerisch
sie auch sein mochte - durch
Portugals Öffnung und das ungehemmte Eindringen der „Errungenschaften“ der
westlichen Konsumgesellschaft nicht lange Bestand haben würde, bewahrheiteten
sich leider sehr rasch. Besonders deutlich war dies im Immobiliengeschäft,
wo mit einem erschreckendem Mangel an Sensibilität die schönsten Ecken
Portugals, bes. an der Küste, zugebaut wurden. Nicht daß es im alten Regime
nicht schon Bausünden gegeben hätte (z.B. das Edifício
Gandarinha in Cascais). Aber nun schossen die mamarrachos (seelenlose Klötze) wie Pilze aus dem Boden, die
landschaftliche Schönheit und gewachsenen Infrastrukturen gleichermaßen brutal
mißachtend. Besonders im Algarve zerstörte die unheilige Allianz von ausländischem
Kapital und bestechlichen Kommunalpolitikern die einstmals „schönste Strandküste
Europas“. Selbst einem neo-kapitalistischen Premier wie Cavaco Silva wurde es
irgendwann zu bunt, und er erließ einen Baustopp für den Algarve. Leider zu spät:
Bauruinen, leerstehende Bettenburgen und Scharen von Billig-Touristen (vor allem
aus England) prägen nun das Gesicht des Algarve. Um das ursprüngliche Portugal „mit der Seele zu
suchen“, war der Portugalfreund gezwungen, sich mehr und mehr in das dünn
besiedelte Hinterland zurückzuziehen, wo er noch auf
autochthone Lebensformen stieß (z.B. Rio de Onor, Pitões das Júnias,
die Dörfer des Alentejo) oder auf eine intakte Landschaft wie im einzigen
portugiesischen Nationalpark (Peneda-Gerês) und den Parques, bzw Reservas Naturais
(Montesinho, Serra da Estrela, Serras de Aire e Candeeiros, Serra de S.
Mamede). An der Küste selbst galt Anfang der 80er Jahre nur noch die Costa
Vicentina als letztes Paradies. Dies hatte verschiedene Gründe. Die Costa Vicentina, d.i. die alentejanische Küste von Sines bis Sagres,
galt als wenig attraktiv für den Massentourismus wegen der Rauheit ihrer
Landschaft (Steilküste), den niedrigen Wassertemperaturen (sommerliche Höchsttemperaturen
um 18º), der Unzugänglichkeit der versteckt liegenden kleinen Badebuchten, der
Armut der Bevölkerung, wie z.B. die Algenfischer von Azenha do Mar. Auch besaßen
die wenigen, kleinen Badeorte, die es an diesem Küstenstreifen gibt (Porto Covo,
Vila Nova de Milfontes, Zambujeira do Mar, Odeceixe, Arrifana, Carrapateira),
nur eine rudimentäre touristische Infrastruktur. Und so wälzten sich Jahr für
Jahr die Autoschlangen auf der N 120 vorbei an diesem Paradies, in Richtung
Algarve. Die paradiesischen Zustände herrschten noch vor, als
ich im Frühjahr 1983 mit zwei Kollegen der Deutschen Schule Lissabon zu einer
dreitätigen Wanderung von Porto Covo nach Arrifana aufbrach. Es waren drei Tage
ungetrübten Naturgenusses ohne Hotelanlagen, Golfplätze, Supermärkte,
Autoverkehr. Dafür, soweit das Auge reichte, eine wild zerklüftete Steilküste,
zumeist aus dunklem Schiefer, zu deren Füßen das Meer schäumend tobte,
gelegentlich kleine Sandstrände aussparend, die häufig nur bei Ebbe frei
lagen. Auf dem Hochplateau Sandboden oder Dünen mit einer kargen
Kriechvegetation (vegetação rasteira)
von verschiedenen Ginstern (giesta, tojo),
Heide (urze), Zistrosen (esteva) und chorões, die
an Portugals Küsten so häufig anzutreffenden Sukkulenten. Etwas weiter im
Landesinneren dann Kleinfelderwirtschaft zwischen verstreuten Kiefern-, Pinien-
oder Mimosenhainen, versprengte Höfe oder kleine Ansammlungen bescheidener Häuschen,
weiß gekalkt und mit den typischen blauen Randstreifen. Die starken Bilder dieser Wanderung ließen mich
nicht mehr los, begleiteten mich nach Beendigung meiner Lissabonner Lehrtätigkeit
bis ins ferne Hamburg. Doch wann immer sich eine Gelegenheit ergab, zog es mich
wieder an die Costa Vicentina, am
liebsten mit dem Fahrrad. Das Fahrrad hinderte mich zwar daran, die damals an
der Steilkante auf unwegsamem Gelände zurückgelegte Wanderrroute zu
wiederholen; doch ergaben sich immer wieder Gelegenheiten, über gestampfte Wege
zu abgegelegenen Badebuchten oder landschaftlich besonders reizvollen Punkten
der Küste zu gelangen. Auf diesen Radtouren mußte ich von Mal zu Mal
feststellen, daß die Costa Vicentina
sich immer mehr zum Objekt der Begierde von Baulöwen, Tourismusmanagern und Großagrariern
„mauserte“. Der erste „Sündenfall“ hatte sich schon zum
Zeitpunkt meiner Fußwanderung ereignet gehabt. Sousa Cintra, den meisten als
langjähriger Präsident von Sporting
Lissabon bekannt und einer der reichsten Männer Portugals, hatte in einer
Talmulde zwischen Arrifana und Monte Clérigo bereits sein riesiges
Urbanisationsprojekt Vale da Telha gestartet,
mit Villen (moradias), aber auch mit
klotzigen Hochhäusern. Sousa Cintra stammt selbst von der Costa Vicentina (Vila do Bispo), und allgemein wurde sein Projekt
als erstes Überschwappen der sich im Algarve allmählich erschöpfenden
Bauwelle gesehen. Die Costa
Vicentina -
ein zweiter Algarve? Dieses damals drohende Horrorszenarium wurde vor
allem deshalb nicht Wirklichkeit, weil die traditionell kommunistisch regierten
Rathäuser des Alentejo nicht mitmachten. Ja, sie gaben sogar die von der
Zentralregierung überstellten Mittel zweckgebunden aus, z.B. zum Bau von Klärwerken
(während in PS- oder PSD-regierten Kommunen die trampa noch immer und gegen herrschende EU-Normen ins offene Meer
geleitet wird!). Dafür gestattete man zwei Gewerkschaften, Campingplätze an
der Costa Vicentina einzurichten: der
kommunistischen CGTP in Vila Nova de Milfontes (Campiférias) und der Sitava
(Sindicato da Aviação e Aeroportos) an der Praia do Malhão, ungefähr 8 km nördlich von Vila Nova. Der 1987 eingerichtete Camping-Platz der Sitava
wurde allerdings Anfang der 90er Jahre zu einer großen Tourismusanlage
ausgebaut (92 Appartements, Restaurant, Supermarkt, Tennisplätze,
Mehrzweckhalle, Diskothek etc). Es waren die Jahre, in denen die Südostküste
noch den prekären Status eines Landschaftsschutzgebietes (Área
de Paisagem Protegida) besaß. Es hatte einen schönen, langen Namen und
eine entsprechend schöne, lange Abkürzung (APPSACV
- Área de Paisagem
Protegida do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina); doch dies schützte sie
keineswegswegs vor zerstörerischen Übergriffen ähnlich wie andere
Landschaftsschutzgebiete Portugals. Die ungebremste Bautätigkeit in der APPSC
(Área de Paisagem Protegida Sintra/Cascais) ist dafür ein anschauliches
Beispiel, und das sich unerbittlich in die Südostflanke des Arrabida-Gebirges
hineinfressende Zementwerk zeigt, daß selbst der Status eines Naturparks keine
Sicherheit bietet. Auch den Verantwortlichen für die Schaffung des
Landschaftsschutzgebietes blies damals der unternehmerische Wind kräftig ins
Gesicht: Luís Palma, nicht nur Mitbegründer der APPSACV sondern auch der Reserva
Natural da Serra da Malcata, die dem Druck der Zellulosehersteller (Eucalyptus
statt Luchs!) zum Opfer fiel, hatte zwar die Wissenschaftler der portugiesischen
Universitäten hinter sich. Es gelang ihm auch, den damaligen Umweltminister Macário
Correia (PSD) dazu zu bewegen, eine Reihe umweltfeindlicher Projekte zu kippen.
Doch schließlich wurde Luís Palma ein Opfer des Bürgermeisters von Odemira,
Justino Santos, der in ihm ein Hindernis sah für die Odefruta,
ein landwirtschaftliches Großprojekt
des französischen Millionärs und Onassis-Witwers Thierry Roussel. Mit diesem Projekt verlor die Costa Vicentina endgültig und auf eine bis dahin nicht gekannte
Radikalität ihre Unschuld. Das endgültiges Scheitern des Projekts bereits nach
wenigen Jahren bewirkte jedoch ein Umdenken der Politiker und so etwas wie eine
Wende zum Guten. Es ist gleichzeitig ein Lehrstück, wie skrupellose Unternehmer
bestehende Umweltschutzauflagen aushebeln können, wenn ihr Tun vom politischen
Willen der Mächtigen des Landes gedeckt wird. Von Anfang an hatten
Landwirtschafts- und Umweltexperten gewarnt; ein letztes Fanal war der Artikel
des Präsidenten der Liga para a Protecção
da Natureza, Miguel de Magalhães Ramalho im Expresso
vom 24.8.91 («Literal alentejano: a última
oportunidade»). Doch da war es schon zu spät. Mit einer Finanzhilfe der Regierung Cavaco Silva von
umgerechnet 25 Millionen DM (davon
16 Mill. aus EU-Mitteln) hatte der Sr.
milhões aus Frankreich ein Jahr vorher 600 Hektar Land bei Brejão, mitten im Landschaftsschutzgebiet, aufgekauft und
für intensive Landwirtschaft planiert und präpariert. Unter massivem Einsatz
von Plastikbahnen, Plastikgewächshäusern, sowie hochtoxischen Düngemitteln
und Insektiziden (u.a. Senfgas) wurden Gemüse und Früchte (vor allem
Erdbeeren) für französische und englische Supermärkte produziert. Die rücksichtslosen
Anbaumethoden des M. Roussel waren ebenso landschaftszerstörend wie
menschenfeindlich. Was kümmerte es ihn, wenn den armen Algenfischern vom
benachbarten Azenha do Mar die Haare ausfielen, wenn sie unter dem als
Wasserfall an der Steilküste austretenden Grundwasser, das nun durch die Gifte
der Odefruta verseucht war, wie
gewohnt ihre Dusche nahmen? Und als im April 1991 vierzehn Arbeiter der Plantage
mit Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußten,
wurden einfach Arbeiter aus Marokko eingeflogen, die für einen Monatslohn von
umgerechnet DM 200,- ihre Gesundheit aufs Spiel setzten. Anfang 1993 zeichneten
sich erste wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens ab und Mitte des
Jahres war die «Salada Roussel»
(Anspielung auf die Salada russa, ein
Gericht aus einem Gemisch verschiedener Gemüsesorten, umgangssprachlich aber
gleichzeitig ein Ausdruck für eine chaotische Situation) perfekt: 8 Mill. DM
Schulden, 610 Arbeitslose mit mehrmonatigen Lohnforderungen (salários
em atraso) und eine Landschaft wie nach einem Atombombenkrieg («um
cenário pós-nuclear», Público vom 10.5.95). Der große Katzenjammer, der damals das Land und
seine Regierenden ergriff, hatte zumindest einen Vorteil: er beschleunigte die
sich seit Jahren hinziehenden Verhandlungen, der Costa
Vicentina den Status eines Parque
Natural zu verleihen, der ein Unternehmen wie die Odefruta nicht zugelassen hätte. Ende 1995 war es dann endlich so
weit: ein 2 km breiter Küstenstreifen, von S. Torpes (bei Sines) bis zum
bereits im Barlavento algarvio
liegenden Burgau (Bezirk Vila do Bispo) reichend, erhöhte mit seinen 74.786 ha
die Gesamtfläche aller Portugiesischen Naturparks auf stolze 6% der Gesamtfläche
des Landes. Und weitere 22.000 Portugiesen konnten nun nicht mehr bauen,
Industrie ansiedeln oder Landwirtschaft betreiben wie sie wollten. Als ich weitere 3 Jahre später, im Oktober 1998, mal
wieder die Wanderstiefel schnürte, trieb mich die Neugierde, was ich an
Portugals Südwestküste antreffen würde: Paradise
Lost oder Paradise Regained, d.h.
die Beantwortung der Fragen: War die Einführung des Statuts als Naturpark für
die Costa Vicentina noch zur rechten
Zeit gekommen? Was war unter dem neo-liberalen Regime von Cavaco Silva
inzwischen zerstört worden und was war vom Paradies Anfang der 80er Jahre
geblieben? Wie würde die Bevölkerung mit den strengen Auflagen der
Parkverwaltung fertig werden und inwieweit hat sie die neuen Lebensbedingungen
angenommen? Für die Beantwortung der letzten Frage hätte es
eines längeren Aufenthaltes mit der Möglichkeit bedurft, einen repräsentativen
Personenkreis zu befragen. Da ich für meine Wanderung nur 9 Tage zur Verfügung
hatte und zudem die Costa Azul (Tróia
®
Sines), mit gut 70 km Portugals längster durchgehender Sandstrand, sozusagen
als Aufgalopp eingeplant hatte,
blieben mir für die Strecke Sines ®
Sagres ganze 6 Tage, ein Zeitraum, der allenfalls dazu reichte, um
landschaftliche oder bauliche Veränderungen entlang der Küste in Augenschein
zu nehmen. Und hier hat sich -
soviel sei vorweggenommen -
nicht sehr viel verändert. Man kann sagen, daß die Costa Vicentina mit einem blauen Auge davongekommen ist. Dabei fängt alles ganz fürchterlich an
- sofern man den Naturpark von Norden nach Süden durchwandert.
Der Einstieg liegt an der Praia de S. Torpes, unweit eines riesigen
Kohlekraftwerkes, das sein verschmutztes Kühlwasser direkt ins Meer einleitet.
Noch kilometerweit Richtung Süden ist der ansonsten hellgelbe Sand grau gefärbt.
Eine ständige Bedrohung der Strände stellt natürlich auch der in
unmittelbarer Nähe liegende Ölindustriehafen von Sines dar. Diese riesige
Anlage scheint nach jahrzehntelangen Bauarbeiten nun seine volle Kapazität
erreicht zu haben, und die dort anlandenden Tanker bringen natürlich einen
bestimmten Grad von Verschmutzung mit sich, wenn sie nicht sogar ihre leeren
Tanks vor der Küste waschen oder bei einer Havarie Öl verlieren wie im Jahre
1989 die Marão, was damals an der
gesamten Costa Vicentina eine schwere
Ölpest verursachte. Zudem hatte man inzwischen von S. Torpes eine Küstenstraße
nach Porto Covo gelegt, mitten durch eine ursprüngliche Dünenlandschaft. Früher
mußten die Autofahrer nur ein paar Kilometer weiter der N120 folgen, bevor sie
rechts die Zufahrtsstraße nach Porto Covo einschlugen. Eine Straße, so überflüssig
wie ein Kropf und mit dem sich an ihrem Rand achtlos ausgekippten Müll (lixo)
oder Bauschutt (entulho) eine schwere
Hypothek für das ökologische Gleichgewicht des jungen Naturparks. Diese Küstenstraße
war eine der wenigen Bausünden, auf die ich gegenüber meiner Wanderung von
1983 stieß. Allenfalls ließe sich in diesem Zusammenhang noch der Windpark südlich
von Carrapateira nennen und -
kurz vor dem Ziel -
eine Militäranlage der portugiesischen Luftwaffe in unmittelbarer Nähe
der Torre de Aspa, mit 156m der höchste
geodesische Punkt an Portugals südwestlicher Spitze. Ansonsten nichts, was die rauhe Schönheit des Küstenstrichs
beeinträchtigen könnte. Vale da Telha
steht zwar noch in alter Häßlichkeit dar, soll aber „entschärft“ werden.
Sousa Cintra wird man dazu nicht mehr heranziehen können: der alte Fuchs hat
sich durch Weiterverkauf längst
aus dem Staube gemacht. An der Praia do Monte Clérigo sind einige der
klandestinen Wochenendhäuser abgerissen worden, und wer neu baut, kann dieses
nur noch in dem vom Bügermeisteramt (câmara)
vorgegebenen Rahmen, d.h. nur noch in erschlossenem Baugebiet und nicht höher
als 2 bis 3 Stockwerke. Während man also den Bauboom und damit die
Bodenspekulation offensichtlich administrativ im Griff hat (jedenfalls bis zur nächsten
Begehrlichkeit), ist man bei der landwirtschaftlichen Nutzung offensichtlich großzügiger.
So traf ich auf riesige Kartoffeläcker, die durch Rodung
der ursprünglichen Vegetation bis hart an die Steilkante vorgetrieben worden
waren. Damit ist natürlich dem Eindringen erodierenden Regenwassers und dem
Abbrechen der Steilkante Tür und Tor geöffnet. Auch an der Costa Vicentina trifft man immer wieder auf Kantenabbrüche, die auf
die Zerstörung der Vegetation, vor allem durch Autofahrer, zurückgehen. Die
allgemeine Klage, daß Portugal immer kleiner wird (Portugal encolhe-se), hat also durchaus auch für die
alentejanische Küste Gültigkeit. Der Kampf, ob es gelingen wird, die Costa Vicentina als Naturpark wiederherzustellen bzw zu erhalten,
wird weniger im Rahmen eines (naturgemäß restriktiven) Gesetzeswerkes
entschieden werden, sondern letztlich im Kopf und im Herzen der Portugiesen.
Doch hier fehlt es weitgehend an der nötigen Sensibilität für die Erhaltungswürdigkeit
von landschaftlicher Schönheit und Unversehrtheit. Jahrhundertelange Unterdrückung
- einst durch Inquistion,
absolute Monarchie und Adel/Großgrundbesitz, in diesem Jahrhundert durch die longa noite do fascismo des Salazar-Regimes
- fordert eher den
Widerstand des Portugiesen heraus, wenn von „von oben“ über ihn entschieden
wird und vermeintliche Einschnitte in seine Lebensqualität vorgenommen werden. So trifft man schon jetzt auf die üblichen Akte von
Vandalismus, die wir auch von anderen Naturparks und Landschaftsschutzgebieten
kennen. Hauptangriffspunkt sind vor allem die von der Parkverwaltung
aufgestellten Schilder, daß bestimmte Dinge (Autofahren, Zelten, Feuer machen,
Schutt abladen u.ä.) verboten sind, vor allem wenn gleichzeitig auf das
entsprechende Gesetz hingewiesen und Strafe angedroht wird. So fand ich südlich
vom Cabo Sardão (mit über 50m die höchste
Stelle der Steilküste) folgendes Schild am Boden liegen: Proibido
a circulação de veiculos (sic) nas
dunas. Sujeito a coima -
Dec. lei 218/95. Daneben im weichen Sand breite Reifenspuren, die
geradewegs in die Dünen führten. Statt Repression wären Aufklärung und positive Bestätigung
vonnöten, wie sie z.B. das Schild auf dem Weg zur Praia de Odeceixe vermittelt:
Obrigado por não ter deitado lixo nem
entulho. C.M. de Aljezur. Dieses
Schild war weder abgebrochen, noch lag in seiner näheren Umgebung irgendwelcher
Müll. Überhaupt scheint mir das Hauptproblem darin zu liegen, die Bevölkerung
für das Unästhetische und Umweltschädliche von wildem Deponieren von Müll-
und Bauschutt zu sensibilisieren. Dies bedarf sicher eines langen Aufklärungs-
und Erziehungsprozesses. Aber es kann nicht sein, daß ein ganzes Volk mit
Hinweis auf seinen traditionellen Hang zum desleixo
sich in alle Ewigkeit mit seiner Rolle als Müllmonster abfindet. Die Wirtin der Pension Onda
Azul in Zambujeira do Mar hat in 13jährigem Deutschlandaufenthalt
offensichtlich bereits eine andere Mentalität gewonnen. Angesprochen auf die
unglaubliche Verschmutzung des herrlichen canavial
zwischen Zambujeira und der 4km nördlich gelegenen Fischersiedlung, schnaubte
sie nur verächtlich: Eles (!) não têm
cultura. Ein besonders abstoßendes Beispiel für Vermüllung an der Costa
Vicenta ist das bereits mehrfach erwähnte Fischerdorf Azenha do Mar. Die
Armut seiner Bewohner kann kein hinlänglicher Grund dafür sein, daß diese
ihre Ortschaft trotz atemberaubend schöner Lage im Laufe der Zeit in eine Müllhalde
verwandelt haben. Die Câmara
hat den Fischern nun eine blitzblanke neue Siedlung danebengesetzt, wobei die
alte nach wie vor benutzt wird. Sie wirkt aber noch grauslicher als vor 15
Jahren, weil jetzt inzwischen vor jeder Hütte ein still vor sich hinrostendes
Auto steht. Sebastião Salgado würde hier so manch lohnendes Motiv finden, auch
wenn die klassische Algenfischerei der Leute von Azenha do Mar im Aussterben
begriffen ist. Einen jungen Fischer konnte ich noch bei seiner halsbrecherischen
Tätigkeit beobachten, wie er das schwere Algenpaket auf dem Kopf an einer 30m
hohen Steilwand über ein klappriges Holzspalier nach oben balanzierte. Die alentejanischen Câmaras
versuchen den Vermüllungstendenzen entgegenzuwirken, indem sie überall Müllcontainer
aufstellen oder Müllbeutel verteilen. Doch was nützen die schönsten
Container, wenn der Müll danebengeworden wird, und was die schönsten Müllbeutel,
wenn sie nicht abgeholt werden oder in leerem Zustand achtlos im Gebüsch landen
und somit selbst zum Müll werden. Gleichzeitig wird versucht, mit Aktionen wie
„Coastwatch“ der GEOTA (Grupo de Estudos de Ordenamento do Território e Ambiente) die Küstenbevölkerung
auf die Zerstörung ihrer Umwelt
aufmerksam zu machen. Letztlich werden der Naturpark und die damit
verbundenen ökologischen Auflagen aber erst dann von der Bevölkerung getragen
werden, wenn sie selbst an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden und durch
sie auch ein ökonomischer Anreiz geschaffen wird. Dies ist nach Lage der Dinge
eigentlich nur im Rahmen eines „sanften“ Tourismus und seiner
Zubringergewerbe (Gastronomie, artesanales Handwerk etc) möglich. Leider hat
Portugal nach dem 25 de Abril die
historische Chance verpaßt, das sanfte Touristikland Europas zu werden.
Die äußeren Bedingungen hierfür wären ideal gewesen. Statt dessen hat man,
besonders unter der Regie des damaligen Tourismusministers Nandim de Carvalho,
all die Fehler der Italiener und Spanier (sog. Torremolinisierung) wiederholt. In Erwartung zahlungskräftiger Hotelgäste und
Golf-Touristen wurden Wanderer als caracois
belächelt und alternativer Tourismus als turismo
de pé descalço verunglimpft. Doch inzwischen ist die Stimmung in Portugal
umgeschlagen. Man weiß jetzt um die negativen Folgen des sogenannten turismo
de qualidade und propagiert nun einen sanften Tourismus, der auch die bisher
weniger frequentierten Gebiete und Privatanbieter einbezieht. Seit einigen
Jahren gibt es offiziell schon den turismo
de habitação und seit neustem hat nun auch der eco-turismo
seinen staatlichen Segen. Anstoß dazu gab der Premierminister António Guterres
selbst, der im letzten August nach einer Bootsfahrt zur Eröffnung des Parque Natural do Douro Internacional so beeindruckt war, daß er
seinen Staatssekretär für Tourismus beauftragte, zusammen mit dem Instituto
da Conservação da Natureza ein Programm auszuarbeiten. Das Ergebnis liegt nun vor: in verschiedenen
Naturparks und im Gerês sollen 43 Schutzhäuschen (casas-abrigo)
und 18 centros de acolhimento der
Waldhüter (guardas florestais) und
Landstraßenwärter (cantoneiros) als
Unterkünfte für Wanderer und Naturfreunde hergerichtet werden. Hoffentlich
heizt dies die Aktivitäten der bereits vorhandenen privaten Anbieter von sog.
Ökotouren (zumeist in deutscher Hand!) nicht zusätzlich an. Denn die von ihnen
verwendeten Fortbewegungsmittel -
vom Pferd über das Mountain
Bike zum Motorboot und Geländewagen (auf portugiesisch todo-o-terreno,
ein Name, der Schlimmstes befürchten läßt!)
- widersprechen allen
Prinzipien des Landschaftsschutzes. Es wäre ein Aberwitz, wenn im Namen der
Natur Portugals letztes Küstenparadies zerstört würde. |
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